Megaphon
Von Jan Kobrzinowski
Auf der diesjährigen jazzahead! in Bremen kam ein langjähriger US-amerikanischer Promoter und Gesprächspartner auf mich zu, diesmal nur unter anderem zu dem Zweck, einen Stapel CDs der von ihm vertretenen Künstler*innen zu übergeben. Er wirkte betroffen, und es stellte sich heraus, dass es ihm ein dringendes Anliegen war, mit europäischen Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen. Vor der Rückkehr in sein Heimatland formulierte er, was ihn bewegt. Nicht nur, was den Jazz angeht, scheine sich Europa unabhängig von den USA machen zu wollen. Man brauche den amerikanischen Jazz nicht mehr (siehe „Über den Tellerrand“ in diesem Heft). Und irgendetwas scheint dran zu sein: Wir in Europa wenden uns, zumindest unbewusst, von Amerika ab. Natürlich nicht ohne große Besorgnis über die Entwicklung, die Trump und Konsorten im kulturellen Leben des Mutterlandes des Jazz in Gang gesetzt haben, mit all den möglichen Konsequenzen auch für all die anderen empfindlichen gesellschaftlichen Belange und Bereiche, für das unabhängige Arbeiten von Künstler*innen und Aktivist*innen bis hin zur Freiheit der Kunst. Während es in den USA schon längst ums Eingemachte der Demokratie geht, wird bei uns im Kulturbereich noch scheinbar unbeeindruckt weitergemacht wie bisher, es werden Preise und Unterstützungen entgegengenommen. Das ist natürlich richtig so, denn das Leben muss ja weitergehen. Hauptsache, wir bleiben im Dialog, auch mit Amerika, und streiten als Gleichgesinnte um Lösungen. Wir müssen aufpassen, dass die Debatte um Freiheit und Zukunft von Kunst und Kultur nicht allzu sehr ökonomisiert wird. Das passiert leicht, denn wir leben im Kapitalismus. Es geht um viel: den Fortbestand einer offenen und freien Gesellschaft. Nicht nur im Kulturbetrieb muss um einen Kurs gekämpft werden, der deutlich macht, dass nicht das gesamte gesellschaftliche Denken militarisiert und der Umgang miteinander nicht dem Primat des „Ingenieursblicks“ überlassen wird. In Zeiten erhöhter Unvernunft ist nichts einzuwenden gegen eine gesteigerte Rationalität, aber gepaart mit Humanität, Nachhaltigkeit und Ökologie, Wertschätzung von Unterschieden in Herkunft und Lebensentwürfen. Es braucht Leute, die sich den Paradoxien stellen, aktiv werden, zivilgesellschaftlich und institutionell, und ihre Erkenntnisse sollten demokratischen Organen und der ausführenden Politik zur Verfügung gestellt werden.
„Die Kultur darf aber in keinem Fall auf der Strecke bleiben. Kultureinrichtungen müssen in die vorgesehenen milliardenschweren Investitionen einbezogen werden.“ So verlangt es auch der Deutsche Kulturrat. Steht wieder mal eine weitere „Zeitenwende“ ins Haus? Wo und wie wird gekürzt? Und wird überhaupt neu gedrucktes Geld (Sondervermögen) für die Kultur bereitstehen?
Die Bundesländer handhaben ihre Unterstützung für den regionalen Jazz recht unterschiedlich. Die rot-grüne Mehrheit in der Hamburgischen Bürgerschaft preschte vor, hob den Kulturetat an und setzt 100.000 € gezielt zur Gagenaufstockung im Hamburger Jazzbereich ein, damit Musiker*innen wenigstens in etwa die von Musikrat und Jazzunion empfohlene Mindestgage von 300 € pro Auftritt erreichen. Das Land Hessen dagegen verschärft die Bedingungen für Unterstützung von Jazzprojekten, der Jazzverband Hessen e.V. schätzt die in Aussicht gestellte Fördersumme auf einen mittleren fünfstelligen Betrag ein. Im Land Baden-Württemberg wiederum sitzt das Geld lockerer. Es fördert seine Jazzszene jährlich mit rund 360.000 €. Das Geld fließt z.B. in die Förderung von Festivals, die Aufstockung von Gagen sowie „Exportförderung“ in andere Bundesländer.
Auch in Sachen Preisgelder ist das Land Baden-Württemberg gut bestückt. Der Jazz-Preis Baden-Württemberg ist mit 15.000 € einer der gut dotierten in Deutschland. Er wird seit 1985 jährlich von einer unabhängigen Jury an Künstler*innen unter 35 mit Bezug zum Land verliehen. 2025 wurde der Blasmusiker und Jazzposaunist Samuel Restle ausgezeichnet. Die Jury bescheinigte dem 27-jährigen „intelligente Kompositionen und Arrangements von vielschichtiger Kreativität und Originalität“, die die Grenzen des Jazz erweiterten.
Die Schweiz lässt sich in Sachen Musik nicht lumpen. Die Pianistin und Komponistin Sylvie Courvoisier erhält den vom Schweizer Bundesamt für Kultur verliehenen und mit 100.000 CHF dotierten Schweizer Grand Prix Musik 2025. Insgesamt elf Preise werden am 11.9. in Luzern verliehen.
PRO MUSIK, Deutsche Jazzunion, BVPop, unisono – Deutsche Musik- und Orchestervereinigung fordern eine substanzielle Abgabe aller Musikstreaming-Dienste in Deutschland. Mit einer solchen Abgabe „könnte das aus dem Gleichgewicht geratene System Musikstreaming wieder ins Lot gerückt werden”. Als Vorbild gilt Frankreich, wo derlei Einnahmen u.a. in einen Fonds zur Förderung von Einzelkünstler*innen fließen. Begrüßt wird der Vorstoß des neuen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer, auch hierzulande eine Abgabe für große Online-Plattformen wie Spotify einzuführen. Die „kleinen“ Musiker*innen werden generell beim Streaming nicht in ausreichender Weise anerkannt oder vergütet. Beim Lobby-Verband der Musikindustrie BVMI hatte man diese Tatsachen zuletzt in Zweifel gezogen. Gegen diese Umdeutung anerkannter Studienergebnisse steht ein umfangreicher Faktencheck zu diesem komplexen Thema, zu finden z.B. unter www.fairshare-music.com und www.d-popkultur.de

