Megaphon

Von Guido Diesing

Es ist ja nicht so, dass die Erkenntnis neu wäre: Die aktive Beschäftigung mit Musik von klein auf hat positive Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung, das Sozialverhalten, die kognitiven Fähigkeiten, kurz gesagt: Sie macht Menschen zu sozial kompetenteren Wesen. All das ist lange bekannt und durch wissenschaftliche Studien belegt. Schon 2002 brachte Otto Schily, zu diesem Zeitpunkt immerhin Bundesinnenminister, die Debatte zugespitzt auf den Punkt: „Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit.“

Alles klar, möchte man meinen. Da wäre eine Gesellschaft doch schön dumm, das Verbesserungspotenzial, das sich durch verstärkte musikalische Bildung ab dem Kindergarten- und Grundschulalter auftut, nicht zu nutzen. Wenn erwiesenermaßen gerade sozial benachteiligte Kinder von einer erweiterten Musikerziehung profitieren, wäre jeder Euro für diesen Bereich, der zur Persönlichkeitsbildung beiträgt und Bildungschancen erhöht, als Investition in die Zukunft gut angelegt. Goldene Zeiten also für die Musikvermittlung?

Das Gegenteil ist der Fall. In den Köpfen vieler Bildungspolitiker gilt das Fach mangels unmittelbarer ökonomischer Verwertbarkeit allenfalls als nettes Beiwerk, das ebenso gut durch fachfremde Lehrkräfte unterrichtet werden kann. Sparmaßnahmen, Lehrermangel und Stundenausfall belegen die mangelnde Wertschätzung. Es ist zum Heulen.

Was also tun? Immerhin, der Deutsche Musikrat (DMR) wird nicht müde, auf die Missstände hinzuweisen, und hat dazu gerade wieder eine Offensive gestartet. Unter der Überschrift „#SchuleNeuDenken: mehr Musik!“ fordert er Verbesserungen und eine breite gesellschaftliche Diskussion zu dem Thema. Schließlich gilt immer noch, was DMR-Generalsekretär Christian Höppner schon 2020 formuliert hat: „Musik kann Menschen dazu befähigen, zuzuhören, Unterschiede schätzen zu lernen, zu differenzieren, andere Positionen aushalten zu können und letztlich auch Selbstwertstabilität zu bekommen über den Zugang zur eigenen Emotion.“ Lauter Dinge also, die die Welt mehr denn je nötig hat.

www.musikrat.de/aktuelles/detailseite/deutscher-musikrat-startet-offensive-schuleneudenken-mehr-musik

Doch der DMR stellt nicht nur Forderungen, er handelt auch. Um Musikinteressierten jedes erdenkliche Futter zu geben, unterhält er eine Anlaufstelle, die Wissen bündelt, Daten und Fakten zum Musikleben in Deutschland veröffentlicht und Kontaktmöglichkeiten zur Vernetzung aufzeigt. Für all diese Zwecke steht das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) bereit, das in diesem Jahr sein 25-jähriges erfolgreiches Bestehen feiert. Reinklicken und stöbern lohnt sich:

https://miz.org

Was braucht man noch zum Musikmachen? Natürlich Instrumente. Für Gitarristen könnte sich z.B. ein Besuch beim Musiker-Flohmarkt des No.1 Guitar Center in Hamburg-Altona lohnen. Am 6.5. ab 10 Uhr gibt es im Phoenixhof, Stahltwiete 16, Instrumente, Verstärker und weiteres Zubehör.

jazz in e. © Florian Heilmann

 

Sehr beliebt bei Gitarristen ist der „Blues in E“, besonders beliebt in Eberswalde ist das Festival „Jazz in E.“ rund um den Himmelfahrtstag. Vom 17.-20.5. kommen in diesem Jahr besonders Duo-Fans auf ihre Kosten: Mit Matthias Loibner/Lucas Niggli, Maja S. K. Ratkje/Stian Westerhus, Gert Anklam/Volker Jaekel und Lisette Spinnler/Christoph Stiefel gibt es gleich vier Zweiergruppen zu hören, dazu das Trio von Joanna Duda und die Quartette von Richard Koch, Tobias Hoffmann und Athina Kontou.

https://wege.mescal.de/jazz-in-e

Als feste Größe des europäischen Jazz zeichnete sich Tony Coe an Klarinette, Saxofon und Flöte durch extreme Vielseitigkeit aus. Seine Aufnahmen reichten von Swing über Bebop bis zur freien Improvisation, seine Mitspieler von Humphrey Littleton und Henry Mancini (u.a. als Saxofonist der Pink-Panther-Melodie) bis zu Derek Bailey. 1995 wurde er als erster Nicht-Amerikaner mit dem Jazzpar-Preis geehrt. Tony Coe starb am 16.3. mit 88 Jahren.

