Marius Neset & London Sinfonietta

Viaduct

ACT / Edel:Kultur

4,5 Sterne

Der norwegische Tenorsaxofonist Marius Neset wandelt zwischen den Welten, im Jazz ist er ein ausdrucksstarker Solist mit eigenem Sound, als Komponist ist er ebenso in der klassischen Klangsprache versiert und versteht es, zeitgenössische Musik für Orchester zu schreiben. Mit der London Sinfonietta (unter Leitung von Geoffrey Paterson) hat er schon auf dem Echo-nominierten Album Snowmelt zusammengearbeitet. Auf Viaduct lässt Neset seinem unglaublichen Quintett mit Ivo Neame am Klavier, Jim Hart an Vibrafon, Marimba und Percussion, Petter Eldh am Kontrabass und Anton Eger am Schlagzeug genug Raum, frei zu improvisieren, doch das passiert erst im weiteren Verlauf der CD, es ist ein Stück Weg dorthin. Zu Beginn des Albums ist das Quintett eingebettet in den Klang des großen Ensembles. Viaduct beginnt ungestüm mit aggressivem Orchester-Klang in wilden Melodiefetzen, doch schon „Part 1b“ ist versöhnlicher mit sanftem Soloviolinen-Linien, die nach moderner klassischer Musik klingen. Marius Neset hat den Beginn seines Albums durchkomponiert, mit klaren Übergängen, nichts ist dem Zufall überlassen. So erscheinen erst am Ende der ersten Hälfte der beiden 30-minütigen Viaduct-Teile kurze, druckvolle Solospots von Saxofon, Bass und Drums, dann übernimmt das komplette Quintett mit repetitiven Tonfolgen die Begleitung und agiert als Jazzquintett weiter, bevor das Orchester wieder mit Wucht dazukommt. Neset verschmilzt – wenn nötig – genauso wie seine Quintettkollegen perfekt mit dem Orchesterklang. Ein wahres Klangkunstwerk.

Angela Ballhorn

Jan Garbarek / The Hilliard Ensemble

Remember Me, My Dear

ECM / Universal

4 Sterne

Eine ungewöhnliche musikalische Kombination: Vor 26 Jahren führte ECM-Chef Manfred Eicher den norwegischen Saxofonisten Jan Garbarek mit dem Hilliard Ensemble zusammen. Das britische Vokalquartett hatte sich in den vierzig Jahren seiner Existenz der mittelalterlichen Vokalmusik verschrieben, unternahm aber auch Ausflüge in zeitgenössische Gefilde. Das Ergebnis war ein voller Erfolg. Garbarek, der sich in seiner nunmehr fünfzigjährigen Karriere von einschmeichelnden Klängen bis hin zu schroffen Jazz-Experimenten eine breite Ausdruckspalette erspielt hat, konnte sich damit neue musikalische Horizonte erschließen, und das Hilliard Ensemble fand nunmehr auch jenseits der Vokalmusik große Resonanz. Vor genau fünf Jahren konzertierten Garbarek und das Ensemble zum letzten Mal zusammen. Aufgezeichnet wurde ein Auftritt in einer Schweizer Kirche. Vierzehn Stücke entstanden dabei. Anonyme sakrale Lieder, Vorlagen von Hildegard von Bingen, Kompositionen von Arvo Pärt, aber auch von Garbarek selbst ergeben ein sehr wechselvolles Programm. Fast orientalisch klingt der Opener „Ov zarmanali“. Garbarek beginnt die Melodie allein, wird dann kaum hörbar vom Ensemble begleitet. Das hat nichts mit dem Wohlklang zu tun, den man den gefälligeren Einspielungen gerne zuschreibt. Erst gegen Mitte des Stücks erstrahlt der Klang des Quartetts in voller Stärke. In dem vielfältigen Repertoire begegnen sich die Genres oft auf überraschende Weise. So erklingt das um 1200 von Perotin komponierte „Alleluia nativitas“ fast wie ein swingender Gospel. Eine Aufnahme, die mehrfaches Hören lohnt.

Andreas Schneider

Kraan

The Trio Years – Zugabe

36 / Broken Silence

3,5 Sterne

Kraan, unkaputtbares deutsches Krautrock-Urgestein mit Jazz- und World-Appeal, legt noch mal nach (der Vorgänger war The Trio Years – Live) und macht deutlich, was eine richtige jazz/rockige Jamband ist. Das wird allzu klar, wenn man nach den fünf Live-Tracks (Material aus den Jahren zwischen 2008 und 2017) die drei Studio-Titel zum Vergleich heranzieht. Während die Live-Nummern die nötige Energie und den nötigen Druck besitzen, nehmen sich die Studio-Stücke eher brav und radio-poppig aus und machen irgendwie keinen Sinn, was die Konzeption der Veröffentlichung betrifft. Sie wirken wie Füllsel, um die CD vollzupacken. Auf dem abschließenden „Jam No. 2“ – vom Soundcheck in der Offenburger Reithalle 2014 zwischen Bühnenaufbau und Publikumseinlass ohne Wissen der Band mitgeschnitten – gehts noch mal wie zu Beginn richtig kraanig zur Sache. Helmut Hattler (b), Jan Fride (dr) und Peter Wolbrandt (g) sind dann am besten, wenn sies fließen lassen können, wobei man sich weniger auf all zu starre Vorlagen zu verlassen scheint als vielmehr auf die jahrzehntelange gemeinsame Spielpraxis, die die spontanen Wendungen im musikalischen Ablauf erlaubt.

Andreas Ebert