Uschi Brüning © Hans Kumpf
Erst 2024 wurde die Jazzsängerin Uschi Brüning mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Nun erhielt die „Ikone des Ostens“ den Deutschen Jazzpreis für ihr Lebenswerk. „Jazz war für mich immer mehr als Musik – er war Sprache, Freiheit, Suche und Begegnung“, so Brüning. Der Deutsche Jazzpreis geht übrigens in diesem Jahr eine Partnerschaft mit dem NUEJAZZ Festival in Nürnberg ein. Im Rahmen dieser Partnerschaft werden vom 17.10.-4.11. zahlreiche Jazzpreis-nominierte Künstler*innen zu erleben sein. Ziel ist es, „die Sichtbarkeit des Preises zu erhöhen und eine stärkere Verbindung zur lebendigen Festivalkultur herzustellen.“

Monika Roscher
Ein Unikat unter den sommerlichen Musikevents und weltweit das einzige Frank-Zappa-Tribute Festival ist die Zappanale im mecklenburg-vorpommerschen Bad Doberan. Vom 17.-20.7. feiert man dort das Andenken an eine Musik-Ikone und konnte außer aktuellen Interpret*innen und Cover-Acts unterschiedlicher Genres mit Don Preston auch ein echtes Urgestein aus dem Zappa-Umfeld buchen. Das Line-up bietet 20 Bands aus Jazz, Rock, Klassik und Avantgarde – Music is the best!

Giorgio Carioti
Ein Stück Berliner Clubgeschichte: 1961 begab sich der gebürtige Genueser Giorgio Carioti auf eine Reise von Neapel nach London, blieb aber in Berlin hängen, wo er an der FU ein BWL-Studium begann. Er jobbte als Thekenmann in der Charlottenburger Kellerspelunke Quartier von Quasimodo, übernahm 1975 den Laden und machte aus einer Studentenkneipe einen der bedeutendsten Live-Clubs in Berlin. Schon 1968 hatten Free-Jazz-Musiker im „Quasi“ Gegenveranstaltungen zu den etablierten Berliner Jazztagen organisiert, in den 80ern holte Jazzliebhaber Giorgio Chet Baker, Art Blakey, Dizzy Gillespie und andere Größen, 1987 jammte sogar Prince im Quasimodo. Nun trauert Berlin um Giorgio, der Anfang Juni mit 85 Jahren gestorben ist.
Auf der Vierteljahres-Bestenliste 02/2025 des Deutschen Schallplattenpreises landeten in der Kategorie Jazz zwei so unterschiedliche Produktionen wie die Florian Raepke Big Band & Charlotte Illinger mit Young and Foolish sowie Joachim Kühns jüngstes Werk Échappée. In der Rubrik Weltmusik punkteten Piers Faccini & Ballaké Sissoko mit Our Calling.
Die Jazz FM Awards 2025 würdigten Ende April in London die besten Musiker aus Jazz, Soul und Blues. Gregory Porter und Komiker Ben Bailey Smith moderierten die Zeremonie, bei der das schottische Ensemble corto.alto als UK Jazz Act of the Year und mit dem Innovation Award gleich zwei Preise abräumte. Weitere Gewinner*innen: Ezra Collective, Lakecia Benjamin, Jamie Cullum, Melody Gardot, Billy Cobham u.a.