Zwei junge, aber schon namhafte Bläser wurden beim Hi Five Jazz Award des Rotary-Clubs Hildesheim ausgezeichnet. Der Hauptpreis, dotiert mit 7.000 €, ging an das Jakob Manz Project, das die Jury mit „Power, Dynamik und virtuoser Spielweise“ überzeugte. Über den Förderpreis und 3.000 € freute sich das Maik Krahl Quartett. Die Siegerkonzerte finden am Pfingstsonntag im Rahmen der Jazztime Hildesheim statt.

Lisa Wulff Quartett © Lena Müller

 

39 Konzerte in vier Tagen – da ist Ausdauer gefragt. Vom 22.-25.6. lädt JazzBaltica wieder zum Strandpark in Timmendorfer Strand ein und hat einiges zu bieten, u.a. den James-Brown-Weggefährten Fred Wesley. Lisa Wulff, Karin Hammar, Nesrine, Eva Klesse und Andrea Motis sind nur fünf von 13 (!) Bandleaderinnen, die mit ihren Gruppen dabei sind, dazu Vince Mendoza, Günter „Baby“ Sommer, Nils Petter Molvær, Benjamin Lackner, das Tingvall Trio u.a.

www.jazzbaltica.de

In Burghausen wurde wieder am Vorabend der Internationalen Jazzwoche der Burghauser Nachwuchs-Jazzpreis verliehen. Der 1. Preis (5.000 € und einen Auftritt als Vorband von Lee Ritenour beim Eröffnungskonzert) ging an den Münchner Bassisten Nils Kugelmann mit seinem Trio. Weitere Preise gewannen das italienische Quintett Michele Sannelli & The Gonghers und das polnische Jarecki Jazz Octet. Herzlichen Glückwunsch!

Die Initiative Musik hat mal wieder ordentlich Geld in die Hand genommen und unterstützt im Rahmen der Künstler:innenförderung in deren 60. Förderrunde 203 Projekte mit insgesamt rund 2 Millionen €. Auch Musiker*innen aus dem Jazzbereich kommen in den Genuss von Fördermitteln, darunter das Aurora Oktett des Bassisten Carl Wittig, Clémence Manachère Unterwasser, Kira Linn’s Linntett, das Duo Stemeseder-Lillinger, Tim Allhoff und Maika. Mögen die Hilfen fruchten.

Nils Wogram © Ayse Yavas

 

Félicitations! Der Posaunist, Komponist und Bandleader Nils Wogram wurde von der französischen Académie du Jazz als bester europäischer Musiker 2022 ausgezeichnet. Der renommierte Prix Django Reinhardt für die wichtigste Musikerpersönlichkeit des französischen Jazz ging an die Komponistin, Pianistin und Dirigentin Leïla Olivesi.

Nils Wogram ist auch mit von der Partie, wenn in Köln in diesem Jahr ein bemerkenswertes Jubiläum begangen wird. Das Subway Jazz Orchestra (SJO\CGN) hat sich 2013 als Bigband-Kollektiv mit dem ehrgeizigen Ziel gegründet, jeden Monat ein Konzert mit einem neuen Programm aufzuführen. Folglich kann es jetzt stolz sein zehnjähriges Bestehen feiern, natürlich mit Musik: Im namensgebenden Jazzclub Subway, spielt das SJO\CGN am 24.5. mit Peter Evans & Sam Pluta und am 14./15.6. mit Nils Wograms Nostalgia Trio.

www.jazz-im-subway.com

Für Nicht-Branchenkenner mag der Name despektierlich klingen, doch der Bottle Award ist eine der höchsten Auszeichnungen für Konzertveranstalter und wird jährlich bei der International Live Music Conference (ILMC) an eine Persönlichkeit der Konzertindustrie vergeben. In London wurde in diesem Jahr Karsten Jahnke (85), Gründer der nach ihm benannten Konzertdirektion, mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet – eine Anerkennung für 60 erfolgreiche Jahre im Musikbusiness.

Angelique Kidjo © Hans Kumpf

 

Im selben Jahr wie Jahnke geboren ist Chris Blackwell. Der Gründer der Plattenfirma Island Records wird am 23.5. in Stockholm mit dem Polar Music Prize, dem inoffiziellen Nobelpreis für Musik, geehrt. Er teilt sich den Preis mit dem estnischen Komponisten Arvo Pärt und der aus dem Benin stammenden französischen Songwriterin Angélique Kidjo.

