In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!
Maite Hontelé & Ramón Valle
Havana
IN + OUT
4,5 Sterne
Nach fünfjähriger Pause meldet sich nun die niederländische Trompeterin Maite Hontelé mit einer neuen Produktion zurück. Diese ist ganz ihrer großen Liebe zur kubanischen Musik gewidmet, denn schließlich hatte Hontelé hier bereits im Studium einen Schwerpunkt ihres Schaffens gelegt. Als geradezu kongenialen Partner holte sie den Pianisten Ramón Valle an ihre Seite. Hier haben sich zwei musikalisch gefunden: hier die Niederländerin, die sich schon früh in die lateinamerikanische Musik verliebte, andererseits der gebürtige Kubaner, der aus der Klassik kommt und sich frei von allen Klischees der Musik seiner Heimat widmet. Mit Havana setzt das Duo auch seiner musikalischen Freundschaft ein Denkmal. Die neun Tracks sind größtenteils Eigenkompositionen, in denen sie als gleichberechtigte Partner zu hören sind. Hontelé greift hier wieder zum Flügelhorn, das für einen besonders weichen Klang sorgt. Die intime Duo-Besetzung kommt dem Spiel zugute: Auch in ihren Improvisationen wirken die beiden bestens aufeinander abgestimmt und lassen einander dabei viel Raum. Die Stücke greifen ganz alltägliche, teils auch sehr persönliche Themen auf: „Havana Morning Light“ fängt den Zauber eines Morgens ein, „Johanna“ hat Valle seiner Nichte zum 15. Geburtstag geschenkt, „Tributo“ ist eine Hommage an Keith Jarrett. Hontelé übernimmt hier nie eine Art Solopart, vielmehr agieren beide immer gleichberechtigt und spielen sich die Bälle zu. So wird aus Havana eine gemeinsame entspannte Liebeserklärung an die kubanische Hauptstadt.
Verena Düren
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Meredith Monk and Vocal Ensemble
Cellular Songs
ECM new series / Universal
5 Sterne
Erweiterte Vokaltechniken, interdisziplinäre Performancekunst, vokale Gesten, Body Percussion, dazu manchmal Geige, Klavier, Vibraphon – mehr ist da nicht. Beziehungsweise: aus diesen Bestandteilen hat Meredith Monk eine Sequenz von Liedern erschaffen, die sie Cellular Songs genannt hat. Zellen sind basale Bausteine der Welt und des Lebens und enthalten Botschaften, die stets über sie hinausweisen. Jeder Cellular Song hat Textur, Architektur, Klangfeld, klare Stimmung und eine umsichtige Dramaturgie. Schon beim Nur-Hören entsteht der Eindruck einer komplexen und tiefgründigen theatralen Performance. Nur einer dieser Songs („Happy Woman“) hat etwas wie einen Text, der Song selbst ist gebaut wie die anderen: Zu einem stimmlich exponierten oder per Body Percussion entfalteten Motiv gesellen sich Überlagerungen, Variationen, Entwicklungen, Weitererzählungen. Die Konstruktion folgt Kompositionsweisen einer Minimal Music, aber macht sich nie selbst zum Gegenstand. Es geht immer um eine Aussage über … ja, worüber? Das Leben und seine Zellen? Das Universum und Arten, sich darin zu bewegen? Schwer zu sagen. Aber ganz wunderbar zu hören, was da geschieht. Es ist eine Art multidimensionale Klangskulptur, die immer wieder von den vier Vokalistinnen, unterstützt von John Hollenbeck, mit atemberaubender Sicherheit live vor den Ohren und (inneren) Augen des Publikums gefertigt und geformt wird. Ein singuläres, bei aller Abstraktion erstaunlich bildkräftiges Hörerlebnis, das Imagination in Gang setzt und über das es noch viel zu sagen gäbe. Aber wohl nie wirklich genug.
Hans-Jürgen Linke
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Knobil
Knobilive in Cully Jazz
Unit / Membran
3,5 Sterne
Nach zwei EPs, veröffentlicht 2023 bzw. 2024, nun ein volles Live-Album. Dies war ein Heimspiel für das Trio um Bassistin, Sängerin, Songschreiberin Louise Knobil: in dem Örtchen Cully nahe Lausanne, seit Jahrzehnten eine Musik-Oase, wurden Knobil schon mit offenen Armen empfangen, als der Band-Name selbst in der heimischen Schweiz noch nicht mit Jazz in Verbindung gebracht wurde. Knobilive ist ein komplettes Konzertdokument samt – teils ausführlichen – Ansagen. Mehr noch als im Studio wird hier klar, dass Louise Knobil im besten Sinne die Show schmeißt. Ihre Energie, ihr Charme, ihr Temperament, das Theater-Talent in Verschränkung mit ihren musikalischen Fähigkeiten sind Dreh- und Angelpunkt. Chloé Marsigny (bcl) und Vincent Andreae (dr) kommen dabei keineswegs zu kurz: das Terzett ist glänzend aufeinander abgestimmt, alle Beteiligten haben Raum für solistische Entfaltung. Doch steht all dies im Zeichen der (französisch getexteten) Songs Knobils. Stilistisch kreuzen die zwischen forschem Neobop (mit entsprechenden Vokalisen), Indie-Liedkunst, alternativen Chanson-Qualitäten und allerlei originellen Ideen und Volten (samt Sound-Effekten für Stimme und Bassklarinette). Vereinzelt offenbaren sich leichte vokale Schwächen, wie sie im Konzert auftreten können; die werden durch die erzählerische Haltung wettgemacht. Eines wird ebenfalls deutlich: der Leaderin täte ein performerischer Sidekick (oder Gegenpol) jenseits instrumentaler Kompetenz gut. Die Brücke zum nächsten kreativen (Studio-)Schritt ist hiermit jedenfalls geschlagen.
Arne Schumacher



