Megaphon
Von Jan Kobrzinowski
Allen drohenden Sparmaßnahmen zum Trotz setzen Musikschaffende auf großen und kleinen Bühnen unermüdlich ihre Arbeit fort, unterstützt durch wackere Leute, die Bühnen zur Verfügung stellen, auf denen längst auch viel zu gesellschaftlichen Problemlösungen beigetragen wird. Das Spektrum ist groß, von herkömmlichen Konzerten, multikulturellen und inklusiven Veranstaltungen über musikpädagogische wie -therapeutische Arbeit bis hin zu öffentlichen Well-Being-Konzerten. Einer, der in diesem Sinne ungewöhnliche Wege geht, ist Enjoy-Jazz-Festivalleiter Rainer Kern, der feststellt: „Ich sage nicht, dass man mit Musik alles heilen kann, ich sage nur: Wir sind alle verpflichtet, die anstehenden Probleme gemeinsam zu lösen. Und daran muss sowohl die kreative Seite teilnehmen, aber auch die andere Seite muss einräumen, dass die kreativen Mechanismen immer noch unterbewertete Ressourcen sind.“ Wichtige Worte angesichts der Tatsache, dass es immer noch ein langer Weg ist zur vollen Wertschätzung des Inputs der Kreativen in der Gesellschaft. Inzwischen gibt es weltweit genug wissenschaftliche Belege dafür, dass Musik und andere Künste große Beiträge zu Konfliktlösungen bis hin zur Friedensstiftung liefern können, dass Musikpädagogik und Kunstunterricht in unseren Bildungseinrichtungen unersetzlich und für eine gute Entwicklung der jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft immens wichtig sind.
Demnächst wird eine Studie vorliegen, aus der hervorgeht, dass die deutsche Musikwirtschaft schon im Jahr 2023 ihr Vor-Corona-Niveau nicht nur ein-, sondern sogar überholen konnte. Die Frage ist nur, ob auch die freie Musikszene von solchen wirtschaftlichen Ergebnissen profitieren kann. Der Studienbericht wird nach Fertigstellung im Dezember auf den einschlägigen Websites der Verbände, Verwertungsgesellschaften und des Bundesministeriums für Wirtschaft veröffentlicht.
Unterdessen sieht man schon Warnzeichen am Horizont. So drohen z.B. der Jazzstadt Köln Kürzungen im städtischen Kulturetat, die insbesondere die Freie Musikszene treffen werden. Die Kölner Jazzkonferenz e.V. appelliert eindringlich an die Verantwortlichen, die finanzielle Unterstützung des Jazz in der Stadt sicherzustellen. Kultur sei kein Luxus, so heißt es, sondern „Grundlage einer lebendigen Gesellschaft – und die Jazzstadt Köln eines ihrer stärksten Aushängeschilder.“
Der aktuelle Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2025 sieht für den Musikfonds eine Kürzung der Mittel um rund 50 % vor. Prof. Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrates und Vorsitzender des Musikfonds in einer Stellungnahme: „Der Deutsche Musikrat fordert die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Koalitionsparteien zu einer Korrektur des Haushalts für 2025 auf. Die anvisierten, drastischen Kürzungen der finanziellen Mittel gefährden die erfolgreiche Arbeit der Bundeskulturfonds. (…) Die Kürzungsvorhaben drohen nun, das fragile Musikökosystem in Deutschland in Bedrängnis zu bringen – mit Auswirkungen auf die freien Künstler*innen, Ensembles, Kulturinstitutionen und deren Publikum.“ Eine Petition gegen die Einsparungspläne findet man hier:
www.change.org/p/an-der-freien-kunst-zu-sparen-kostet-zu-viel
JAZZTHETIK präsentiert
Zum elften Mal insgesamt, aber zum ersten Mal in Mecklenburg-Vorpommern, nämlich in Rostock, wird am 20.11. durch Kulturstaatsministerin Claudia Roth der APPLAUS-Award für herausragende Livemusikspielstätten und Konzertreihen in sechs Kategorien verliehen. Insgesamt 1,6 Mio. € sollen der Clubkultur, Konzertprogrammen unabhängiger Musikclubs sowie Veranstaltungsreihen aus allen Bereichen von Popularmusik und Jazz in ganz Deutschland zugutekommen.
