Lisa Bassenge © Dovile Sermokas

Lisa Bassenge

Szenen einer Ehe

Fragt man die Berliner Sängerin Lisa Bassenge, nach welchen Kriterien sie das Material ihres neuen Albums ausgewählt hat, erfährt man, dass es sich um ein Gemeinschaftswerk mit ihrem frisch angetrauten Ehemann, dem dänischen Kontrabassisten Andreas Lang, handelt.

Von Victoriah Szirmai

Deshalb auch der Titel Borrowed and Blue, der auf den Hochzeitsbrauch ,Something old, something new, something borrowed, something blue‘ anspielt“, erzählt sie. „Es sind alles Songs, die mein Mann und ich an einem bestimmten Punkt unserer Beziehung gehört haben, etwa, als wir zum ersten Mal zusammen Auto gefahren oder zum ersten Mal miteinander verreist sind.“

Man könnte befürchten, um die Beziehung sei es nicht zum Besten bestellt: Alles hier ist düster und weh, es geht um verlorene Liebe, Schmerz und Tod. Dabei sind Bassenge und Lang mit ihrem gemeinsamen Baby privat überglücklich. Ist es nicht seltsam, musikalisch im Verlassensein zu versinken, nur um kurz darauf fröhlichem Familienleben zu frönen? „Diese Art von Musik ist künstlerisch einfach viel interessanter als so ein Happy-Happy-Gefühl“, sinniert Bassenge. „Und nicht zuletzt lassen sich damit bestimmte Aspekte des Lebens in die Kunst auslagern.“

Tatsächlich wiegt Borrowed & Blue mit seinem countryesk-schunkelnden Patsy-Cline-Auftakt „Three Cigarettes in an Ashtray“ dann auch nur kurz in trügerische Sicherheit, denn nicht einmal dieser Lazy-Sunday-Morning-Sound kann darüber hinwegtäuschen, dass hier mehr lauert. Und so wird es auch schon auf „I Feel Like Breaking Up Somebodys’s Home“ mehr als nur untergründig bedrohlich, wobei Bassenge und ihre Begleiter den Albert-King-Blues dank klanggewordenem Nimmermehr-Gefühl in reduziertem Dunkelmoll zum perfekten Torch Song wandeln.

Kleine Cafés, Parks mit alten Kastanienbäumen und natürlich auch Phantomspiegelungen des verlorenen Liebhabers werden mit dem Billie-Holiday-sings-Sinatra-Klassiker „I’ll Be Seeing You“ wehmütig heraufbeschworen, während die Warren-Zevon-Nummer „Keep Me in Your Heart for a While“ trotz des sich abzeichnenden Abschieds derart laid back klingt, dass sich leicht nachvollziehen lässt, weshalb „Whiskey, Weed and Warren Zevon“ zum geflügelten Wort wurde. Tatsächlich jedoch handelt es sich um den letzten Song, den der US-Amerikaner je geschrieben hat: „Er war schon total vom Krebs zerfressen, hat ihn dann aber noch zu Hause eingesungen, damit er auf seiner letzten Platte erscheinen konnte“, erklärt Bassenge, die auch auf dem folgenden „My Man’s Gone Now“ ausgiebig dem Verschwundenen nachtrauert. Vor allem der schuberteske Piano-Unter-, wenn nicht gar -Abgrund macht die Platte spätestens zum romantischen Liederzyklus. Bassenge klagt sich herzzerreißend durch den Song, an dessen Ende ein „Promised Land“ winkt, das hier als Euphemismus fürs Jenseits verstanden werden will.

Der warme Bass-Sound, der die Townes-Van-Zandt-Nummer „I’ll Be Here in the Morning“ eröffnet, lindert den allergrößten Schmerz; und wenn sich erst das Klavier zum Dialog der Eheleute gesellt, entfaltet sich Klarheit darüber, dass das Stück nicht auf den Liebsten abzielt, sondern vielmehr Versprechen von Mutter zu Kind ist, am Bett zu wachen, bis alle nächtlichen Schatten wieder verschwunden sind. „Ich habe einfach nur versucht, dieses Gefühl von Nähe, von Innigkeit zu transportieren“, so Bassenge. „Mich berührt dieses Stück immer sehr – es ist einfach ein krass schöner Text.“ Tatsächlich treibt es einem die Tränen in die Augen, wenn die letzte Zeile ahnen lässt, dass es sich nicht nur um eine durchwachte Nacht handelt, sondern um die gesamte Spanne, die das Kind im Haus der Mutter verbringt, um irgendwann seiner eigenen Wege zu gehen. Starke weibliche Familienbande klingen auch im Bill-Withers-Klassiker „Grandma’s Hands“ an, dessen Intensität sich einzig mit der Bassenge-Komposition „Barbed Wire“ vom jüngsten Micatone-Album The Crack messen lässt, womit die Sängerin das Image der edlen Electropop-Chansonnière wohl endgültig hinter sich gelassen hat.

So ist das in nur einem Take und vier Stunden aufgenommene Borrowed and Blue dann auch eine Platte, bei der stets ein Hauch Abgeklärtheit mitschwingt, die sich mit zunehmendem Lebensalter einstellt – ob als zartes Erstaunen, dass nach so vielen Jahren der alte Funke immer noch glimmt, wie auf „Still Crazy After All These Years“ oder dem Beatles-Klassiker „Norwegian Wood“, für den Bassenge sich in die Rolle des männlichen Akteurs wagt. Die behält sie auch auf dem Hank-Williams-Senior-Closer „Ramblin‘ Man“ bei, der das erste „I Love You“ der Platte ausspricht – natürlich nicht, ohne ein „Aber“ folgen zu lassen.

Und dann finden Kunst und Leben doch noch zueinander. „Mein Hauptgrund, diese Platte zu machen, war die Freiheit von Angst. Ich hatte jahrelang viel zu oft mit Leuten gespielt, die nicht richtig anerkannt haben, was ich mache. Das hat sich durch dieses Trio komplett aufgelöst. Für uns ist Musik in erster Linie Heilung und Trost. Es geht nicht darum, alles richtig zu machen – man darf auch Spaß haben!“ Hierzu hat Lisa Bassenge die richtigen Verbündeten gefunden. Jacob Karlzon am Klavier gelingt es, den intimen Zwiegesang des Ehepaars nie zur Ménage-à-trois geraten zu lassen – und gerade das macht ihn so unersetzlich in einem Trio, das zu den besten Besetzungen gehört, in denen die Sängerin je gespielt hat.

Aktuelle CD:

Lisa Bassenge: Borrowed and Blue (Herzog / Soulfood)