Brötzmann

ADA, Wuppertal

Von Peter Bastian. Am 6. März wurde der Saxofonist und Klarinettist Peter Brötzmann 80 Jahre alt. Ihm zu Ehren veranstaltete der INSEL e.V. in der Wuppertaler Kneipe ADA vom 27. bis 29. August ein dreitägiges Festival mit internationalen Gästen, das die herausragende Stellung dieses Ausnahmekünstlers feierte. Coronabedingt war die Konzertreihe um ein paar Monate verschoben worden – und coronabedingt hatte Brötzmann, wie er im Gespräch erklärt, fast zwei Jahre pausieren müssen: „Mein letzter Job war im Februar 2020, und das ist ’ne lange Zeit. Zwei Jahre Wuppertal ist ja fast schon wie eine Gefängnisstrafe“, gibt er zu. „Die ersten Wochen war man froh, mal zu Hause zu sein und Dinge zu tun, für die man sonst keine Zeit hat. Aber dann geht’s einem auf die Nerven. Ich bin in meinem Berufsleben noch nie so lange Zeit auf einem Fleck gewesen. Das war schon seltsam: jeden Tag derselbe Ablauf, dasselbe Bett. Das ist auf Dauer schon ein bisschen lähmend.“

Aber jetzt konnte der gebürtige Remscheider drei Tage lang so richtig in die Vollen gehen, umgeben von zehn Wunschmusikern aus der ganzen Welt. Mit Hamid Drake (dr), Per-Åke Holmlander (tuba), Camille Emaille (dr, perc), Fred Lonberg-Holm (cello, electr), Marino Pliakas (e-b), Michael Wertmüller (dr), Heather Leigh (pedal steel guitar), seinem Sohn Caspar Brötzmann (e-g), Mats Gustafsson, Hans Peter Hiby und Wolfgang Schmidtke (sax) sorgte er für viele musikalische Überraschungsmomente und viel Freude bei seinen mit ihm in Ehren ergrauten Fans, die teilweise ebenfalls weite Anfahrtswege in Kauf genommen hatten.

Wenn Brötzmann spielt, kann er noch „brötzen“, aber nicht mehr so lange am Stück, „weil die Gesundheit langsam zum Teufel geht, die Lunge ist kaputt“, wie er sagt. „Das merke ich beim Spielen, die Phrasierung ist notgedrungen kürzer geworden. Aber das Spielen geht. Da denke ich, kann ich ein bisschen weitermachen“.

Unterstützung hatte er genug. An den drei Tagen gab es zwölf Programmpunkte, denen in den ausverkauften Konzerten jeweils zirka 200 Zuhörer unter 3G-Regeln lauschten. Schon beim ersten Set gab es gleich volles Gebläse um die Ohren. Gustafsson, Hiby, Schmidtke und Brötzmann bliesen sich in ungeahnte Höhen und ließen sich dabei von Hamid Drake und seinen Trommelkünsten antreiben. Aus dem herrlichen Gegeneinander-Angekreische schälten sich unheimlich schöne Soli heraus, auch Duette, Trios und Quartette. Die anschließenden stillen Töne von einem zirkulär geblasenen Tuba-Solo Per-Åke Holmlanders waren nötig, um Luft zu holen für ein atemberaubendes Duo von Vater und Sohn, mit Hamid Drake als Begleitung.

Die Entdeckung des Festivals war die junge französische Perkussionistin Camille Emaille, die mit mitreißendem und erfindungsreichem Spiel auf ihrem umfangreichen Instrumentarium alle erstaunte, sich sehr gut gegen die älteren Herren behauptete und sich sogar traute, musikalisch das Ruder herumzureißen, um damit interessante Akzente zu setzen. Gerade im lauten Quartett mit Hiby, Pliakas und Lonberg-Holm fiel das auf. Auch dem nicht minder lauten Duo von Caspar Brötzmann und Michael Wertmüller zu lauschen, war eine besondere Freude. Orchestralen Freejazz gab es zum Abschluss, als noch mal zu neunt kollektiv gebrötzt wurde, was das Zeug hielt.

Zu Hause hört Brötzmann übrigens Ellington („mein Favourite“), „na ja die ganze Jazzgeschichte im Endeffekt, vor allem natürlich die großen Saxofonisten, Coleman Hawkins, Ben Webster und diese Dinge, Monk ist natürlich immer dabei, James B. Johnson …“ Er wird es in Zukunft aber „mal langsamer angehen lassen“. Er gibt zu, dass „die ganze Reiserei – Koffer schleppen, Treppen steigen und so was – das Leben schon schwer macht. Und dann hat sich mit Corona ja auch die Szene verändert, viele Clubs im Ausland, wo ich 90 Prozent meiner Arbeit verrichte, haben aufgegeben. In Russland und Japan geht gerade gar nichts, USA ist auch ganz schwierig. Wenn’s wieder losgeht, muss ich bloß die Reisen etwas komfortabler planen.“