Megaphon

Von Guido Diesing

Könnte schlimmer sein“, ist ein Statement, das man mit Blick auf den bevorstehenden Machtwechsel in den USA hierzulande eher selten zu hören bekommt. Allein schon die Aussicht, die kommenden vier Jahre vor der Entscheidung zwischen Medienverzicht und Brechreiz zu stehen, ist gruselig genug. Und die Konsequenzen der politischen Richtungsänderung werden auch hierzulande schmerzhaft spürbar sein. Wenn man aber die Selbstbespiegelung mal beiseitelässt, erkennt man, was wirklich schlimm sein muss: Als kritisch denkender US-Amerikaner nicht nur mit den unmittelbaren Folgen der künftigen Politik auf Alltag und Arbeit umgehen zu müssen, sondern auch mit dem Wissen, in einem Land zu leben, in dem eine Mehrheit genau diese Politik gewählt hat. Wie einschneidend dies ist, wurde deutlich, als Marc Ribot im November sein Reflektor-Festival in der Hamburger Elbphilharmonie bestritt (siehe Live-Teil) und das Thema im Laufe der drei Tage immer wieder ansprach. Zu Beginn eines Konzerts begrüßte er das Publikum mit dem bitteren One-liner: „Wir sind nicht auf Tour hier – wir üben, wie es ist, im Exil zu sein.“ Er sinnierte darüber, dass der Hamburger Hafen vermutlich das letzte Stück Europa gewesen sei, das seine Großeltern vor 120 Jahren als Auswanderer in die Vereinigten Staaten gesehen hätten: „Sieht ganz so aus, als könnte es bald Zeit sein, zurückzukommen.“ Auf Nachfrage stellte Ribot dann aber klar, dass er nicht ernsthaft mit dem Gedanken spielt, die USA zu verlassen: „Wir müssen etwas anderes tun als wegrennen.“ Doch was? Eine Fortsetzung seines Albums Songs of Resistance , das er 2018 angesichts der ersten Amtszeit von Donald Trump veröffentlich hatte, werde jedenfalls nicht seine Reaktion sein: „Wir haben schon genug Widerstandslieder. Jetzt kommt es darauf an zu sehen, was die Leute, die mit Freuden ,Bella Ciao‘ gesungen haben, wirklich tun werden. Den Song ,Bella Ciao‘ haben wir schon. Jetzt müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.“

Die Diskussion über Schritte gegen den Rechtsruck, der in Verbindung mit Sparmaßnahmen die kulturelle Vielfalt immer stärker bedroht, läuft auch hierzulande. Vertreter des Vereins Die Vielen, in dem sich 2017 rund 4500 Kultureinrichtungen, darunter die Akademie der Künste, der Deutsche Bühnenverein und der Deutsche Kulturrat, zusammengeschlossen haben, trafen sich Ende November in Berlin zu einem Symposium unter dem Motto „Ratschlag der Vielen“, um sich über Handlungsoptionen gegen Rechtsextremismus und für eine offene Gesellschaft auszutauschen. Wenig überraschend wurde dabei die wichtige Rolle der Kultur betont, doch das allein reiche nicht: „Zugleich besteht ein dringender politischer Handlungsbedarf: Reformen des Gemeinnützigkeitsrechts und des Neutralitätsgebots für Theater, Museen, Kulturorte und Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, sind unverzichtbar.“

dievielen.de

Kultur ist kein Luxus, sondern die Grundlage einer lebendigen Gesellschaft“, stellt auch die Kölner Jazzkonferenz unmissverständlich klar. Aus bedrohlichem Anlass: Geplante Kürzungen im Kölner Kultur-Etat gefährden die wichtige Arbeit der gesamten freien Kulturszene. Ganz konkret steht laut Haushaltsentwurf etwa die Cologne Jazzweek, immerhin „Festival des Jahres“ beim Deutschen Jazzpreis 2023, im Falle der vorgesehenen vollständigen Streichung der städtischen Förderung vor einer ungewissen Zukunft – ein „fatales Signal für das kulturelle Leben unserer Stadt“, wie die Jazzkonferenz zu Recht beklagt.

jazzstadt.de/de_DE/pressemitteilung-oktober-2024

jazzweek.de/wp-content/uploads/2024/11/CJW_Pressemitteilung_Haushalt2526-1.pdf

Aber welche Relevanz haben Musikfestivals überhaupt? Das will die Initiative Musik im Rahmen einer bundesweiten Studie herausfinden. Sie hofft auf „wertvolle Erkenntnisse über die ökonomische, kulturelle, ökologische und soziale Bedeutung“ von Festivals aus wissenschaftlicher Perspektive. Na dann mal los.

