Fokus Afrofuturism

© Guido Diesing

Elbphilharmonie, Hamburg

Von Guido Diesing. Mit einem respektvollen Blick zurück ging es von August bis November in der Hamburger Elbphilharmonie in die schwarze Zukunft. Eine hochkarätig besetzte Reihe von sechs Konzerten widmete sich dem Schwerpunkt Afrofuturismus und fand beim Publikum großen Zuspruch.

Zur Eröffnung hieß es gleich mal Abschied nehmen. Die Sons of Kemet, die im Großen Saal den Themenschwerpunkt eröffneten, spielten auf ihrer Abschiedstournee nach zehn Jahren Bandgeschichte ihr vorletztes Konzert. Das ist bedauerlich, zeigte die Gruppe doch noch einmal eindrucksvoll ihre Qualitäten: Theon Cross leistete Schwerstarbeit, um mit der Tuba das Fundament zu legen, und entfachte gemeinsam mit den Drummern Tom Skinner und Edward Wakili-Hick ein intensives Getöse, aus dem Saxofonist Shabaka Hutchings mit strahlenden Linien herausstieg. Die kraftvolle Musik mit Anklängen an Albert Ayler begeisterte das Publikum restlos.

Weniger einhellig waren die Reaktionen beim Auftritt von Angel Bat Dawid und ihrer Brothahood im Kleinen Saal. Trotz am Eingang bereitliegender Ohrstöpsel waren die freien Kollektivimprovisationen allein schon wegen ihrer Lautstärke für einige Zuschauer*innen schwer zu genießen. Der wenig transparente Klang erschwerte es zusätzlich, Strukturen zu erkennen, von den Texten ganz zu schweigen. Mit Pharoah Sanders’ „The Creator Has a Masterplan“ als Zugabe bezeugte Bat Dawid ihren Respekt vor einem der Giganten. Ein Musiker, der wie kein anderer auf deren Schultern steht, ist Ravi Coltrane. Nach Hamburg kam er mit seinem Programm Cosmic Music, in dem er sich komplett der Musik seiner Eltern John und Alice widmete, ohne zu versuchen, sie zu kopieren. Ausschweifende Improvisationen rückten Bekanntes in neues Licht, vor allem eine interessante Version von „Giant Steps“ entfernte sich weit vom Original.

Die zukunftsweisendsten Konzerte innerhalb der Reihe bestritten die beiden Trompeter Chief Xian aTunde Adjuah (ehemals Christian Scott) und Theo Croker – bezeichnenderweise zwei Künstler, die den Begriff Jazz für ihre Musik als zu einengend ablehnen und Elemente aus HipHop und Drum’n’Bass aufgreifen. In ihren Konzerten stachen die Drummer (Elé Howell und Shekwoaga Ode) aus stark besetzten Bands heraus. Adjuah nutzte seine Ansagen für eindringliche Aufrufe zu Respekt und Menschlichkeit. Croker präsentierte sich nicht nur als Trompeter, sondern auch als Sänger und sanfter Rapper, der vor psychedelischen Projektionen den Tod des Jazz proklamierte, um gleich darauf umso jazziger weiterzumachen. Durch das differenzierte Spiel aller Beteiligten wurde die meist sanft dahinfließende Musik nie belanglos.

Für ein großes Finale sorgte schließlich das Sun Ra Arkestra, bedauerlicherweise ohne seinen Leiter Marshall Allen. Nach etwas zerfahrenem und unfokussiertem Beginn steigerten sich die gewohnt glitzernd Gewandeten mehr und mehr in eine Musik hinein, in der zwischen Swing, New Orleans, Bebop, Latin (u.a. durch Ramón Valle am Klavier), freiem Spiel, Big Band und Zirkuskapelle alles verwischte und in einem Gesamtklang aufging, in dem Grenzen bedeutungslos wurden. Das war dann wirklich gleichzeitig traditionsbewusst und futuristisch und ein treffender Abschluss einer lobenswert zusammengestellten Konzertreihe.