Megaphon
Von Guido Diesing
Natürlich war das schon damals Quatsch – oder nennen wir es romantische Verklärung. Als Hans Fritz Beckmann 1939 für den Revuefilm Hallo Janine den Text zu Peter Kreuders Lied „Musik, Musik, Musik“ schrieb, sollten vor allem diejenigen beruhigt werden, bei denen es finanziell vorne und hinten nicht reichte und die noch ganz andere Sorgen hatten. „Ich brauche keine Millionen. Mir fehlt kein Pfennig zum Glück. Ich brauche weiter nichts als nur Musik, Musik, Musik!“ Hunger? Egal! Mietrückstände? Vergiss es! Knietief im Dispo? Scheiß drauf! Wenn nur die Melodien schön und die Rhythmen anregend sind, wird alles andere zur Nebensache. Musiker wird man schließlich nicht aus Berechnung, sondern aus Berufung und Leidenschaft – und da steckt das Wort „Leiden“ ja schon drin. Dass Musikern – und erst recht solchen, die sich dem Jazz verschrieben haben – in Wirklichkeit weit mehr als diverse Pfennige zum Glück fehlen, haben die von der Deutschen Jazzunion (DJU) in Auftrag gegebenen Jazzstudien von 2016 und 2022 eindrücklich klargemacht. Nein, man braucht keine Millionen, aber es wäre doch ein Anfang, wenn zunächst mal die Gagen für Konzerte und Aufnahmeprojekte ermöglichen würden, über die Runden zu kommen. Um über einen vagen Wunsch nach mehr hinauszukommen und die eigenen Forderungen zu konkretisieren, hat die DJU sich jetzt der – Achtung, Wortungetüm! – Honoraruntergrenzenempfehlung des Deutschen Musikrats (DMR) angeschlossen. Demnach soll selbstständigen Musiker*innen für Projekte, die zu 50% oder mehr durch den Bund gefördert werden, ein Tagessatz von mindestens 300 € gezahlt werden. Die Höhe dieser Summe ist dabei ausdrücklich als Kompromissgröße und erster Schritt zu verstehen. Eine Arbeitsgruppe unter dem Dach des DMR hatte ermittelt, dass eine „auskömmliche Untergrenze“ des Tagessatzes eigentlich bei 622 € liegen müsste. Wie groß die Sorgen unter den deutschen Jazzer*innen sind, zeigt eine DJU-Mitgliederumfrage, wonach 72% der Befragten davon ausgehen, dass sich die Lage für die Jazzszene im kommenden Jahr negativ entwickeln wird. Jede*r Zweite rechnet damit, dass sich ihre oder seine persönliche Situation verschlechtert. Gerade vor dem Hintergrund des Erstarkens demokratiefeindlicher Kräfte fordert die DJU von der künftigen Bundesregierung zukunftssichere Rahmenbedingungen für den Jazz als eine Kunstform, die besonders stark für demokratische und freiheitliche Werte steht.
www.deutsche-jazzunion.de/news/honoraruntergrenzenempfehlung
In finanzieller Hinsicht empfehlenswert ist der Gewinn eines der 22 Deutschen Jazzpreise, die am 13.6. verliehen werden, denn die sind mit je 12.000 € dotiert. Erfreulicherweise gilt dabei nicht der alte ABBA-Grundsatz „The Winner Takes It All“: Alle 76 Nominierten können sich in jedem Fall über 4.000 € freuen. Dazu kommt die werbewirksame Anerkennung, von der Jury aus unglaublichen 1193 Einreichungen ausgewählt worden zu sein. Anerkennende Worte für den Preis spendete Django Bates, der als Mitglied der Sonderjury für die Kategorie „Komposition/Arrangement“ mitwirkte: „Es ist ermutigend, dass Jazz in Deutschland so geschätzt und gefeiert wird, und ich fühle mich geehrt, an den diesjährigen Auszeichnungen beteiligt gewesen zu sein.” Die Verleihung findet im E-Werk Köln statt.
Dass sie bereits einen Deutschen Jazzpreis im Regal stehen haben, ist nicht das Einzige, was Emile Parisien, Janning Trumann und Shuteen Erdenebaatar verbindet. Alle drei sind in diesem Jahr beim JazzBaltica-Festival in Timmendorfer Strand zu erleben. Dessen Leiter Nils Landgren hat für den 26.-29.6. wieder bekannte Namen wie Michael Wollny, Nils Wülker und Arne Jansen mit Newcomern kombiniert und mit der NDR Bigband, der Latvian Radio Big Band und dem Michael Schroeder Ensemble gleich drei Großformationen eingeladen. Bemerkenswert hochwertig besetzt sind außerdem 21(!) Konzerte bei freiem Eintritt.