www.initiative-musik.de/pressemitteilungen/2024-2/musikfestivals-im-fokus-studie-zu-herausforderungen-und-kultureller-relevanz

JAZZTHETIK präsentiert

Auf jeden Fall relevant in Regensburg ist das Festival Sparks & Visions. Drei Tage, acht Konzerte, Musiker aus 13 Ländern – auch die dritte Auflage verspricht so einiges. Zwischen dem 24. und 26.1. treten bekannte Größen wie das Marcin Wasilewski Trio und Simin Tander neben aufstrebenden Talenten wie dem polnischen Quartet O.N.E. und dem North Sea String Quartet auf. Gespannt sein darf man auf Robinson Khoury, der mit seinem Trio MŸA nahöstliche Skalen, modernen Jazz und retro-futuristische Untertöne verspricht.

sparks-and-visions.com

JAZZTHETIK präsentiert

© Jacek Brun

 

Khoury und sein Trio sind auch dabei, wenn die jazzahead! 2025 erstmals statt eines einzelnen Partnerlands ihren Fokus auf eine ganze Region, nämlich die Länder Spanien, Frankreich und die Schweiz, legt. Vom 24.-26.4. trifft sich die internationale Jazzbranche wie in jedem Jahr in der Messe Bremen, um neue Kontakte zu knüpfen und alte Kontakte zu pflegen. Das Showcase-Programm bietet 38 Kurzkonzerte mit Musik aus Deutschland, Europa und Übersee (darunter das Eva Klesse Quartett, Maridalen, das ungarische Projekt Schubert NOW u.v.m.) und verspricht lohnenswerte Entdeckungen. Im Rahmen der Messe wird das Green Touring Tool vorgestellt, ein Hilfsmittel, mit dem Tourneen nachhaltiger gemacht werden sollen.

jazzahead.de

Stephan Wittwer spielte schon als Jugendlicher mit Größen wie John Tchicai und Irène Schweizer zusammen. Nachdem er zunächst autodidaktisch Gitarre gelernt hatte, experimentierte der gebürtige Züricher bereits in den frühen 80er Jahren mit neuen Technologien und erweiterte seine Spieltechniken mit elektronischen Sounds. Vielseitigkeit und die Suche nach musikalischer Freiheit machten ihn zu einem wichtigen Musiker im Grenzbereich zwischen freier Improvisation, Rock und Elektronik, der auch als Komponist von Filmmusik erfolgreich war. Stephan Wittwer starb im September 2024 im Alter von 71 Jahren.

Auch für Patrik Landolt war Irène Schweizer ein wichtiger Faktor zu Beginn seiner erfolgreichen Tätigkeit. Als Mitveranstalter des Taktlos-Festivals 1984 besaß er einen dort entstandenen Konzertmitschnitt der Pianistin, den jedoch kein Label veröffentlichen wollte. Also brachte Landolt das Album selbst heraus – der Startschuss für Intakt Records. 36 Jahre lang leitete er das Label, bis er sich 2022 als 66-Jähriger entschied, es in jüngere Hände zu geben. Für seine Ausdauer und Leidenschaft wurde Patrik Landolt jetzt vom Preis der Deutschen Schallplattenkritik mit einem Ehrenpreis in der Kategorie Produzent ausgezeichnet.

© Hans Kumpf

 

Dass Musikproduzenten auch vom breiten Publikum wahrgenommen werden, passiert gar nicht so häufig. Einer der Größten des Metiers, dem dies mühelos gelang, war Quincy Jones, über den nicht nur Musikfreaks wissen, dass er als Produzent von Michael Jacksons Thriller für das weltweit meistverkaufte Album verantwortlich war. Neben seiner Produzententätigkeit für Größen wie Frank Sinatra, Ray Charles und Donna Summer war Jones auch als Arrangeur, Orchesterleiter und Filmkomponist erfolgreich und leitete als erster Afroamerikaner ein Majorlabel. 28 (!) Grammys und zwei Ehrenoscars waren nur die namhaftesten einer Vielzahl von Ehrungen, die ihm zuteilwurden, darunter auch Preise für humanitäre Verdienste. Quincy Jones starb am 3. November mit 91 Jahren.