Christian Rentsch © Francesca Pfeffer
Man kann Christian Rentsch eigentlich nicht in wenigen Zeilen angemessen würdigen und sich von ihm verabschieden. Er war Autor, kritisch musikbegeistert, durch und durch politisch denkend und fühlend, eigenwilliger Spross einer traditionsreichen Schweizer Verleger-Familie, Kultur-Redakteur beim Zürcher TAGESANZEIGER, Konzert- und Festivalbesucher, erbarmungslos in seinem Urteil, dabei mäzenatisch großzügig, loyal und aktiv, organisierend und eingreifend. In den letzten Jahren hat er sich vom Jazz ein wenig abgewandt, die Welt der Musik wurde ihm zu eng, er gründete ein Klima-Blog und veröffentlichte zwei Bücher zum Thema. Im April ist Christian Rentsch an den Folgen einer Sepsis gestorben.
Der Sänger, Bassist und Musikproduzent Lennart Meyer erhält im Rahmen der JazzBaltica 2025 den IB.SH-JazzAward. Der 26-jährige Lüneburger bewege sich mühelos zwischen Jazz, Minimalismus und Pop, „tief verwurzelt in der Tradition und ebenso souverän in der Improvisation, mit einer musikalischen Wundertüte voller spannender Ideen“, so Festivalchef Nils Landgren zur Juryentscheidung. Der mit 5.000 € dotierte Preis wird von der Investitionsbank Schleswig-Holstein gestiftet.
www.jazzbaltica.de/ibsh-jazzaward

Ystad Sweden Jazz Festival
An mehreren Spielorten im südschwedischen Küstenörtchen Ystad wird vom 30.7.-2.8. beim Ystad Sweden Jazz Festival große Musik internationaler Provenienz mit skandinavischem Schwerpunkt geboten. Topacts auf Schwedens größtem Sommer-Jazzfestival sind das Quartett Kismet (Dave Holland / Chris Potter / Kevin Eubanks / Marcus Gilmore), Mike Stern, Richard Galliano sowie Festivaldirektor Jan Lundgrens Trio Mare Nostrum.
Was ist eigentlich Proto-Punk? Einigen Rockbands aus den USA hängt ja dieses Etikett an. Für David Thomas, Sänger der US-amerikanischen Band Pere Ubu, spielte die Frage, Wegbereiter einer Bewegung zu sein, keine große Rolle. Er genoss eher den Widerspruch zwischen seinem ironisierenden Selbstbild als „Leadsänger der besten verdammten Rock-’n’-Roll-Band der Welt“ und einem experimentellen intellektuellen Anspruch. Interessant ist die Frage, in welcher Beziehung eigentlich Punk, Musique concrète, Krautrock und Free Jazz zueinander stehen. Das werden wir in Zukunft ohne David Thomas diskutieren müssen. Er starb im April im Alter von 71 Jahren.

Al Foster © Frank Schindelbeck
Al Fosters Mitarbeit im klassisch modernen Jazz bei Thelonious Monk, Freddie Hubbard, Wayne Shorter, Sonny Rollins, Joe Henderson, später elektrifiziert bei Herbie Hancock, den Brecker Brothers, John Scofield, Pat Metheny, Chick Corea u.a. qualifizierte den Schlagzeuger als Jazzmusiker, der für beides stand: Er swingte und verstand ebenso viel von binären Grooves in Funk und Fusion. Miles Davis, der Fosters Dienste für etliche seiner Aufnahmen buchte, brachte es auf den Punkt: „umwerfender Groove und messerscharfe Einsätze. Er legte das Fundament, auf dem jeder aufbauen konnte, und dann hielt er den Groove bis in alle Ewigkeit durch. Er hatte einfach alles, was ein Drummer haben muss.“ Al Foster starb am 28. Mai im Alter von 82 Jahren.

Marilyn Crispell
Seit der Gründung 2018 bleibt der Stifter des Instant Award in Improvised Music anonym. Was man weiß, ist, dass es sich um einen großzügigen Mäzen und Musikliebhaber handelt. In diesem Jahr gehen zweckungebundene Preisgelder von je 50.000 $ an zwei verdiente Persönlichkeiten der improvisierten Musik. Der Trompeter Bobby Bradford (90) ist ein Improvisator, dem der Spirit des Augenblicks wichtiger ist al die Schubladen von Free oder Avantgarde. Die Pianistin Marilyn Crispell (78) stammt aus einem Umfeld, das für die Schnittstelle zwischen Avantgarde-Jazz und Neuer Improvisationsmusik steht.

