Tonspuren

Riopy

Riopy

Warner

4,5 Sterne

Katharsis. Läuterung. Rettung. Solcherlei Begriffe gebraucht der 1983 geborene französische Pianist Jean-Philippe Rio-Py, dessen Karriere begann, als er 2004 nach London ging und anfing, öffentliche Konzerte zu geben, für sein Debütalbum. Tatsächlich ist den sechzehn Eigenkompositionen, deren Spieldauer sich zumeist im Radioformat bewegt, bei aller geschliffenen Brillanz in Sachen perlender Anschlagskultur eine gewisse Getriebenheit zu eigen. Dieser manische Zug äußert sich zwar manchmal manifest wie in den die Bewegung des melodischen Motivs geradezu fliehenden Vorhalten von „I Love You“ oder „Attraction, häufiger aber bleibt er, etwa bei „On a Cloud“ oder „Golden Gate“, als lediglich unterschwelliger Impuls spürbar. Denn insgesamt ist Riopy ein ausgesprochen inniges, intim klingendes, von kammermusikalischer Zart-, ja Zärtlichkeit erfülltes Album voller Klaviermusik. Der erwähnten subkutanen Emergenz und Dringlichkeit fällt dabei die Aufgabe zu, die hoch emotional aufgeladene Musik vor dem an manchen Stellen lauernden Absturz ins Richard-Claydermanhafte zu bewahren. Dass Rio-Py bislang vor allem als Filmkomponist mit der Vertonung von Trailern, Werbeclips und Dokumentationen aufgefallen ist, fügt sich dennoch gut ins Klangbild: Wie er die neoklassische Klavierliteratur von Komponisten wie Erik Satie oder Ludovico Einaudi und die Minimal Music eines Philip Glass oder Michael Nyman auf die romantische Tradition von Chopin und Schubert zurückführt, zeugt von einem eklektischen Geschick, das Komponisten wie Hans Zimmer auszeichnet. Highlight: „And So Forth“ – da ist’s dann auch zu Brad Mehldau nicht mehr weit. Bemerkenswerter Einstand.

Harry Schmidt

Henri Texier

Sand Woman

Label Bleu / Broken Silence

4 Sterne

Seit den Sechzigern ist der Bassist aktiv, begleitete damals die in Pariser Clubs gastierenden Amerikaner Johnny Griffin, Don Cherry und Bud Powell. Später spielte er in der European Rhythm Machine von Phil Woods auch mit Joachim Kühn oder Steve Swallow. In Henri Texiers aktueller, mit jungen Musikern besetzten Gruppe spielt, wie schon seit einigen Jahren, auch wieder sein Sohn, der Altsaxofonist und Klarinettist Sebastien Texier und zum zweiten Mal der Gitarrist Manu Codjia mit. Und diese beiden sind es auch, die mit einfallsreichen frischen Tonfolgen jegliche Andeutung von Nostalgie in ungeahnte Gegenwartsmusik versetzen. Insgesamt mehr als eine Stunde intensiver und reichhaltiger Musik, in der die Interventionen aller Beteiligten ein wahrer Genuss sind. Und obwohl die Neuinterpretationen der älteren Texier-Kompositionen Amir“, „Les Là-Bas“ und „Quand Tout S‘Arrête“ in ihren Grundzügen erkennbar bleiben, geben ihnen die eleganten Veränderungen eine zwanglose Eingängigkeit, die es so nur vom scheinbar ewig jugendlichen Tieftöner Henri Texier zu hören gibt. Ein aufrichtiger Musiker, der nichts mehr zu beweisen hat, der seine Kunst perfekt beherrscht und eine unerschöpfliche Großzügigkeit gegenüber seinen Mitspielern besitzt.

Olaf Maikopf

Achim Kirchmair Trio

Going to Ladakh

o-tone / Edel:Kultur

4 Sterne

Der Tiroler Gitarrist Achim Kirchmair ist seit einem Vierteljahrhundert auf der europäischen Jazz-Szene präsent. Projekte wie Dee Dolen (im Duo mit der Sängerin Ingrid Moser) weisen den Jazzer als musikalischen Weltenwanderer aus, wobei der alpenländische Raum nur ein Fixpunkt in Kirchmairs Universum ist. So ist sein Trio ungewöhnlich instrumentiert. Nicht etwa ein akustische

r oder elektrischer Bass gehört zur Besetzung, sondern tatsächlich eine Tuba. Tubist Ali Angerer ist ein gewichtiger kreativer Gegenp

ol zum Bandleader. So beginnt der Opener „San Pol“ mit aberwitzigen, rein akustischen Klangexperimenten Angerers. Doch schwer verdaulicher Avantgardejazz ist die Sache dieses Trios nicht. Kirchmair liebt schöne Melodien, lässt seine E-Gitarre auch schon in kratzigen Sound-Gefilden zwischen Chicago Blues und Tom Waits streunen oder brilliert in poetischen Klangmalereien in der Art Terje Rypdals, allerdings sparsamer arrangiert. Ein Stück wie „On the Road“ fließt und perlt wie ein entschlackter Pat Metheny zu einem fast countryartigen Beat. Das Titelstück ist ein stimmungsvolles Gemälde, das nach einem sphärischen Intro in einen beschwingten Jazz-Walzer mündet. Gut gelaunte Latin-Themen wie „Bilk“ runden ein gelungenes Album einer originellen Formation ab, die man sich gut in livehaftiger Form vorstellen kann.

Andreas Schneider