Megaphon 3/4 2025
Von Jan Kobrzinowski
Anfang Januar kam im gediegenen Münsterschen Theater Bewegung und auch Befremden auf, als der dänische Bassist Jasper Høiby für einen kleinen „politischen Skandal“ sorgte und sein Publikum mit „Free-Palestine“-Bekenntnissen aufmischte. Sofort machte sich Spaltung bemerkbar. Unglücklicherweise nutzte der Musiker seine exponierte Position aus, indem er mitten in seinem Set quasi von der Jazzfestival-Bühne herabdozierte, und das zu einem sehr heiklen Thema. Äußerst ungünstig, dass er Zwischenrufe, was denn mit Israel sei, sinngemäß mit den Worten abbügelte: „Stop talking! Now we are playing music here.“ Høiby war knapp davor, die Chance zu verspielen, sich mit seinem Anliegen, das offenbar auch persönlich motiviert war, Gehör zu verschaffen. Gesprächsbereitschaft signalisierte er erst für die Pause, im Foyer, wo man dann schließlich miteinander sprach, am Ende ging es ja um die Musik. Im Raum blieb der „Skandal“, ein großes Wort für einen aufgeregten Wortwechsel, eigentlich nur ein Beispiel dafür, wie schnell heute eine Meinungsverschiedenheit zur medialen Affäre wird, als wäre Schwarz-Weiß-Denken ein Qualitätsmerkmal für Auseinandersetzungen. Es hatte sich ein Musiker zu einem umstrittenen politischen Thema geäußert und, wenn auch mit unbeholfener Dringlichkeit, zum Ausdruck gebracht, dass es für ihn keine Trennung zwischen Kunst und Politik geben kann. Festivalleiter und Conferencier Fritz Schmücker sagte anschließend beschwichtigend zwar, aber deutlich: Die im Theater Anwesenden gehörten ja zur privilegierten Gruppe der Kunstliebhaber, und man solle doch bereit sein, auch dort hinzuschauen, wo es vielleicht wehtue. Erreicht hat Jasper Høiby immerhin etwas: Auf den Rängen wurde gestritten und diskutiert. Früher, nicht nur im Audimax der Uni, war das noch üblicher. Künstler*innen und Propagandist*innen kommentierten, prangerten und klagten an, manchmal schnaubend vor Zorn, auch auf der Bühne, mit Worten, manchmal aber auch mit Musik. Heute scheint das ein Problem zu sein. War nicht Jazz einmal eine Musik, in der Reibungen zugelassen sind, auch mal etwas gegen den Strich gebürstet wird? Der freie, unabhängige Jazz half jedenfalls dabei, Widersprüchliches zu spiegeln, in Kauf zu nehmen, dass Dinge (hier: Klänge) auch wehtun können. Das hat mit Jasper Høiby wieder mal ein Künstler zum Ausdruck gebracht, wenn auch nicht mit großem Geschick. Übrigens: Der Trioauftritt seiner Three Elements war großartig.
Nicht nur Zigtausende Demonstrierende, sondern auch die Institutionen der Club- und Festivalkultur bringen zum Ausdruck, dass menschenfeindlichen Haltungen und der Erosion der demokratischen Kultur etwas entgegengesetzt werden muss. So verurteilte die LiveMusikKommission (LiveKomm), „die von der CDU/CSU gemeinsam mit der AfD erfolgten Abstimmungen über die Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik.“ Der Bundesverband der Musikspielstätten in Deutschland betonte, dass „Zuwanderung, ebenso wie die grenzoffene Gemeinschaft der europäischen Staaten“ essenziell für die deutsche Veranstaltungswirtschaft sei.
Wenn es so etwas wie den musikalischen Spiritus Rector gibt, dann war das der The-Band-Keyboarder Garth Hudson. Und wenn ein Musiker aus der Popmusik es verdient hat, in einem Jazzmagazin verabschiedet zu werden, dann er. Es war immer ein Vergnügen, dem kanadischen Musiker bei der Arbeit zuzuschauen, so z.B. in Martin Scorseses The-Band-Würdigung The Last Waltz. Nun also der letzte Walzer für Garth, den Zauberer, den intellektuellen Arbeiter hinter Orgel und Akkordeon, den scheinbar bärbeißigen Zausel, der immer die Noten für all die Rocker geschrieben und ihnen, falls nötig, Unterricht im elterlichen Wohnzimmer gegeben hat. Am 21.1. ist er, 87-jährig, gestorben und hat es geschafft, alle seiner (jüngeren) Band-Kollegen zu überleben.