Obradovic Tixier Duo

 

Inspirierte Musik im inspirierenden Ambiente verspricht mal wieder die JazzNacht Zollverein. Am 5.5. spielen in der zum Welterbe gehörenden Essener Zeche das Maria Mendes Quartet und das Obradovic-Tixier Duo – lässig, launig und nicht nur für Experten. Eingerahmt wird der Abend von DJ-Sets.

www.zollverein.de/kalender/jazznacht-zollverein

Frank Schraven

 

Als das Jazzfestival Münster Ende der 1970er Jahre vom AStA der örtlichen Uni gegründet wurde, war Frank Schraven eine der Triebfedern. Einige Jahre später gehörte er zu den Gründungsvätern der JAZZTHETIK, bei der er zeitweise auch als Chefredakteur fungierte, bevor er sich beruflich umorientierte. In diesem Frühjahr ist Frank Schraven gestorben.

Corinna Danzer © Katrin Schander

 

Der mit 10.000 € dotierte Hessische Jazzpreis geht in diesem Jahr an die Saxofonistin Corinna Danzer, die in zahlreichen Ensembles mitwirkt, u.a. mit dem Gitarristen Martin Lejeune und ihrem Mann, dem Bassisten Jonas Lohse. Hessens Kulturministerin Angela Dorn würdigte nicht nur Danzers Fähigkeiten als Musikerin, sondern auch als Pädagogin: „Die in Friedberg lebende Saxofonistin ist Jazzmusikerin und Musikvermittlerin mit gleicher Hingabe. Corinna Danzer verdient den Hessischen Jazzpreis auch stellvertretend für alle jazzpädagogisch tätigen Menschen in Hessen.“

Als Mitglied von „Harlem am Main“ ist Corinna Danzer auch an einem von fünf Modellprojekten beteiligt, die unter dem Namen Jazzpilot*innen von der Deutschen Jazzunion (DJU) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gefördert werden. Dabei geht es „sowohl um das Erleben von musikalischer Improvisation als Kommunikations- und Ausdrucksform als auch um das Erlernen essenzieller sozialer Fertigkeiten, auf denen das Zusammenleben in unserer freiheitlich-demokratischen Gemeinschaft aufbaut.“ Die übrigen vier ausgewählten Modellprojekte sind „Jazz In / Jazz Out“ (Osnabrück), „Projekt Hörspur“ (Saarbrücken), „Kiklimuko“ (Düsseldorf) und „Statt_Werk_Works“ (Berlin).

Mit starken europäischen Akzenten glänzen in diesem Jahr die Hildener Jazztage. Vom 31.5.-4.6. sind in der nordrhein-westfälischen Stadt u.a. das Sebastian Gahler Quartett, die WDR Big Band mit Bob Mintzer und das All-Star-Quartett A Novel of Anomaly mit Andreas Schaerer, Kalle Kalima, Luciano Biondini und Lucas Niggli zu erleben. (Nicht nur) Gitarrenfans können sich auf Frank Wingold, das Axel Fischbacher Trio und das Biréli Lagrène – Joscha Stephan Trio freuen. Und damit sich auch wirklich jeder eingeladen fühlt, lautet das Festivalmotto „Invitation“.

www.hildener-jazztage.de

Nicole Johänntgen © Daniel Bernet

 

Die Zeiten, in denen Jazzpublikationen das Westpfälzer Wandermusikantentum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ignorieren konnten, sind aus gutem Grund vorbei. Der Landkreis Kusel, der sich auch das Musikantenland nennt, um an diese Tradition zu erinnern, vergibt alle drei Jahre den Musikantenland-Preis und ehrt in diesem Jahr die Saxofonistin Nicole Johänntgen, die in der Schweiz lebt, aber in Fischbach im benachbarten Saarland geboren ist. Der Preis ist mit 7.500 € und einem vierwöchigen Aufenthalt auf Burg Lichtenberg dotiert und wird – man höre und staune – im 14. Anlauf erstmals einer Frau verliehen.

Georgiens Jazz trauert um Tamaz Kurashvili. Der Kontrabassist spielte auf zahlreichen internationalen Festivals, lebte und arbeitete einige Jahre in den USA und hatte auch als Komponist von Film- und Theatermusik Erfolg. In den 1970er Jahren und bis zu dessen Tod im Jahr 1979 arbeitete er mit der georgischen Jazzlegende Vagif Mustafazadə zusammen. Kurashvili starb im Alter von 75 Jahren.