Die Jury des Preises der Deutschen Schallplattenkritik hat entschieden, wer es auf die Bestenliste 3/2024 geschafft hat. Hier ein paar JAZZTHETIK-relevante Einträge: In der Kategorie Historischer Jazz hat es Jewels in the Treasure Box von Art Tatum, Everett Barksdale und Slam Stewart geschafft, laut Jury ein „sorgfältig gehobener Schatz“. Die Abteilung für aktuellen Jazz entschied Kamasi Washington mit Fearless Movement für sich, die Kategorie Weltmusik Nancy Vieira mit Gente sowie Ali Doğan Gönültaş mit Keyeyi. In der Kategorie Electronic und Experimental hat man mit Sushi. Roti. Reibekuchen einen äußerst raren 1998er Live-Auftritt von Brian Eno, Holger Czukay & J. Peter Schwalm ausgegraben, und als beste Grenzgänger wurden Dell-Lillinger-Westergaard für Extended Beats gelistet.
Einer derjenigen, denen das Wohl freischaffender Künstler*innen z.B. während der Corona-Pandemie nicht nur auf dem Papier wichtig war, ist Rainer Bode, Grünen-Politiker und Soziokultur-Aktivist. Er wurde kürzlich in Münster/Westfalen mit der „Silbernen Stimmgabel“ für besondere Verdienste um das Musikleben ausgezeichnet, und zwar vom Landesmusikrat NRW, dem Dachverband der nordrhein-westfälischen Musikverbände.
JAZZTHETIK präsentiert
Das Rivertone Festival Jazz and More fühlt sich in Zukunft in der Straubinger Joseph-von-Fraunhofer-Halle zuhause, und zwar vom 8.-10.11. Eröffnen wird das Bene Aperdannier Trio, gefolgt von einem echten Topact am selben Abend: der SWR Bigband (Ltg.: Magnus Lindgren) mit Götz Alsmann, Ida Sand und Torsten Goods. Weiter geht es mit den Pop- und Latin-Acts Enkay und Alvaro Soler, am Sonntag runden Ina Forsman und die Nils Landgren Funk Unit das Festival ab.
Es gibt sie kaum noch: inhabergeführte, stationäre Fachgeschäfte für Tonträger, formerly known as „Plattenläden“. Um zu zeigen, wie wichtig diese vom Aussterben bedrohten Institutionen für die Existenzgrundlage von Künstler*innen und die sie unterstützenden Partner sind, wird im Dezember erstmals unter ihnen ein Preis verliehen, der EMIL, in Form eines Gütesiegels, verbunden mit einem Preisgeld von 25.000 €. Vergeben wird er vom Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT) in Kooperation mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
www.deutscher-preis-fuer-schallplattenfachgeschaefte.de
Sérgio Mendes‘ legendäres Konzert 1962 in der New Yorker Carnegie Hall brachte die Bossa Nova einem noch unerfahrenen amerikanischen Publikum näher, noch bevor Getz-Gilbertos „Girl from Ipanema“ der brasilianischen Musik einen weltweiten Siegeszug bescherte. In New York nahm Mendes dann mit Cannonball Adderley und dem Bossa Rio Sextet of Brazil auf. Danach ließ sich der jazzaffine Pianist in den USA nieder und kam von Los Angeles aus zu großer Popularität, indem er nicht nur Jorge Bens „Mas que nada“ und andere Brasil-Klassiker, sondern vor allem weichgespülte Versionen von Burt-Bacharach-Titeln wie „The Look of Love“ sowie u.a. im Brasil-Touch daherkommende Beatles-Cover aufnahm. Das machte seine erfolgreichen Ensembles Sérgio Mendes & Brasil ’66 und später ’77 zu Ikonen eines eigenen Genres und trug ihm trotz seiner Verdienste auch Vorwürfe ein, einiges zur Verflachung der brasilianischen Musik beigetragen zu haben. Los Angeles blieb Sérgio Mendes‘ Heimat – bis zu seinem Tod am 6.9. im Alter von 83 Jahren.
Weniger bekannt als Mendes, aber wesentlich tiefer in der Tradition seines Landes verankert und unter Kennern dementsprechend hoch geschätzt war der Gitarrist und Sänger José Mauro. Seine beiden Alben Obnoxius (1970) und A Viagem Das Horas (1976) wurden vom englischen Label Far Out wiederveröffentlicht. Mauro starb kürzlich mit 75 Jahren.