© Hans Kumpf
Für Nils Landgren gab es schon vor dem diesjährigen Festival Grund für eine – Achtung, Wortspiel! – ordentliche Feier: Ministerpräsident Daniel Günther zeichnete den Schweden als „kulturellen Botschafter Schleswig-Holsteins“ mit dem Verdienstorden des Landes aus. Günther würdigte ausdrücklich, dass sich Landgren neben seiner Arbeit als Festivalleiter in Workshops und bei Schulbesuchen für den musikalischen Nachwuchs engagiere: „Sie machen unserem Land damit ein großes Geschenk.“

Still from 2022 film “Howard Riley – Cheerfully
Beyond Category”, courtesy of Cath Longbottom
Keith Tippett, Barry Guy, Elton Dean, Tony Oxley und viele mehr – wer ab den späten 1960ern in der englischen Improv-Szene Rang und Namen hatte, kreuzte unweigerlich irgendwann den Weg von Howard Riley. Der Pianist und Komponist bewegte sich zwischen Improvisation und Neuer Musik, spielte häufig solo oder in kleinen Besetzungen, war aber phasenweise auch Mitglied des London Jazz Composers‘ Orchestra. Selbst eine Parkinson-Erkrankung hielt ihn nicht davon ab, mit angepasster Technik bis ins hohe Alter aktiv zu sein. Howard Riley starb im Februar kurz vor seinem 82. Geburtstag.
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© Tero Ahonen
Vom 2.-11.5. klingt es in Greifswald wieder nordisch. Schirmherrenland des Festivals Nordischer Klang ist in diesem Jahr Island, doch im Konzertprogramm zwischen Jazz, Folk und Indiepop finden sich ebenso skandinavische und baltische Beiträge. Zu hören sind u.a. Sinne Eeg mit Big-Band-Begleitung, Mats Edén & Guro Kvifte Nesheim, das Floating Sofa Quartet und Stína Ágústsdóttir. Dazu ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Ausstellungen, Vorträgen, Filmen und Lesungen. Fehlen nur noch Geysire und Vulkane.

© Hans Kumpf
Wir bleiben im Norden. In Stockholm kommt es am 27.5. zum Clash der Musikwelten, wenn die Auszeichnungen beim prestigeträchtigen Polar Music Prize vergeben werden. Die Geehrten sind in diesem Jahr Herbie Hancock, die Sopranistin und Dirigentin Barbara Hannigan und die Überreste von Queen. Das Preisgeld beträgt tatsächlich eine Million, allerdings nicht in Euro oder Dollar, sondern in schwedischen Kronen, was immerhin rund 90.000 € entspricht.
Eine Nummer kleiner, aber mit 10.000 € noch immer stattlich dotiert ist der alle zwei Jahre vergebene Hamburger Jazzpreis. Mit Tilman Oberbeck gibt es in diesem Jahr einen Preisträger, der als Musiker (u.a. als Bassist im Richie Beirach Trio), aber auch darüber hinaus in der Hamburger Szene engagiert ist. Zunächst setzte er sich als Vorsitzender der Jazz Federation für Auftrittsmöglichkeiten für Nachwuchsmusiker*innen, Diversität auf der Bühne und angemessene Honorare ein, seit Anfang 2024 ist er als Programmgestalter für die Konzerte in der JazzHall Hamburg verantwortlich.