© Lukas Diller
Die Arbeit im BundesJazzOrchester kennt Theresia Philipp als ehemaliges Mitglied nur zu gut. Jetzt kehrt die Saxofonistin, Komponistin und Lehrbeauftragte der Kölner Hochschule in neuer Funktion zum Nachwuchsensemble zurück: Ab sofort übernimmt sie als Doppelspitze gemeinsam mit Niels Klein für die kommenden vier Jahre die künstlerische Leitung. Neben der musikalischen Arbeit will sie Aspekte wie Musiker*innen-Gesundheit ansprechen und Kooperationen mit verschiedensten Künstler*innen anstoßen.
JAZZTHETIK präsentiert

© E. Groza
Vom 6.-8.3. beleben die 25. Emsdettener Jazztage den Lichthof von Stroetmanns Fabrik in Emsdetten im nördlichen Münsterland. Es spielen Leléka, das Ulli Jünemann Trio feat. Jasper van‘t Hof, das Ulli Jünemann International Organ Quartet feat. Bruno Castellucci, die Rockband Wukan sowie die Big Band der Musikschule Emsdetten-Greven-Saerbeck.

© Hans Kumpf
Zakir Hussain lernte schon als Kind von seinem Vater, dem Tabla-Meister Alla Rakha, um dann später Kunst und Tiefe der Rhythmen der indischen Klassik weiterzutragen in die Welt der westlichen Musik. Wer Hussains Souveränität, Virtuosität und seinen Humor an Tablas und anderen Perkussionsinstrumenten auf der Bühne erlebte, sah ein lebendes Beispiel für das hohe rhythmische Bewusstsein, das nötig ist, um solche Musik nicht nur meisterhaft zu spielen, sondern mit Leichtigkeit zu versehen und für westliche Ohren verständlich und spürbar zu machen. Als Musiker und Produzent arbeitete Hussain mit zahllosen Musiker*innen auch außerhalb der Musikkultur seiner Heimat zusammen. Am bekanntesten wurde seine Zusammenarbeit mit John McLaughlins Shakti. Zakir Hussain schreckte nicht vor abenteuerlichen Kollaborationen zurück und stellte sein Können in den Dienst von Projekten wie Reinhard Flatischlers Megadrums und Planet Drum des Grateful-Dead-Drummers Mickey Hart. Zakir Hussain Allarakha Qureshi starb am 15.12. in San Francisco mit 73 Jahren.

Sophie Hunger
Jazztage Stuttgart
Im Theaterhaus Stuttgart finden vom 12.-26.4. die 35. Jazztage statt. Abgesehen von Headlinern wie Jan Garbarek, Till Brönner, Jasper van‘t Hof u.a. kommt es wieder zu einem interessanten Programm-Mix, diesmal mit der Überschrift „Round about Jazz“. Binnen 14 Tagen wechseln sich Jazzmusiker*innen wie Norma Winstone, Nils Wogram, Markus Stockhausen, Omer Klein, Tigran Hamasyan, das Munich Composers Collective um Monika Roscher und Gregor Hübner mit so verschiedenen Acts wie Sophie Hunger, dem Dexter & Urban Beats Collective, der Katalanin Rita Payès sowie den Urgesteinen von Colosseum u.v.a. ab. Vollständiges Line-up in unserem Terminteil.

© Hans Kumpf
Er gehörte zu den Protagonisten der New Yorker Downtown-Szene, die ab den 1980ern großes Interesse auf sich zog, und arbeitete mit Musikern wie Joe Fonda, Bill Frisell, Charlie Haden und Phil Haynes zusammen. Herb Robertson war als Trompeter ein eingespieltes Team mit dem Saxofonisten Tim Berne, mit dem er in zahlreichen Bands und Projekten zusammenwirkte. Berne erinnerte sich nun anlässlich des Todes seines Weggefährten an die gemeinsame Zeit: „Jeder Abend war wie ein Spielfilm voller erstaunlicher Momente wundervoller inspirierter Verrücktheit. Er war einer der wenigen wahren Improvisatoren.“ Herb Robertson wurde 73 Jahre alt.
Patrik Landolt, Gründer der legendären Schweizer Plattenfirma Intakt Records, wurde der Ehrenpreis der deutschen Schallplattenkritik 2025 verliehen. Ohne ihn, heißt es in der Preisbegründung, „wäre diese Institution der Jazz-Gegenwart nicht entstanden, gewachsen und erblüht. Denn erst seine Leidenschaft hat viel große Kunst möglich gemacht.“ Vom 26.-28.5. ist das Intakt-Label mit einem Festival im Kölner Loft zu Gast. Sechs Konzerte mit neuen Projekten von Intakt-Künstler*innen bieten eine kleine Werkschau des aktuellen Labelkatalogs.

