Helge Schneider

Die Philosophie des Clowns im Jazz

Die Stücke seines neuen Albums Die Reaktion – The Last Jazz, Vol. II heißen etwa „Das alte Klavier“, „Großstadtgemecker“, „Mann ohne Gesicht“, „Gurkenblues“, „Spinett (am Strand)“ oder „Les Baguettes“. Es geht bei Helge Schneider um Musik und das Leben damit, die Leidenschaft für den Jazz und – Ansichten eines musikalischen Clowns.

Von Jan Kobrzinowski

Bei Helge Schneider ist alles anders. Mit ihm gibt es nicht „Helge Schneider – das Interview“, eher ein Gespräch „von Hölzken auf Stöcksken“.

Jan Kobrzinowski: Muss ein Interview mit Helge Schneider eigentlich immer lustig sein?

Helge Schneider: Manchmal ist das Leben lustig, manchmal nicht. Die Aufnahmen, die ich da jetzt gemacht habe, sind ja auch nicht immer lustig.

Jan Kobrzinowski: Vol. II ist ein Mix aus ernstgemeinten Jazzbeiträgen und Dingen aus der Kategorie „Helge Schneider, wie man ihn kennt“. Du machst komische Dinge auf der Bühne und bist ein Musiker, den man ernst nimmt. Wie geht das?

Helge Schneider: Ich glaube, ich bin einfach angstfrei. Es gibt Leute, die gehen auf die Bühne und denken: „Oh, jetzt muss ich etwas bringen.“ Ich bin das Gegenteil. Ich gehe auf die Bühne und denke: „Mal gucken.“ Klar, ich möchte qualitativ gute Musik machen. Der Sound muss stimmen, und mit den Verhältnissen auf der Bühne, Licht etc. gebe ich mir sehr große Mühe. Genauso wie bei dieser Schallplatte. Nun bin ich bei keiner Plattenfirma mehr und kann endlich mal ganz alleine alles zu Ende backen.

Jan Kobrzinowski: Hätte dein Label Dinge von dir gewollt, zu denen du keine Lust hast?

Helge Schneider: Nach dem Canceln der Verträge habe ich gemerkt, dass das alles so viel mehr Spaß macht. Es gibt immer künstlerische Einflussnahme. Die sagen: „Du kannst alles machen, aber möchtest du das denn wirklich?“ Das stellte bei mir das System infrage und ich wollte nicht mehr. Ich will ja Spaß haben. Das ist mein Beruf und das möchte ich vermitteln. Deshalb fühlen sich die Leute in meinen Konzerten wohl. In der jetzigen Situation ist das allerdings schwierig. Die Leute haben Angst, dass es mit dem Virus ab jetzt immer so bleibt. Wenn das so sein sollte, wird es wirklich schwierig, dann macht man Platten, Auftritte vor 40 Leuten. An sich okay, aber gegen meine Art der Improvisation. Die braucht das Publikum. Wo vorher das Publikum war, ist jetzt ein Loch. Und du hast keine Ideen mehr, die aus dem Publikum auf dich überspringen. Die Atmosphäre ist die Mutter der Improvisation. Und das ist jetzt mein höher angelegter Corona-Test, den ich auf der Tour in diesem Jahr noch mache. Wenn das für mich keinen Spaß mehr macht, dann höre ich auch mittendrin auf. Das will ich den Leuten nicht zumuten. Da kann man besser eine Schallplatte kaufen und zu Hause sitzen.

Jan Kobrzinowski: Du bist jetzt altersmäßig eher am Ende der Karriere angelangt. Aber was machen all die jungen Leute in dieser Situation?

Helge Schneider: Furchtbar. Unser jüngster Sohn Charlie spielt ja in meiner Band als Hauptschlagzeuger. Für den mache ich auch so eine Tournee, so passiert wenigstens etwas und wir haben ein bisschen Spaß. Ich würde wohl so eine Tournee unter diesen dürftigen Bedingungen nicht machen, wenn er nicht wäre. Wir müssen irgendwie zusammenhalten und versuchen, aber es gibt natürlich eine Grenze. Eine ist: keine Konzerte in Autokinos. Bei ein paar Konzerten sitzen Leute in Strandkörben. Ich habe ja ein Herz für die Veranstalter, die wirklich bluten müssen, die lassen sich wirklich etwas einfallen.

Jan Kobrzinowski: Du bist auch von berühmten Clowns beeinflusst. Welche sind das?