Tatsache ist längst, dass viel mehr Frauen auf Festivals und in Jazzclubs spielen als noch vor zehn Jahren. Das ändert nichts daran, dass die Jazzszene international immer noch von Männern dominiert ist. Diesem Thema widmen sich die Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar und die Deutsche Jazzunion in einer Studie zur Gendergerechtigkeit in der deutschen Jazzszene.
www.deutsche-jazzunion.de/edition-impulse
Nicht nur Jazzstudierende kennen „I Remember Clifford“, „Killer Joe“ und „Stablemates“ – Stücke, die zu den intelligentesten Standards der Jazzgeschichte zählen. Geschrieben hat sie der Saxofonist Benny Golson, bekannt auch als der lächelnde Gentleman unter den Jazzmusiker*innen. Viele seiner Kompositionen wurden von weitaus berühmteren Kolleg*innen, vor allem während der Hardbop-Ära, ins Repertoire aufgenommen. Benny Golsons Diskografie unter eigenem Namen und die Liste seiner Kollaborationen ist lang. Wie auch sein Leben: Er starb am 21.9. im stolzen Alter von 95 Jahren in New York.
Das Spiel des Jazzgitarristen Russell Malone war von Haus aus tief verwurzelt in All American Genres wie Gospel, Rhythm & Blues, Country und Blues. Bekannt machte ihn seine Zusammenarbeit mit Diana Krall und Benny Green, Ray Brown und Monty Alexander. Malone starb unerwartet während einer Japan-Tour mit Ron Carters Golden Striker Trio am 23.8. im Alter von 60 Jahren an einem Herzinfarkt.
Der diesjährige Gewinner des EJN Award for Adventurous Programming ist das Budapest Music Center (BMC). Es besteht aus dem Opus Jazz Club, Musikinformations-Zentrum und Archiv sowie dem Plattenlabel BMC u.a. Der Preis wird jedes Jahr vom Europe Jazz Network (EJN) an ein europäisches Festival oder einen Veranstaltungsort für die Umsetzung visionärer Musikprogramme verliehen. Und noch mehr Network-News: Der 6. EJN Award for Music & Community geht an das Projekt Taller Obert innerhalb des Taller de Músics in Barcelona sowie die Agentur Bunkern Bokar in Göteborg. Mit dem Preis werden jährlich Organisationen oder Projekte für bahnbrechende Arbeit zur sozialen Inklusion ausgezeichnet. Taller Obert kümmert sich um ehemalige Häftlinge, Geflüchtete und Obdachlose und deren Wiedereingliederung mithilfe von Musikprojekten, Bunkern Bokar verhilft Menschen mit Behinderungen zum Einstieg in die Kreativbranche.
All About Jazz, führende Informationsquelle über das Jazzgeschehen weltweit, verlor mit Dave Binder, besser bekannt als John Kelman, einen seiner bekanntesten und beliebtesten Mitarbeiter. Dave / John verfasste über 2.700 Artikel mit zig Millionen Seitenaufrufen. Er starb am 10.8. an einem Herzinfarkt. „AAJ hat einen wirklich hervorragenden Botschafter, die Musik einen ihrer größten Fürsprecher verloren,“ so heißt es auf
Als Chefredakteur von DOWN BEAT, Jazzredakteur der NEW YORK POST und CHICAGO SUN TIMES und des britischen JAZZ JOURNALs sowie Herausgeber von METRONOME war Dan Morgenstern zeitlebens mit dem Thema Jazz befasst. Er unterrichtete Jazzgeschichte an mehreren amerikanischen Universitäten als Spezialist für Jazzbiografien und war Leiter von „Jazz in the Garden“ am Museum of Modern Art in New York. Morgenstern starb am 7.9. mit 94 Jahren in Manhattan.
Der Hessische Jazzpreis in Höhe von 10.000 €, jährlich vergeben vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, geht in diesem Jahr an das Frankfurter Multitalent John Schröder. Der als „musikalisches Chamäleon“ bezeichnete Gitarrist (sowie auch Schlagzeuger, Pianist und Bassist) wird dafür geschätzt, „in unterschiedlichen Besetzungen Assoziationsräume zu schaffen, in denen seine Kollegen ideal agieren können.“
www.wissenschaft.hessen.de/hessischer-jazzpreis
Das Bayerische Jazzweekend ist mit seinem besonderen Konzept eine feste Größe in der deutschen Festivallandschaft. Ganz Regensburg zelebriert vom 10.-13.7.2025 „Jazz in der Stadt, eine Stadt im Jazz“ mit bekannten und bisher noch unbekannten Jazzer*innen.
Neues aus unserem alpinen Nachbarland: Im Finale des ZKB Jazzpreises beim Festival im Zürcher Jazzclub Moods gewann das Lea Gasser 5tet den mit 15.000 CHF dotierten ersten Preis, der zweite ging an das Chloé Marsigny Sextet, den Publikumspreis erhielt das Maud Paquis Quintet.
