Adrian Younge

Jazz ist Dad, HipHop ist Mama

Im Herbst kommt Adrian Younge nach Europa, um zwei seiner Lebensprojekte vorzustellen: seine just vervollständigte Trilogie Something About April, sowie ein Showcase des Labels Jazz Is Dead, das der Produzent, Komponist und Multiinstrumentalist aus Los Angeles betreibt.

Von Eric Mandel

Jazz Is Dead wurde 2020 aus der Taufe gehoben. Die erste Veröffentlichung war eine Kompilation mit Aufnahmen verschiedener Künstler, die bereits auf beeindruckende Backkataloge zurückblicken konnten: Roy Ayers, Gary Bartz, Brian Jackson und Doug Carn sowie die Brasilianer João Donato, Marcos Valle und Azymuth. Sie alle veröffentlichten im Abstand weniger Monate eigene Alben auf dem jungen Label – allesamt mit neuem Material. Seitdem ist die Serie kontinuierlich gewachsen.

Younges Partner bei Jazz Is Dead sind Ali Shaheed Muhammad, bekannt als Teil der einflussreichen HipHop-Gruppe A Tribe Called Quest, ihr gemeinsamer Manager Andrew Lojero sowie Adam Block, der vorher u.a. für Sony arbeitete. Letztere kümmern sich darum, das Label durch eine von Streamingdiensten verwüstete Musikindustrielandschaft zu navigieren. Das musikalische Tagesgeschäft aber liegt in den Händen von Younge und Muhammad, die seit mehr als zehn Jahren erfolgreich zusammenarbeiten. Younge erinnert sich: „Wir lernten uns 2012 oder 2013 kennen und wurden sofort enge Freunde. Ich bat ihn, mit mir an einem Souls-of-Mischief-Album zu arbeiten, und er half mir dabei. Danach komponierten wir die Musik für Marvels [TV-Serie] Luke Cage. Außerdem gründeten wir unsere Band The Midnight Hour und veröffentlichten damit ein Album. Und dann gründeten wir zusammen Jazz Is Dead.

Jazz Is Dead ist also ein Jazzlabel, das von zwei HipHoppern geleitet wird, die durchs Plattenhören zum Jazz kamen. Muhammad holte mit A Tribe Called Quest bereits 1990 Ron Carter ins Studio, um Kontrabass für ihr Album The Low End Theory einzuspielen. Später war er Teil der Produzenten-Clique The Umma (mit Q-Tip und J-Dilla) und der R&B-Formation Lucy Pearl. Der acht Jahre jüngere Younge fertigte seine ersten Beats auf dem bewährten MPC-Sampler und produzierte bald Songs für Ghostface Killah, PRhyme (DJ Premier und Royce Da 5’9’’) und Kendrick Lamar.

Er legt Wert auf die Feststellung, dass er seit den späten Neunzigern keine Instrumentalparts von Platten gesampelt hat, denn mittlerweile beherrscht er genügend Instrumente, um notfalls alle Spuren eines Albums selbst einzuspielen. Er lässt sich nicht lumpen, jemanden zu engagieren, der den Job besser machen kann, oder ein Streicherensemble ins Studio zu holen, wenn es dem Vibe dienlich ist. Nur in einer Hinsicht würde er niemanden außer sich selbst Hand anlegen lassen: beim Engineering. Er lächelt breit: „Yeah, ich lasse niemanden meine Musik produzieren. Ich mach das ja auch schon sehr lange, und ich habe einfach meinen eigenen speziellen Sound. Alles, was ihr von mir hört, kommt von Tonband. Ich nehme nie digital auf, ich bin ein komplett analoger Typ.“