Helge Schneider: Grock und Charlie Rivel, die waren sehr musikalisch. Grock war ein hervorragender Pianist und Geiger und spielte auch Saxofon. Wenn du als Jazzmusiker außer Orgel und Klavier noch Saxofon, vielleicht auch Schlagzeug und Trompete spielst, dann nimmt dich keiner ernst. Da musst du wirklich einen langen Weg hinter dir haben –wie ich jetzt mit 65. Klar, meine Hauptinstrumente sind Klavier und Hammond-Orgel, aber wenn ich mal wieder das Saxofon auspacke, macht es mir wahnsinnig Freude. Das ist nicht so einfach in der Jazzwelt für einen wie mich. Die Leute vermuten einfach bei einem Clown keine Tiefe. Dabei ist das Philosophische beim Clown mindestens genauso hoch angesiedelt wie bei Charlie Parker, der ja nur einen Satz brauchte, um zu sagen: „Now’s the time“. Das wurde damals von den Beatniks bis ins Kleinste analysiert. Auch ich erlebte die tollsten Analysen meiner Songs. Aber ich finde, Jazz wird gemacht und sollte nicht theoretisiert werden.

Jan Kobrzinowski: Hast du alles alleine eingespielt auf Die Reaktion?

Helge Schneider: Nur auf „The Tadd Walk“ spielt mein Sohn Schlagzeug. Ansonsten spiele ich mit großem Spaß alles selber. Auch Kontrabass. Mit etwa zwölf Jahren lernte ich Klavier und Cello. Ich ging mit meinem Konfirmationsgeld in ein Geschäft: „Gibt‘s hier vielleicht für 300 Mark ein Saxofon oder ‘ne Gitarre?“ Der holte einen Kontrabass raus – für 250 Mark. Dann habe ich den nach Hause geschleppt, und seitdem spiele ich auch Kontrabass. Ich dachte immer, wenn ich nichts anderes werde, dann spiele ich eben Bass.

Jan Kobrzinowski: Übrigens: was war denn eigentlich mit Vol. 1?

Helge Schneider: 1987 habe ich schon mal Aufnahmen gemacht, auf denen ich alles selbst gespielt habe. The Last Jazz. Tenorsaxofon, Schlagzeug und Kontrabass. Wie beim klassischen Sonny Rollins Trio. Übrigens: Ich habe ein paar Platten in meinem Leben gehört, aber die Live-Sachen bleiben hängen – für immer. Ich habe Art Blakey, Elvin Jones, Sammy Davis, Sinatra, Rollins, Illinois Jacquet gesehen, Milt Buckner an der Orgel. Und Teddy Wilson, Dexter Gordon und Arnett Cobb, der war der Anstoß, mir ein Tenorsaxofon zu kaufen. Und dass ich eine Weile mit Jimmy [Woode] spielen konnte, hat mir so viel gebracht. Allein aus seinen Geschichten habe ich so viel gelernt. Er war offen für alles und wollte selbst immer dazulernen.

Jan Kobrzinowski: Du hast vor Jahren mal einen Artikel für JAZZTHETIK geschrieben. Über das Moers Festival, aus der Sicht des Musikers.

Helge Schneider: Ja, furchtbar. Ich habe über volle Toiletten geschrieben. Und der einzige Lichtblick war Nusrat Fateh Ali Khan. Und ich schrieb: Der Sowieso spielte sich in einem viel zu eng sitzenden Babyanzug selbst in den Schlaf. Eine Persiflage auf die Jazzkritiker. Ein Freund und ich gingen früher zu Konzerten, und wir saßen in der ersten Reihe, jeder eine Pfeife im Mund, ‘ne Brille auf und einen Block in der Hand, und wir haben mit kritischem Blick Notizen gemacht.

Helge Schneider arbeitet emsig daran, dass Jazz „mal wieder ein bisschen Fahrt kriegt“. Die Leute kommen in seine Konzerte und sagen: „Das war toll.“ Und dann fragt er sie: „Wie findest du denn Jazz?“ – „Oh, Jazz mag ich gar nicht so.“ Und er: „Das war Jazz, was du gerade gehört hast. Jazz ist nicht nur, wenn Till Brönner bei Obama auftritt. Jazz ist da unten, im Basement.“

Aktuelles Album:

Helge Schneider: Die Reaktion – The Last Jazz, Vol. II (Railroad Tracks / Broken Silence)