© Andy Spyra
Und gleich noch was aus Hamburg: Die NDR Bigband bekommt mit Nikki Iles eine neue Chefdirigentin. Die Britin folgt auf Geir Lysne und wird die Bigband ab Juni für zunächst zwei Jahre leiten. Nach guten gemeinsamen Erfahrungen im Jahr 2023, als sie als Composer in Residence in Hamburg gearbeitet und das Album Face to Face aufgenommen hatte, war Iles die erklärte Wunschkandidatin der Band. Dieser Wunsch geht nun in Erfüllung und wird im September erste hörbare Früchte tragen, wenn mit „The Shadow of a Dream – Journeys through a Strange World“ ein Werk erklingt, dass Nikki Iles der NDR Bigband auf den Klangkörper komponiert hat.
Ein neues Gesicht gibt es ab Oktober auch an der Hochschule für Musik und Theater München. Zum Wintersemester begrüßt die HMTM Omer Klein als neuen Professor für Jazz-Klavier. Zurzeit noch Artist in Residence an der Alten Oper in Frankfurt, freut sich Klein auf „die Möglichkeit, jungen Musikerinnen und Musikern bei der Entwicklung ihrer musikalischen Identität zu helfen. Gemeinsam mit den Studierenden möchte ich an verfeinerten Techniken und einem musikalischen Gespür arbeiten, das es ihnen ermöglicht, sich in der Musik in aller Vielseitigkeit auszudrücken.“
In eine Instrumentenbauerfamilie hineingeboren, absolvierte Ralph Krahmer zunächst eine Ausbildung zum Metallblasinstrumentenmacher, bevor er 1993 ins Familienunternehmen, die weltweit angesehene Kontrabassmanufaktur E. M. Pöllmann, eintrat. Mit seinem älteren Bruder Mike leitete er das Unternehmen mit Sitz im bayrischen Mittenwald in vierter Generation viele Jahre lang und baute Bässe, die in den großen Orchestern der Welt gespielt werden. Im Februar starb Ralph Krahmer an einer Krebserkrankung. Er wurde nur 58 Jahre alt.
Zu den wichtigsten Auszeichnungen, die bei den Jazz FM Awards vergeben werden, zählt der Gold Award, der jedes Jahr einer Künstlerpersönlichkeit verliehen wird, die in Jazz, Soul oder Blues Besonderes geleistet hat. In diesem Jahr wird Melody Gardot mit dem Preis geehrt. Die US-Sängerin steht damit in einer Reihe mit namhaften Vorgängern wie Charlie Watts, Courtney Pine, Jacob Collier und Pat Metheny.
Was tun, wenn im Print-Feuilleton der Trend immer mehr zu rein serviceorientierten Ankündigungen von Kulturveranstaltungen geht und für deren anschließende Besprechung immer weniger Raum bleibt? JAZZTHETIK-Mitarbeiter Thomas Kölsch hat da eine Idee: Er baut seine Homepage unter www.kultur-kritik.net als unabhängige Plattform aus, auf der er künftig auch exklusive Inhalte anbietet, für die in anderen Medien kein Platz mehr ist. Für nur 3 € pro Monat können Abonnenten das Angebot als Ort des kulturjournalistischen Austauschs insbesondere in der Bonner Kulturszene unterstützen und nutzen.
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© Martin Hinse
Apropos Bonn: Zu den Höhepunkten im Kulturleben der Ex-Hauptstadt gehört schon seit 2009 das Jazzfest, das diesmal vom 1.-24.5. vor allem, aber nicht nur an den Wochenenden vorführt, wie vielseitig diese Musikrichtung ist. Heimische Größen wie Rainer Böhm, Florian Weber und Olivia Trummer sind ebenso zu erleben wie internationale Stars wie Dominic Miller, Norma Winstone oder die Yellowjackets. Vielfach sorgen Doppelkonzerte mit interessanten Kombinationen für Entdeckungsmöglichkeiten. Programm unter:
Aber kann man internationale Stars überhaupt noch mit gutem Gewissen gegenüber der Umwelt einladen? Welche Auswirkungen Festivals und Kulturveranstaltungen auf die Umwelt haben, lässt sich mit dem CO₂-Kulturrechner ermitteln. Eine neue Version des Rechners mit aktualisierten Emissionsfaktoren steht zum Download bereit. Damit können Kultureinrichtungen aller Sparten ihre Treibhausgasemissionen erfassen, Einsparpotenziale entdecken und nachhaltige Strategien entwickeln.
aktionsnetzwerk-nachhaltigkeit.de