© Hans Kumpf
Als er vor sechs Jahren mit einem Konzert im Pariser Salle Gaveau seinen Abschied von der Konzertbühne gab, nachzuhören auf dem Album Coming Yesterday, war Martial Solal bereits 91 Jahre alt und hatte eine rund 70 Jahre währende Karriere hinter sich. Als Pianist mit herausragender Technik und großer Vielseitigkeit überzeugte er in allen gängigen Besetzungsarten vom Solospiel übers Trio bis hin zu großen Ensembles und Big Bands und wurde vielfach als bedeutendster französischer Jazzmusiker nach Django Reinhardt gepriesen, mit dem er 1953 zusammenspielte. Daneben war er auch als Komponist von Filmmusik erfolgreich (z.B. für Godards Außer Atem). Am 12.12. ist Martial Solal mit 97 Jahren gestorben.
Das Erreichen eines ähnlich biblischen Alters blieb Anders Widmark verwehrt. Der schwedische Pianist und Komponist starb am Tag nach seinem 61. Geburtstag in seiner Heimatstadt Uppsala infolge einer Krebserkrankung. Neben Projekten mit Größen wie Bob Brookmeyer, Clark Terry und Nils Landgren hatte er sich als Begleiter von Sängerinnen einen Namen gemacht und mit der Kombination von Jazz mit HipHop, House und Acid Jazz experimentiert.
JAZZTHETIK präsentiert

Monika Roscher
Int. Jazzwoche Burghausen
Speziell an Burghausen ist nicht nur seine schöne Lage an der Salzach in Oberbayern. Vom 25.-30.3. sind Stadtsaal, Wackerhalle, JUZ und andere Spielorte Schauplätze der Internationalen Jazztage und ihres abwechslungsreichen Programms. Es gibt Topacts wie Gregory Porter, Kenny Garrett und Billy Cobham, aber auch der Nachwuchs ist der traditionsreichen IG Jazz wichtig. So kommen das BundesJazzOrchester und die Gewinner*innen des European Young Artists’ Jazz Award zum Zuge. Und die ganze Stadt brummt mit: Jazznight in der Altstadt, Frühschoppen im Jazzkeller u.a.
Der Umgang mit Worten war ihr ebenso wichtig wie der mit Bildern: Sibylle Zerr war studierte Ethnologin und arbeitete als Fotografin, Autorin (u.a. für JAZZTHETIK) und PR-Beraterin. Nachdem ihr Interesse an Musik sie 2004 nach New Orleans geführt hatte, veröffentlichte sie ihre Eindrücke von der dortigen Musikszene in ihrem Buch Blues für einen Schmetterling. Eine besondere Verbindung pflegte sie zu den Musikern des Sun Ra Arkestra. So begleitete sie im vergangenen Jahr die Entstehung der aktuellen Produktion Lights on a Satellite und verfasste die Liner Notes für das Album. Am 31.12. starb Sibylle Zerr im Alter von nur 60 Jahren.
Über die immensen Risiken und Nebenwirkungen der bereits beschlossenen und noch drohenden Kürzungen im Kulturbereich wurde an dieser Stelle bereits ausgiebig berichtet. Die finanzielle Lage der meisten Jazzmusiker*innen ist prekär und droht sich weiter zu verschlechtern, wenn Bund, Länder und Kommunen an ihren kurzsichtigen Entscheidungen festhalten, Fördermittel zu streichen, was besonders die freie Szene in ihrer Existenz gefährdet. Ein gemeinsamer Appell der Deutschen Jazzunion und der Jazz-Interessenvertretungen der Bundesländer soll dabei helfen, das Problem auch außerhalb der engeren Jazz-Bubble stärker ins Bewusstsein zu rücken. Neben Plakaten und Postkarten steht dafür ab sofort der Hashtag #JazzIstVielfalt bereit, um auch mit Postings in den sozialen Medien auf den Ernst der Lage hinzuweisen.
Wer sich in der Zeit seit den 80ern für die deutsche Independent-Musikszene interessiert hat, wird irgendwann den Buchstabenkombinationen SPV und MIG begegnet sein. Sie stehen für das Unternehmen mit dem etwas sperrigen Namen „Schallplatten, Produktion und Vertrieb“, phasenweise größter Indie-Vertrieb Europas, und das Label „Made in Germany Music“, das sich auf die Veröffentlichung historischer Aufnahmen, z.B. des Rockpalast, konzentriert. Hinter SPV und MIG stand Manfred Schütz als Gründer. Mit Mitte 20 hatte er seinen ersten Plattenladen in Hannover eröffnet, blieb seiner Leidenschaft bis zu seinem Lebensende treu und prägte die deutsche Musiklandschaft mit. Anfang Januar starb er mit 74 Jahren.
JAZZTHETIK präsentiert

