Lux Quartet

© Erika Kapin

Das große Leuchten

Die Kraft des Lichts! Lux Quartet – das klingt nach programmatischer Tiefe. Drummerin Allison Miller und Pianistin Myra Melford hegen ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Natur und ihre Prozesse. Doch am Ende geht es vor allem um eines: die Magie des musikalischen Miteinanders.

Von Arne Schumacher


„Wir beide fühlen uns zutiefst verbunden mit der Natur, zum Beispiel was die Inspiration angeht und wie wir ans Komponieren herangehen.“ Allison Miller kommt ins Sinnieren. „Myra und ich haben darüber nachgedacht, was wir empfinden, wenn wir unsere Musik spielen, und welche Richtungen die musikalische Unterhaltung nehmen kann. Auf Lux sind wir gekommen aufgrund der Bedeutung des Lichts für das Leben auf unserem Planeten und der Funken, die ein musikalisches Feuer entfachen.“
Die Schlagzeugerin, die in Brooklyn lebt, ist eine erklärte Aktivistin mit Blick auf Umwelt und Ökologie. Im vergangenen Jahr realisierte sie ein Multimedia-Projekt samt Tanz mit dem Titel
Rivers in Our Veins. Die Auftragsarbeit dreht sich um Wasserläufe als Lebensadern und Symbol für Veränderung und Erneuerung. Die Konzerte der Projektband – mit Carmen Staaf (p) und Jenny Scheinman (v) – nutzt sie, um Initiativen zu unterstützen, die sich für den Schutz von Flüssen engagieren.

„Ich glaube“, sagt sie, „dass sich viele Künstlerinnen und Künstler aus den Erfahrungen der Pandemiezeit heraus noch mehr berufen fühlen, ihr Engagement durch ihr Schaffen auszudrücken. Je älter ich werde, umso mehr wächst mein Bedürfnis, meine Liebe zu improvisierter Musik mit der zur Natur zusammenzubringen.“ Miller lebt seit rund drei Jahrzehnten in New York City. „Ich liebe die Stadt. Aber so sehr New York auch meine Heimat ist, fühle ich mich doch immer noch wie eine Besucherin. Ich muss ab und zu raus in die Natur. Ich spüre mich sonst nicht so, wie ich möchte.“ Das hat mit ihrer frühen Jugend zu tun. „I’m a country girl!“, strahlt sie. „Ich bin auf einer Farm aufgewachsen. Ich hab im Wald gespielt. Bevor es morgens zur Schule ging, habe ich Ziegen gemolken.“ Für den Jazz begeisterte sie sich, weil ihr Vater, ein Toningenieur, im Keller ihres Wohnhauses vor den Toren von Washington D.C. ein Aufnahmestudio betrieb, in dem die kleine Allison viele Jazzgrößen erlebte.

Das Lux Quartet entstand pragmatischer, als es der leuchtende Name vermuten lässt. Allison Miller und Myra Melford – die Pianistin ist eine Generation älter – hatten sich vor zwanzig Jahren in einer Gruppe von Reeds-Spieler Marty Ehrlich kennengelernt. Seither sind sie verbunden. „Myra ist meine Heldin!“, schwärmt Allison. Kein Wunder, dass sie sie seit Jahren immer wieder in Versionen ihrer sich ständig wandelnden Band Boom Tic Boom einbindet. 2016 bot wiederum die Pianistin der Schlagzeugerin einen Trioauftritt mit Scott Colley (b) an – eine rundum positive Erfahrung. „Scott is a beast! Allein was die Ergonomie seines Spiels angeht. Er ist ein Fels und hat einen unfassbaren Vorwärtsdrang.“

© Erika Kapin

Als Covid verblasste und Miller für erste Gigs eine kleinere Ausgabe von Boom Tic Boom zusammenstellen wollte, erinnerte sie sich an das Trio und schlug Melford vor, Dayna Stephens (sax) hinzuzufügen, mit dem sie schon häufiger gespielt hatte. „Die Chemie war toll – es stimmte vom Start weg. Unser Auftritt beim Montreal Jazz Festival gehört zu denen, die ich nie vergessen werde.“

Danach beschlossen die Frauen, endlich in die Tat umzusetzen, was sie schon lange ins Auge gefasst hatten: gemeinsam eine Gruppe zu betreiben – unter einem Bandnamen, der etwas Besonderes vermittelt. „Myra ist die Visionärin, auch musikalisch. Dayna, Scott und ich kommen mehr oder weniger aus einem traditionelleren Straight-ahead-Background, spielen aber lange schon alles. Es entwickelte sich ganz organisch – wir brauchten es nur passieren zu lassen.“ Miller räumt ein: „Jenseits dessen gab es eigentlich kein Konzept. Ich mag besonders, dass es hier keine Grenzen gibt. Und keine Egos. Alle haben weit offene Ohren. So verschieden wir sind – auf der Bühne werden wir zu einem Weidenbaum, der sich wiegt, oder zu einem Fluss. Es fühlt sich an wie ein gemeinsames Meditieren. Neben der wirklich magischen Chemie gibt es unter uns ein tiefes Vertrauen.“ Zum Debüt Tomorrowland haben Melford und Miller je drei Kompositionen beigesteuert, Colley und Stephens je eine.

Allison Miller hat aus der Pandemie heraus zu persönlichen Einsichten gefunden: „Ich möchte so viel improvisieren wie möglich und mich intensiv mit Freund*innen und Musiker*innen austauschen, die das ebenso schätzen. Ich will mich mit Leuten umgeben, die neugierig und offen sind und die sich als Menschen weiterentwickeln wollen.“ An Gelegenheiten herrscht kein Mangel. Neben Boom Tic Boom gibt es die enge Verbindung mit Carmen Staaf. Und es gibt das erfolgreiche Bandprojekt Artemis. Die Frauen-Allstar-Band wird in Kürze ihr drittes Album für Blue Note aufnehmen. Gefragt ist Miller auch als Schlagzeugerin für Singer/Songwriter. Außerdem unterrichtet sie, mit Freude und aus Überzeugung.

Wie kriegt sie all das unter einen Hut? „Nicht immer erfolgreich“, gesteht sie selbstkritisch. Sie hat eine Scheidung hinter sich. Um genug Zeit für ihre beiden Kinder zu haben, vermeidet sie längere Tourneen. Aktuell will sie wieder mehr Zeit zum Komponieren einplanen, demnächst erscheinen Aufnahmen mit Arrangements eigener Stücke für Big Band. Ein spezielles Highlight steht im Oktober im Kalender, kurz vor ihrem 50. Geburtstag: Da führt die Oakland Symphony Bearbeitungen von drei Allison-Miller-Stücken auf. Und schon strahlt sie wieder enthusiastisch.

Aktuelles Album:
Lux Quartet: Tomorrowland (enja / Edel:Kultur)