© Sascha Rheker / hr

Deutsches Jazzfestival

Frankfurt

Von Stefan Michalzik. Das Programm des 53. Deutschen Jazzfestivals in Frankfurt stellte sich in erster Linie als breit gestreut dar, mit einer gewissen Fokussierung auf das Saxofon. Da war die seit vier Jahrzehnten existierende Supergroup Quest um David Liebman (ss), Richie Beirach (p), Ron McClure (b) und Billy Hart (dr) mit einer unvermindert frappierenden Pracht zwischen frei improvisatorischem Ansatz und Fusion. Zeitgenössischen orchestralen Jazz mit verdichteten Klangfarbenspielen bot hingegen die hr-Bigband unter der vielversprechenden Theresia Philipp mit Julia Hülsmann als Solistin am Klavier.

Ein Höhepunkt ohne Zweifel der Auftritt der in der New Yorker Jazzavantgarde heimischen deutschen Tenor- und Sopransaxofonistin Ingrid Laubrock mit ihrem Quartett. Herrlich ungestrig wirkende 80er-Jahre-Retroavantgarde – Stichwort: New Yorker Downtownszene. Äußerst showorientiert dagegen die New Yorker Altsaxofonistin Lakecia Benjamin, die mit ihrem Quartett Pursuance nicht allein John, sondern zugleich dessen Ehefrau, der Harfenistin, Pianistin und Organistin Alice Coltrane Reverenz erwies. Traumhaft geläufig die Phrasierungskunst Benjamins im endlosen modalen Fluss, in seiner redundanten Furiosität erschöpft sich das jedoch am Ende.

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Mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Frankfurt als die „Jazzhauptstadt der Republik“ gehandelt wurde, beschäftigte sich anhand von Kompositionen von Heinz Sauer, Günter Lenz und Peter Trunk das Quartett Chords on End um den Bassisten Manfred Bründl in der Romanfabrik als Teil der neu eingeführten Clubnacht. In seiner zeitlosen Strahlkraft wirkt das wie ein Inbegriff des modernen Jazz europäischer Prägung – es unterstreicht, welch immenser Einfluss seinerzeit von der Stadt ausgegangen ist. Ein ganz anderes Bild dagegen im Kunstverein Familie Montez. Das Trio des Berliner Keyboarders Moses Yofee überschreibt den elektrifizierten Fusionjazz Marke Herbie Hancock in einer famosen Art mit Drum’n’Bass und Broken Beats. Nicht minder bestrickend und groovend die Jazztronica des Londoner Duos Blue Lab Beats, dessen historische Bezugspunkte über den Fusionjazz hinaus auch im jazzaffinen HipHop der 90er Jahre liegen.

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Anderntags im Sendesaal des hr zurück zur „alten Ökonomie“ des Jazz. Der Auftritt von Marius Neset mit der hr-Bigband bestach in der Unverbrauchtheit eines Orchesterklangs von spritzig-eleganter Opulenz. Die Musik des technisch abenteuerlich brillanten norwegischen Tenor- und Sopransaxofonisten ist äußerst zugänglich, auf einem avancierten postavantgardistischen Niveau. Herausfordernd geht der junge afroamerikanische Tenorsaxofonist Isaiah Collier mit seinem Quartett The Chosen Few in seiner fünfteiligen Suite Cosmic Transitions mit dem Erbe des spirituellen Jazz von John Coltrane um – ein einziger Ritt fiebrig aufgepeitschter Expressivität im hochgespannten Gruppenspiel. Er kommt Coltrane in seiner Überschreibung der Tradition sehr nahe, dabei geht von seiner Bühnenpräsenz ein umstürzlerischer Eigensinn aus.