© Severin Koller
Das einst „größte Dorf“, mittlerweile stolze Stadt im Münsterland an der Grenze zum Nachbarland, ist Gronau. Mit dem Jazzfest trumpft das dortige Kulturbüro seit Jahren, diesmal vom 29.4. bis 4.5. und bereits zum 35. Mal, auf. Mit einem Festivalprogramm, das für unterschiedliche Gruppen attraktiv ist. Topacts 2025 sind David Helbock, Torsten Goods, Dirty Loops und Dominic Miller. Dazu gibt es eine Musiknacht, Familienprogramm und zahlreiche auch gastronomische Aktivitäten in der Innenstadt.
Als Soul-Duo Sam & Dave sangen Sam Moore und Dave Prater in den 60er-Jahren Hits wie „Soul Man“ und schafften es später in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame. Wegen ihrer energiegeladenen Auftritte trugen sie den Spitznamen Double Dynamite und inspirierten Stars wie Michael Jackson, Al Green und Bruce Springsteen. Mit dem Erfolg des Films Blues Brothers, in dem John Belushi und Dan Aykroyd Teile der Bühnenshows von Sam & Dave imitierten, feierten sie in den frühen 80ern ein Comeback. Sam Moore überlebte seinen Duopartner um mehr als 36 Jahre, im Januar starb er im Alter von 89 Jahren.
Die Pedal Steel Guitar ist ein Instrument, das klangliche Landschaften „countryesk“ (heute sagt man: mit Americana) einfärben kann. Susan Alcorn gehörte (neben z.B. Greg Leisz) zu den wenigen Künstler*innen, die das Vokabular ihres Instruments um Neue Musik, Jazz, World und freie improvisierte Musik erweiterten, zuletzt im experimentellen Duo Filament mit der Saxofonistin Catherine Sikora. Am 31.1. ist Susan Alcorn kurz vor Vollendung ihres 71. Lebensjahres gestorben.
Der WDR Jazzpreis geht in diesem Jahr an Simon Oslender. Der junge Pianist, Organist und Komponist erhält 10.000 € und tritt nun auch mit der WDR Big Band auf. Die Verleihung findet am 23.5. im Ebertbad in Oberhausen statt.
www1.wdr.de
Vinylfreunde, aufgemerkt und Kalender raus! Der Termin für den diesjährigen Record Store Day (RSD) steht fest und es ist NICHT wie sonst üblich der dritte Samstag im April! Um einer Kollision mit den Osterfeiertagen auszuweichen, laden knapp 240 unabhängige Plattenläden in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits am 12.4. in ihre Räumlichkeiten, um die Liebe zur Schallplatte mit exklusiven und limitierten Sonderveröffentlichungen, In-Store-Gigs und Partys zu befeuern. Alle Infos rund um Aktionen, Veröffentlichungen und die teilnehmenden Stores unter:

© Hans Kumpf
Für Generationen war das von Siegfried Schmidt-Joos und Barry Graves verfasste Rock-Lexikon schlicht „die Bibel“, in der man über Bands las, bevor man sie überhaupt gehört hatte. Geboren 1936 in Gotha, flüchtete Schmidt-Joos 1957 aus der DDR, schrieb ab 1968 für den SPIEGEL über Kultur, als einer der allerersten Experten für Popmusik. Sein Rock-Lexikon war international eines der ersten Nachschlagewerke über Popkultur überhaupt. „Er hat sich für alle Formen von Musik interessiert und war ein brillanter Geschichtenerzähler“, sagt Kollege und Freund Wolf Kampmann über den Mann, der bei unterschiedlichen Radiosendern moderiert und in der ARD als Abteilungsleiter für den Bereich „Leichte Musik“, wie es damals noch hieß, gewirkt hat. „Vieles von dem, was heutzutage im Rock- und Pop- oder überhaupt im Musikjournalismus jenseits der Klassik passiert“, so Kampmann, „wäre überhaupt nicht denkbar gewesen ohne Siegfried Schmidt-Joos’ mutige Vorarbeit.“ Nun starb dieser am 3.2. im Alter von 88 Jahren.
Nicht unter den Tisch fallen soll die Information, wer die Fotos von Maik Krahl gemacht hat, die in der vergangenen Ausgabe im Artikel über dessen neues Album und im Inhaltsverzeichnis zu sehen waren. Es war Alessandro De Matteis. Wir bitten, die vergessene Namensnennung zu entschuldigen.