Von Holger Pauler. Das Züricher Taktlos fand in diesem Jahr zum 35. Mal statt. Nach dem Rückzug des langjährigen Machers Fredi Bosshard ist nun eine jüngere Crew aus Musikern für das Festival zuständig. Sie setzt auf wechselnde Kuratoren und neue Spielorte. Der Schlagzeuger Lucas Niggli war für das erste Programm nach dem Neustart zuständig, und statt der Roten Fabrik war nun das Kanzleiareal in der Innenstadt Treffpunkt der Avantgarde. Der Umzug tut dem Taktlos gut: Rund 400 Besucher kommen an den drei Abenden, und auch die Größe der Spielstätten erweist sich als angemessen. Der Kanzleiclub als Zentrum des Festivals ist an allen drei Abenden gut gefüllt. Und vielleicht liegt es auch an der Location, dass sich unter die mittlerweile leicht ergrauten Stammgäste auch etliche junge Hörer mischen: Normalerweise finden hier Dancefloor-Veranstaltungen statt.

Kurator Lucas Niggli selbst ist zweimal im Einsatz: Mit dem Power-Trio Steamboat Switzerland und im Trio mit Matana Roberts (sax) und Alexander Hawkins (p). Beim Heimspiel von Steamboat Switzerland – neben Niggli stehen Dominik Blum (org) und Marino Pliakas (b) auf der Bühne – geht es sofort zur Sache: Es hämmert, dröhnt, vibriert. Themen werden durch Handzeichen oder laute Schreie angekündigt und ebenso abrupt beendet. Notenblätter fliegen durch die Luft – eine intensive Stunde im Teilchenbeschleuniger.

Das Trio Roberts-Hawkins-Niggli verzichtet hingegen komplett auf komponierte Parts. Mitunter übertreiben es die Musiker und zeigen zu viel von ihrem Können. Vor allem Hawkins und Niggli hätte man einige Pausen gegönnt, damit Roberts‘ Saxofon mehr Raum und Zeit gehabt hätte, sich zu entfalten. So bleibt es bei guten Ansätzen. Die aus dem Umfeld der Chicagoer AACM stammende Roberts war am Abend zuvor bereits solo zu hören: Interaktive Atemübungen und klagende Saxofonpatterns werden begleitet von einer Stimme, die zwischen Erzählung und Gospel wechselt. Dazu laufen Bilder über die Leinwand, die Geschichten aus 300 Jahren Unterdrückung und Emanzipation der afroamerikanischen Community in den USA erzählen. Eine beeindruckende Performance.

Das Wiener Trio Radian existiert seit mehr als 20 Jahren. Die Gruppe entwickelt ihre brachialen Sounds und psychedelischen Klangteppiche auf konventionelle Weise: Gitarre, Bass und Schlagzeug. Natürlich spielen Effektgeräte dabei eine ebenso große Rolle wie die Fertigkeiten der Musiker. Ein sehr homogener Auftritt, dem man etwas mehr Lautstärke gewünscht hätte.

Ein Schwerpunkt des Festivals liegt auf der Neuen Musik. Niggli hatte „so viele Notenständer wie noch nie“ angekündigt: Das Trio Diamanda La Berge Dramm (viol), Ian Pace (p) und Jürg Frey (cl) hat zwei Stücke der Komponistin Galina Ustwolskaja, „Trio2“ und „Violin Sonata“, sowie die Komposition „Haut Jorat“ von Jürg Frey im Repertoire. Während „Trio“ und „Haut Jorat“ eher flüchtig vorgetragen werden, hinterlässt die Interpretation von „Violin Sonata“ tiefere Spuren. Dramm stimmt ein Ostinato an, das vom Klavier leicht variiert wiederholt wird – es klingt wie ein Echo aus der Ferne.

Für den Abschluss hat Niggli den Rapper und Mulitiinstrumentalisten (dr, synth u.a.) Kœnig ins Volkshaus eingeladen. Der Österreicher bewegt sich erschreckend zielsicher zwischen Roots, HipHop und Disco. Instrumente, Elektronik und Stimme benutzt er teilweise gleichzeitig – eine koordinative Meisterleistung. Am Ende tanzen nicht nur der Kurator und sein Team.