Der südafrikanische Schlagzeuger Makaya Ntshoko spielte mit vielen wichtigen Jazzmusikern seines Heimatlandes wie Dudu Pukwana, Hugh Masekela, Dollar Brand, Harry Beckett u.a. International tourte er mit Mal Waldron und Don Cherry und war auch in der europäischen Jazzszene der Siebziger tätig. Darüber hinaus engagierte er sich gemeinsam mit Johnny Dyani im Projekt Jazz gegen Apartheid. Ntshoko verstarb im August im Alter von 84 Jahren.
Caterina Valente war ein Unikat der Musikgeschichte der gesamten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schon als Kind stand sie im Zirkus vor ihrem ersten Publikum. Nach den Wirren von Kriegs- und Nachkriegszeit, die ihre Familie von Breslau in die Sowjetunion trieben und schließlich in Paris landen ließen, machte Valente in Skandinavien und der Schweiz erste Gesangsaufnahmen. Ihre großen Qualitäten als Jazzsängerin entdeckte als einer der ersten Kurt Edelhagen, der sie seit Anfang der 1950er Jahre förderte und 1955 beim 2. Deutschen Jazzfestival in Frankfurt/Main auftreten ließ. Caterina Valente arbeitete mit so unterschiedlichen Künstlern wie Sammy Davis Jr., Chet Baker, Gilbert Bécaud und sogar dem damals 17-jährigen Gitarristen Jimmy Page zusammen. Gleichzeitig gelang ihr aufgrund ihrer Vielseitigkeit und großen Musikalität eine erfolgreiche Karriere in der deutschen und internationalen Unterhaltungsbranche. Caterina Valente starb am 9.9. im Alter von 93 Jahren in ihrer Wahlheimat Lugano.
Der Kathrin-Preis 2025 geht an die Gitarristin Steffi Narr. Das Kathrin Lemke Scholarship for Young Jazz Improvisers wird gemeinsam von Irene Lemke-Stein, der Mannheimer DESTAG-Stiftung, dem Portal www.jazzpages.de, dem Jazzinstitut Darmstadt und JAZZTHETIK alle zwei Jahre in Form einer vollfinanzierten, einwöchigen Werkstattphase in Darmstadt vergeben. Die Übergabe des Preises findet während des Preisträgerinnenkonzerts am 7.6.2025 in Darmstadt statt, wenn Steffi Narr ihr Projekt Transitions Narr/Steidle feat. Saou TV vorstellt.
Was für eine Lebensgeschichte: Der Saxofonist Olaf Kübler lernte bei Kurt Edelhagen Jazz, spielte in Frühzeiten mit Jan Hammer und George Mraz, war Mitglied der Jazz Cookers mit Schoof, Schlippenbach und Liebezeit, spielte mit Westernhagen und hatte Urheberrechtsärger mit seinem Ex-Kollegen Udo Lindenberg. Grund genug, sein Leben aufzuschreiben: Sax oder nie!: Die Bekenntnisse des Johnny Controletti hieß seine Autobiografie in der Neuauflage. Nun ist Olaf Kübler im Alter von 87 Jahren gestorben.
Die JAZZTHETIK muss – wie so viele – den bedauerlichen Preissteigerungen für Druck und Vertrieb ins Auge schauen und den Verkaufspreis für die Printausgabe anheben, allerdings nur um zarte 40 ¢. Ab der Ausgabe 322 (Januar / Februar ’25) kostet das Einzelheft somit 9,40 €. Der Preis für das Jahresabo Print beträgt dann im Inland 50 €. Von der Anhebung nicht betroffen ist das digitale JAZZTHETIK-Abo. Hier landet die neue Ausgabe schon am Tag des Versands im digitalen Postkasten – und das weltweit und ganz ohne horrende Portokosten.
JAZZTHETIK präsentiert
Die Bewerbungsphase für den Deutschen Jazzpreis 2025 hat am 15.10. begonnen. In 11 Kategorien, darunter 3 neue, haben Jazzschaffende die Möglichkeit, herausragende und innovative Projekte oder Leistungen einzureichen.
www.deutscher-jazzpreis.de/bewerbung
Errata
Das bis zum 2.11. in der Metropolregion Heidelberg-Ludwigshafen-Mannheim laufende Festival heißt natürlich mit vollem Namen Enjoy Jazz – Festival for Jazz and More. Außerdem schreibt sich die Leiterin des Jazzfests Berlin selbstverständlich ohne „e“ am Ende: Nadin Deventer. JAZZTHETIK bittet um Entschuldigung für diese Fehler.