So erschöpft sich der serielle Charakter von Jazz Is Dead nicht im einheitlichen Hüllen-Design. Jedes Album ist von Younge und Muhammad konzipiert und in Younges Linear-Lab-Studio in Highland Park im Nordosten von L.A. produziert worden, oft in Verbindung mit einem Konzert der beteiligten Künstler. Younge erläutert seine Methode: „Wir wollten ein Jazzlabel gründen, das die Art von Jazz repräsentiert, die wir mögen – diesen analogen funky-psychedelischen Soul-Jazz der späten 60er und 70er Jahre –, und alles komplett analog aufnehmen. Wir wollten mit Künstlern aus aller Welt zusammenarbeiten, insbesondere mit brasilianischen Künstlern wie Marcos Valle, Hyldon, Dom Salvador und all diesen verrückten ikonischen Leuten. Wir wollten Konzerte mit ihnen veranstalten und sie in mein Studio holen, um sie so aufzunehmen, wie sie selbst in ihren 20ern oder 30ern aufgenommen haben, mit Tonband und echten Instrumenten – es gibt in meinem Studio keine Computer. Wir wollten Platten für Leute wie uns machen, die gerne in den Kisten wühlen, um diese verrückten coolen Platten der 60er und 70er zu finden.“

Gras im Studio

In diesem ehrgeizigen Geist konnte das Label mit dem Album des brasilianischen Pianisten Dom Salvador zuletzt seine 24. Katalognummer feiern. Zuvor haben US-Jazzer wie Gary Bartz, Lonnie Liston Smith, Doug Carn, Wendell Harrison und Phil Ranelin, Brasilianer wie Marcos Valle, Azymuth, João Donato, aber auch westafrikanische Promis wie Tony Allen und Ebo Taylor im Linear Lab aufgenommen und auf Jazz Is Dead veröffentlicht. Dazu kommen einige Remixe und Instrumental-Versionen.

Auf die Frage nach seinen schönsten Session-Erinnerungen, gerät Younge ins Schwärmen. „Ich kann von einigen meiner Lieblingsmomente erzählen. João Donato ist jemand, mit dem wir zusammengearbeitet haben und der nicht mehr unter uns ist. Mit ihm zusammenzusitzen und über seine Musik zu sprechen, zu sehen, wie er sein dickes João-Donato-Buch auf das Klavier legt, um Musik zu machen, die andere Menschen glücklich macht! Er erzählte uns, wie er mit der Posaune anfing und dann zu den Keyboards wechselte, und das konnte ich in seiner Musik und seinen Melodien hören. Er erzählte, wie er in Los Angeles in den 60ern fürs Grasrauchen verhaftet wurde – und er rauchte Gras in meinem Studio. Die einzigen Leute, die in meinem Studio Gras rauchen dürfen, sind er und Snoop Dogg“, stellt er lachend klar. Dann erwähnt er weitere Altmeister, die er noch kurz vor ihrem Tod im Studio begrüßen konnte: Tony Allen, dessen Jazz-Is-Dead-Album seine wohl letzte Aufnahme darstellt, und Mamão Ivan Conti von der brasilianischen Fusion-Band Azymuth.

An künstlerische Schwierigkeiten kann er sich nicht erinnern. Er gehe nur mit Leuten ins Studio, mit denen er eine spirituelle Verbindung habe. Er erinnert sich eher an technische Herausforderungen, die seinen Perfektionismus verdeutlichen: „Ein Beispiel ist ein Album, das noch nicht erschienen ist, mit zwei Musikern aus Bahia. Das war anspruchsvoll, weil wir nur Schlagzeug, Gesang und Gitarre aufgenommen haben. Ali hat bei einem Song Bass gespielt, aber alles andere musste ich quasi alleine spielen. Es hat ewig gedauert, die Musik zu analysieren, alles zu transkribieren und dann einzuspielen: Keyboards, Flöten, Saxofone, einfach alles. Aber das macht Spaß. Ich liebe es.“

Obwohl Younge seine Worte cool und besonnen wählt, ist die darunter schlummernde Leidenschaft ansteckend. Und obwohl er beim Blick auf die Realitäten des Musikmarktes aus dem Seufzen kaum noch herauskommt, geht sein Blick nach vorn. Sechs abgeschlossene Produktionen warten auf ihre Veröffentlichung. Im Herbst wird er mit ausgewählten Musikern die analoge Konversation von Jazz Is Dead u.a. beim Heidelberger Enjoy Jazz und auf dem Hamburger Überjazz-Festival fortsetzen. Mit komplettem Orchester im Rücken wird er seine Album-Trilogie Something About April aufführen und dabei selbst als Bassist, Keyboarder und Dirigent fungieren.

Termin:

7.11. Enjoy Jazz Festival, Heidelberg Congress Center: Jazz Is Dead mit Gary Bartz, Bilal, Adrian Younge