Andy Bey
Andy Bey war einer der eigenwilligsten unter den Jazzsängern. Im Kraftfeld seiner Kollaborationen zwischen Spiritual Jazz (Pharoah Sanders), Hardbop (Horace Silver, Max Roach, Kenny Burrell) und Avantgarde-Szene (David Murray Big Band mit Butch Morris) ging es spannend und vielseitig zu. Dabei blieb Bey, wo immer er auch auftrat, stets seinem unverkennbaren Gesangsstil treu. Andy Bey wurde trotz einer bereits 1994 festgestellten HIV-Infektion 85 Jahre alt, er starb am 26. April.

Jazzfestival Saalfelden
Wohlverdient – das Jazzfestival Saalfelden erhält den EJN Award for Adventurous Programming 2025. Laut Jury erlebt man dort eine besonders mutige, visionäre und künstlerisch herausragende Programmgestaltung. Besonders gut gelinge die „innovative Einbindung der lokalen Gemeinschaft“, urbane und alpine Räume würden risikofreudig und in enger Verbindung mit Künstler*innen, Publikum und der umliegenden Natur kreativ genutzt und sinnvoll eingebunden. Der Preis wird im Rahmen der 45. Ausgabe des Festivals (21.-24.8.) sowie bei der 11. European Jazz Conference vom 25.-28.9. in Bari übergeben. Das Jazzfestival Saalfelden steht für die Freiräume, die Musik dringend braucht, um sich zu entfalten. Topacts vor der Naturkulisse des Steinernen Meeres im Land Salzburg sind neben vielen weiteren innovativen Acts Weird of Mouth, Sun Mi Hong, Laura Jurd und Ruth Goller.

George Lewis © Hans Kumpf
Der Komponist George Lewis und das Trickster Orchestra wurden mit dem WDR Liminal Music Prize ausgezeichnet. Überreicht wurde der mit 10.000 € dotierte Preis am 3.5. im Rahmen der Wittener Tage für neue Kammermusik. 2025 wurde er zum zweiten Mal an Musiker*innen vergeben, die mit ihrem Werk kulturelle Grenzen überschreiten.
Foday Musa Suso, einer der großen Virtuosen der westafrikanischen Harfenlaute Kora, ist im Alter von 75 Jahren gestorben. Der Musiker und Komponist spielte nicht nur die traditionelle Musik seiner Heimat Gambia, sondern hatte auch interessante Zusammentreffen mit Herbie Hancock, Jack DeJohnette, Ginger Baker und Philip Glass. Seine Mandingo Griot Society (mit Adam Rudolph und Hamid Drake) spielte auch mit Don Cherry zusammen.
Der EMIL_ ist der deutsche Preis für Schallplattenfachgeschäfte. Nicht gedacht ist er für die verwaiste CD-Abteilung im Media-Markt, vielmehr ehrt er die letzten noch verbliebenen inhabergeführten Plattenläden. Namensgeber des Preises ist der Erfinder von Schallplatte und Grammophon, Emil Berliner. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis 8.8., Preisverleihung ist am 29.11. in Jena.
www.deutscher-preis-fuer-schallplattenfachgeschaefte.de

Guy Klucevsek © Eleanora Alberto
Der Akkordeonist Guy Klucevsek schreckte vor wenigem zurück, er baute z.B. avantgardistische Polka, Country- und Balkanmusik in seine Musik ein. Die „Symbolfigur für die Emanzipation des Akkordeons“ (Hans-Jürgen Schaal) war 1996 Mitbegründer des Accordion Tribe, einem bis heute bestehenden internationalen Ensemble. Er spielte mit John Zorn, Bill Frisell, Laurie Anderson, Elliott Sharp, Anthony Braxton, dem Kronos Quartet und gehörte zum Ensemble Charms of the Night Sky von Dave Douglas. Am 22.5. starb Guy Klucevsek in New York im Alter von 78 Jahren.
Die Musikerinitiative Bremen (MIB) ist die älteste ihrer Art in Deutschland, mitbegründet von Uli Beckerhoff, Sigi Busch und Ed Kröger. Ziel war und ist die Förderung des zeitgenössischen Jazz zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Jazzmusiker*innen, die Veranstaltung von Konzertreihen, Festivals und Sessions, Vernetzung von Musiker*innen sowie jazzpädagogische Arbeit. 2025 feiert die MIB ihr 50-Jähriges. Ende August gibt es ein viertägiges Festival und im November eine Serie von Club-Konzerten in Bremens Ostertor-Viertel, einst die MIB-Basis.
www.musikerinitiative-bremen.de
Und zu guter Letzt eine Berichtigung: Das Foto auf den Seiten 20/21 in JAZZTHETIK-N°324 stammt nicht von Liudmila Jeremies, sondern von Carlos Jacques.