Im selben Monat und im selben Alter starb auch Ulrich Olshausen, der ab 1967 die damals neugegründete hr-Jazzredaktion leitete und über viele Jahrzehnte mit seinen Sendungen für den hr eine wichtige Stimme in der deutschen Jazzlandschaft war. Olshausen war außerdem für die Produktionen des hr-Jazzensembles verantwortlich und gehörte viele Jahre zum Organisationsteam des Deutschen Jazzfestivals in Frankfurt. Nachdem er 1999 in den Ruhestand gegangen war, blieb er seiner musikalischen Liebe als Autor zahlreicher Jazzkritiken in der FAZ verbunden.

Auch die französische Jazzszene, insbesondere in und um Bordeaux, trauert um eine ihrer prägenden Figuren. Philippe Méziat setzte sich als Veranstalter und Autor etwa der Zeitung SUD OUEST und des JAZZ MAGAZINE für den Jazz ein. Er gestaltete acht Ausgaben des Bordeaux Jazz Festivals und fünf des Festivals Jazz à la base, arbeitete regelmäßig mit dem Fotografen Guy Le Querrec zusammen und steckte viele Menschen mit seiner Begeisterung an. Ende Oktober erlag er nach langem Kampf einer Krebserkrankung.

Nach Jonas Sorgenfrei, der Jazzrausch Bigband und Alma Naidu in den Vorjahren war auch 2024 wieder ein Jazzmusiker unter den Trägern des Bayerischen Kunstförderpreises. Philipp Schiepek (siehe Porträt in diesem Heft) freut sich über 7.000 Preisgeld. Bayerns Kunstminister Markus Blume freut sich mit Blick auf die Preisträger in blumigen Worten über „17 neue Sterne auf unserem bayerischen Walk of Fame der Jungstars“.

© Hans Kumpf

 

Noch spendabler ist man nebenan in Baden-Württemberg: Der Freiburger Pianist und Komponist Lukas DeRungs wird als Träger des dortigen Jazz-Preises 2024 mit 15.000 € bedacht. Kunststaatssekretär Arne Braun hebt vor allem DeRungs Vielseitigkeit hervor: „Er überschreitet musikalische Grenzen und bewegt sich mit spielender Leichtigkeit zwischen Jazz, HipHop, Pop und mehr. Daneben setzt er sich ehrenamtlich für die Belange von Jazzmusikerinnen und Jazzmusikern ein und spendet 50 Prozent der Erlöse seines letzten Albums für den Schutz des Regenwalds. Vorbildlich!

Apropos 50: Auf so viele Jahre erfolgreichen Bestehens kann mit berechtigtem Stolz das Amsterdamer Bimhuis zurückblicken. Gegründet von Mitgliedern des Berufsverbands Improvisierender Musiker (B.I.M.) – daher der Name – wurde es 1974 in einem ehemaligen Möbelhaus eröffnet und schnell zu einem wichtigen Zentrum der europäischen improvisierten Musik. Seit 2005 ist es an das klassische Konzerthaus Muziekgebouw aan ’t IJ angegliedert. Das runde Jubiläum feierte das Bimhuis einfach mit dem, was es am besten kann: Musik, und zwar einen ganzen Monat lang, wobei heimische Legenden wie Han Bennink und Ernst Reijseger ebenso zu sehen waren wie internationale Größen wie Brad Mehldau und das Sun Ra Arkestra oder Künstler*innen der jüngeren Generation. Wir gratulieren zu einem halben Jahrhundert voller Kreativität und Unvorhersehbarem.

Nicht einmal ein halbes Jahr fehlte, dann hätte Roy Haynes sogar ein komplettes Jahrhundert erlebt, doch auch so konnte er, als er am 12. November starb, auf ein reiches Künstlerleben zurückblicken, wie es nicht vielen vergönnt ist. Die Liste der Musiker*innen, mit denen der in Boston geborene Schlagzeuger gespielt hat, liest sich wie eine Jazz-Enzyklopädie und umfasst Namen wie Lester Young, Charlie Parker (u.a. bei der Eröffnung des Birdland), Billie Holiday, Miles, Monk, Coltrane, Chick Corea und Pat Metheny. So fanden sich in seinem Spiel Elemente verschiedenster Epochen und Stile, die es ihm ermöglichten, immer wieder neue Wege zu beschreiten, ganz im Sinne seiner Aussage: „Ich bin nur glücklich, wenn ich mich vorwärts bewege.“