Der Name verrät es schon: Den 7 Virtual Jazz Club gibt es nur im Netz, wo zum bereits achten Mal von einer international besetzten Jury die Sieger eines Onlinewettbewerbs gekürt wurden. Die ersten Preise (bezahlte Auftritte in italienischen Jazzclubs) gewannen die Sandia Band (Israel) und in der Kategorie „Unter 25 Jahre“ das Sasha Berliner 5et (USA). Aus Deutschland hatte es das Vincent Meissner Trio ins Finale geschafft. Die Bewerbungsphase für den neunten Wettbewerb läuft.

https://7virtualjazzclub.net

Unklarheiten und Gerüchte gibt es rund um die traditionsreiche US-Jazzzeitschrift JAZZTIMES. Nach Informationen der Jazz Journalists Association (JJA) sollen nach der Übernahme durch die BeBop Channel Corp die JAZZTIMES-Redaktion entlassen und Aufträge zurückgezogen worden sein. Die Botschaft der JJA an die neuen Besitzer: „Behandelt eure bisherigen Mitarbeiter korrekt! Wir behalten euch im Auge.“

Das Festival Jazzdor schlägt schon zum 15. Mal eine kulturelle Brücke zwischen Frankreich und Deutschland. Vom 6.-9.6. spielt im Berliner Kesselhaus ein Dutzend Bands mit starken französischen Akzenten, bei deren Auswahl Festivalleiter Philippe Ochem sich ganz von seinem Geschmack leiten lässt: „Wir pfeifen auf geografische wie ästhetische Grenzen und wollen nur eines: Mit unserem Publikum teilen, was uns gerade begeistert.“ Für vier der Gruppen (das Trio Takase / Sclavis / Courtois, das Daniel Erdmann 6tet, Naïssam Jalal und das Quartett O.U.R.S.) geht es nach den Auftritten in Berlin gleich weiter nach Dresden, wo am 10./11.6. im Jazzclub Tonne ein Jazzdor-Extrakt in Form von zwei Doppelkonzerten zu erleben ist.

https://jazzdor.com/de/jazzdor-europa/strasbourg-berlin-dresden

Love, Deutschmarks and Death © filmfaust-FilmFive

 

Keine zwei Wochen später ist Naïssam Jalal schon wieder in Deutschland zu erleben, wenn sie in Osnabrück beim Morgenland Festival auftritt. Hier geht der bewährte programmatische Brückenschlag in Richtung Vorderer Orient. Vom 21.6.-2.7. gibt es große Namen wie Kayhan Kalhor, Aynur, Simin Tander (mit Symphonieorchester) und Rabih Lahoud (mit Florian Weber und dem Ensemble Modern) zu hören, aber auch lohnenswerte Entdeckungen zu machen.

https://morgenland-festival.com

Ryūichi Sakamoto © Erik Tanner

 

Im Herzen ein Avantgardist, vor allem aber ein Eklektiker, wurde Ryūichi Sakamoto – wie er selbst sagte, „durch Zufall“ – in seiner japanischen Heimat zum gefeierten Popstar, als er mit dem Yellow Magic Orchestra eine originelle Mischung aus Elektropop, Rock und Exotica erdachte. Als Solokünstler gelangte er zu Weltruhm, arbeitete mit Künstlern wie David Sylvian, Jon Hassell und Iggy Pop zusammen und wandte sich der Filmmusik zu. Für seinen Score zu Bertoluccis Der letzte Kaiser wurde er 1988 zusammen mit David Byrne mit dem Oscar ausgezeichnet. Sein Talent, Atmosphären zu erschaffen, lebte er weiterhin in Projekten mit Ambient, Minimal Electronica und Neoklassik aus. Auf seinem im Januar veröffentlichten letzten Album 12 setzte er sich mit seinem Kampf gegen den Krebs auseinander. Am 28. März erlag Ryūichi Sakamoto der Krankheit.

Volker Bertelmann alias Hauschka

 

Nachdem er im Oktober 2022 bereits den Deutschen Filmmusikpreis gewonnen hatte, wurde Volker Bertelmann (aka Hauschka) bei der diesjährigen Oscar-Verleihung für seine Arbeit für Im Westen Nichts Neues mit dem Academy Award für die beste Filmmusik ausgezeichnet. Gratulation!

2017 kaufte Adam Pendleton gemeinsam mit drei weiteren Künstlern das Haus, in dem Nina Simone aufgewachsen ist. Bei seinem Einsatz dafür, es vor dem Verfall zu bewahren, bekommt er jetzt prominente Unterstützung von überraschender Seite: Die Tennisspielerin (und Kunstsammlerin) Venus Williams organisiert gemeinsam mit Pendleton eine Kunstauktion bei Sotheby’s, die vom 12.-22.5. stattfindet und den stolzen Erlös von 5 Millionen $ für den African American Cultural Heritage Action Fund einbringen soll.

https://www.pacegallery.com/nina-simone