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Nicht viele US-amerikanische Jazzhistoriker haben einen eigenen Eintrag in der deutschen Wikipedia. Larry Appelbaum war einer von ihnen. Als Forscher, Journalist, Hörfunkmoderator, Toningenieur, Autor und Dozent widmete er sich erfolgreich dem Ziel, sein Wissen über Jazz weiterzugeben und Menschen für die Musik zu begeistern. Zu seinen besonderen Verdiensten gehörte der Archivfund einer Aufnahme von Thelonious Monk und John Coltrane in der Carnegie Hall 1957, die 2005 von Blue Note veröffentlicht wurde. Larry Appelbaum starb im Februar mit 66 Jahren in Washington, D.C.
Fünf Monate als Bandmitglied und seine Mitwirkung am Album Larks’ Tongues in Aspik von 1973 genügten dem Perkussionisten Jamie Muir, um tiefe Spuren in der Geschichte von King Crimson zu hinterlassen. Deren Schlagzeuger Bill Bruford bezeichnete ihn später als „größten Einfluss“, und Yes-Sänger Jon Anderson konstatierte: „Er hat mein Leben verändert.“ Muir, der zuvor mit Derek Bailey und Evan Parker in der Music Improvisation Company Teil der freien Szene gewesen war, verließ King Crimson, um in ein buddhistisches Kloster einzutreten, kehrte später nur noch sporadisch zur Musik zurück, bevor er sich 1989 ganz zurückzog und der Malerei widmete. Am 17. Februar starb er mit 82 Jahren.
Zwei Jahre älter wurde Roy Ayers. Nachdem er in den 1960ern als Vibrafonist in der Band von Herbie Mann erste Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, gründete er 1970 seine eigene Gruppe Ubiquity, war mit Jazzfunk und Fusion erfolgreich und hatte 1976 mit „Everybody Loves The Sunshine“ einen veritablen Hit. Ab den späten 1990ern kam er zu neuer Bekanntheit, als seine Musik von HipHop-Größen wie Dr. Dre, Kendrick Lamar und A Tribe Called Quest gesampelt wurde und NuJazz-Vertreter ihn als wichtige Inspiration nannten.

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„Kompakt, kraftvoll und ein bisschen verrückt“, urteilte die Jury beim Burghauser Nachwuchs-Jazzpreis über das Trio Anaphora und sprach der Band um den in Belgien lebenden italienischen Pianisten Filippo Deorsola den 1. Preis und 5.000 € zu. Mit Preisen bedacht wurden außerdem das Tuva Halse Quintet, die Band KOOB und die Sängerin Sara Lilu Martín de Armas.
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Keine Autostunde von Trier und Saarbrücken entfernt, bietet das Festival Like a Jazz Machine im luxemburgischen Dudelange (auf Deutsch: Düdelingen) jedes Jahr die Gelegenheit, internationale Stars zu sehen und gleichzeitig einen interessanten Blick auf die luxemburgische Szene zu werfen. Unter den Gästen aus dem Ausland sind diesmal vom 7.-11.5. u.a. Aki Takase und Daniel Erdmann mit ihrem Ellington-Programm, Chico Freeman, Ralph Alessi (mit Marc Ducret und Jim Black) und Noah Preminger. Der heimische Jazz wird im Kulturzentrum opderschmelz von Michel Reis (im Duo mit Matthieu Bordenave), Arthur Possing, Greg Lamy, The Metz Foundation und anderen vertreten.

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Bis Billie Eilish es ihr 2020/21 gleichtat, war Roberta Flack die einzige Sängerin, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren bei den Grammy Awards für die Single des Jahres geehrt wurde: 1973 für „The First Time Ever I Saw Your Face“ und 1974 für ihren größten Hit „Killing Me Softly With His Song“. In den 1970er Jahren hatte sie mit Soulballaden weitere Hits, sowohl allein als auch im Duo mit Donny Hathaway. Nach dessen Tod 1979 konnte sie nicht mehr an diese Erfolge anknüpfen, wurde aber in den 90ern von einem jüngeren Publikum wiederentdeckt, als „Killing Me Softly“ in der Coverversion der Fugees erneut mit einem Grammy ausgezeichnet wurde. 2022 beendet sie nach einer ALS-Diagnose ihre Karriere, Ende Februar starb sie mit 88 Jahren.
Es rumort in der Musikindustrie. Der Expansionskurs der Universal Music Group (UMG) stößt auf Kritik seitens IMPALA, dem Verband der europäischen Independent-Label. Erst im vergangenen Oktober hatte die UMG mit PIAS eines der weltweit größten unabhängigen Labels übernommen, nun will sie über ihr Tochterunternehmen Virgin Music Group bis zur zweiten Jahreshälfte 2025 auch das Unternehmen Downtown Music kaufen. Um zu verhindern, dass die schon jetzt beherrschende Marktposition der UMG noch weiter ausgebaut wird, fordert IMPALA die europäischen Wettbewerbsbehörden dazu auf, im Sinne von Vielfalt und Wettbewerb die geplanten Übernahmen zu blockieren.
So wie Konkurrenz das Geschäft belebt, kann andererseits Kooperation für mehr Reichhaltigkeit sorgen, wenn die unterschiedlichen Stärken und Schwerpunkte mehrerer Partner miteinander kombiniert werden. Ganz in diesem Sinne machen die JAZZTHETIK und das Online-Magazin jazz-fun.de gerade Schritte aufeinander zu, um künftig die eine oder andere gemeinsame Sache zu machen. Was sich da genau anbahnt, verraten wir im kommenden Heft.