JAZZTHETIK präsentiert

Zunächst an der Hand des im Sommer stattfindenden Jazzfestivals Saalfelden, hat sich das kleinere Geschwisterfestival „3 Tage Jazz“ in Saalfelden Leogang längst einen eigenen Namen als lohnenswerte Januar-Alternative inmitten des Salzburger Innergebirgs gemacht. Die achte Auflage vom 24.-26.1. lockt mit Konzerten von Daniel Erdmanns Velvet Revolution, Laura Jurd, Gard Nilssen u.a. sowie mit der Aussicht auf winterliche Reize. Bei neun Konzerten an vier Standorten, darunter das Bergbau- und Gotikmuseum Leogang, kommen die Besucher*innen zudem ganz schön herum.

www.jazzsaalfelden.com

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© Anne de Wolff

 

Zwei unterschiedlich große Festivalgeschwister – das kennt man auch aus Münster, wo im jährlichen Wechsel im Januar das neue Jazzjahr mit dem dreitägigen Jazzfestival oder dem eintägigen Shortcut eingeläutet wird. 2025 ist wieder Zeit für die große Version: Vom 3.-5.1. versprechen Musiker*innen wie Makiko Hirabayashi (siehe Porträt in diesem Heft), Xhosa Cole, Andrés Coll und Alina Bzhezhinska mit Tony Kofi Qualität und Klasse. Klarinettenfans aufgepasst: Mit Gianluigi Trovesi (im Trio Old and New Dances) und Louis Sclavis (mit seinem Quintett India) sind zwei europäische Großmeister zu erleben. Im Rahmen des Festivals wird auch wieder der Westfalen-Jazz-Preis verliehen. Er geht diesmal an die in Unna geborene Pianistin und Sängerin Clara Haberkamp, die im Preisträgerkonzert ihr aktuelles Trio präsentiert.

jazzfestival.multimediadesign.net

Könnte besser sein“, wäre eine beschönigende Zusammenfassung des „Berichts zur Situation des Jazz in Deutschland 2024“, den die Bundeskonferenz Jazz vorgelegt hat. Demnach drückt der Schuh so gut wie überall: Unterfinanzierung, mangelnde soziale Absicherung der Musiker*innen, wirtschaftliche Probleme der Spielstätten, zu wenig Nachwuchsförderung und fehlende Präsenz in den Medien sind einige Stichworte. Die BK Jazz fordert u.a., die Initiative Musik und ihre Fördermechanismen zu reformieren und Musikpädagogik und Jazzszene stärker zu verzahnen.

bk-jazz.de

Beim Versuch, den Jazz in die Schulen zu tragen, geht die Deutsche Jazzunion mit dem Programm „Jazzpilot*innen zu Gast im Klassenzimmer“ in Niedersachsen neue Wege. Neben der Veranstaltung von Workshops von Musiker*innen in Schulklassen stellt die DJU auf ihrer Website ab sofort interessierten Lehrkräften kostenfreies Unterrichtsmaterial zum Download zur Verfügung, mit dem Jazz und Improvisation niedrigschwellig und sogar ganz ohne Vorkenntnisse in den Unterricht integriert werden können. Das Programm stellt das gemeinsame Musikerlebnis in den Mittelpunkt und versteht sich ausdrücklich auch als praxisnahe Demokratieförderung. Und die ist dringend nötig.

www.deutsche-jazzunion.de/jazzpilotinnen

Und damit ist das Jahr auch schon wieder so gut wie rum. Zeit, sich und anderen etwas zu schenken und beschenkt zu werden. Da ist ein JAZZTHETIK-Abo, gedruckt oder digital, natürlich immer eine gute Wahl. Als Entscheidungshilfe winken diesmal besonders attraktive Abo-Prämien. Neben den üblichen Tonträgern (in dieser Ausgabe z.B. die 6-CD-Box Miles in France) sind einmalige Geschenke dabei – die direkt aus dem Knast kommen: Das Projekt Santa Fu, benannt nach dem verharmlosenden Spitznamen der Hamburger JVA Fuhlsbüttel, bietet Artikel an, die in Anstaltswerkstätten von Gefangenen bearbeitet, bedruckt, verpackt, veredelt und in manchen Fällen komplett hergestellt werden, darunter ein „Beutebeutel“, eine Wärmflasche oder das Ausbrecherspiel „ALAARM!“, von Gefangenen selbst entwickelt und auf den Zellen gespielt.

Und während die einen noch spielerisch versuchen rauszukommen, wünschen wir unseren Leser*innen, verbunden mit den besten Wünschen für die Feiertage, ein gutes Reinkommen, nämlich ins neue Jahr. Und wer weiß – vielleicht gibt 2025 ja sogar Anlass für ein leidlich optimistisches „Könnte schlimmer sein!“ Das wäre doch schon mal was. Cheers!