© Stefanie Marcus

Jazzfest

Berlin

Von Rolf Thomas. Nach zwei Corona-Jahren an anderen Spielorten und im Netz ist das Jazzfest Berlin mit seiner 59. Ausgabe in das Haus der Berliner Festspiele zurückgekehrt – und das ist auch gut so, denn der Jazz braucht die große Bühne. Die machte sich zum Beispiel der Chicagoer Schlagzeuger Hamid Drake zunutze, der mit einem mittelgroßen Ensemble, zu dem der Keyboarder Jamie Saft und die französische Flötistin Naïssam Jalal gehörten, an die legendäre Alice Coltrane erinnerte. Und er traf den Ton und produzierte eine herrliche Kiffermusik mit ausgeruhten Grooves, denn man sollte nicht vergessen, dass der Spiritual Jazz der siebziger Jahre – erinnert sei an die großartig überkandidelte Platte Illuminations von Alice Coltrane und Carlos Santana – eben auch als Kiffermusik rezipiert wurde. All die Redundanzen und Übertreibungen hatte Drake ebenfalls im Gepäck, inklusive eines (zu?) langen Schlagzeugsolos und einer ausführlichen Spoken-Word-Passage.

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Ganz anders die ukrainische Pianistin Kateryna Ziabliuk, die mit der Sängerin Maryana Golovchenko und der Geigerin Anna Antypova Shadows of Forgotten Ancestors präsentierte. Das war eine intime und ruhige, oft aber auch schrille und archaische Musik, die zusammen mit den Ausschnitten aus dem gleichnamigen Film des Regisseurs Sergei Paradschanow einen eigentümlichen Sog erzeugte.

Den Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik für sein Lebenswerk erhielt der Saxofonist Peter Brötzmann aus den Händen von Bert Noglik, der selbst einmal das Berliner Jazzfest geleitet hatte. Anschließend traf Brötzmann im Konzert auf Hamid Drake und den marokkanischen Sänger und Gimbri-Spieler Majid Bekkas. Matana Roberts präsentierte das vierte Kapitel ihrer Coin-Coin-Reihe, das aber ein wenig unfokussiert wirkte: Oft hörte sich die Musik mit ihren Blues-, Folk-, Country- und Free-Jazz-Schnipseln an, als ob man am Senderknopf eines Radios drehte (okay, Free Jazz wird man dort selten zu hören kriegen), und Roberts’ ständige Rezitationen wirkten unangemessen pathetisch.

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Zu einem Höhepunkt geriet das Konzert des Borderland-Trios des Bassisten Stephan Crump. Das war zusammen mit Kris Davis (p) und Eric McPherson (dr), der ein Meister der verschleppten und verzögerten Beats ist, wirklich die hohe Schule der Improvisation – alle drei hörten intensiv aufeinander und erzeugten große musikalische Bögen, deren hypnotischem Reiz man sich nicht entziehen konnte.

In Sachen Originalität schoss Altmeister Sven-Åke Johansson den Vogel ab, der auf der großen Bühne fünfzehn Feuerlöscher entleeren ließ und mit deren Ejakulat den Bühnenboden grandios einsaute. Ben LaMar Gay wechselte mit seinem Quartett zwischen wunderschönen Songs, wüstem Geschrei und wilder Elektronik. Mit unbändigem Powerplay setzte dann das siebzehnköpfige Supersonic Orchestra des norwegischen Schlagzeugers Gard Nilssen einen Schlusspunkt unter die 59. Ausgabe und sorgte dafür, dass man das Jazzfest in guter Erinnerung behielt – das große Jubiläum im kommenden Jahr, wieder unter der bewährten künstlerischen Leitung von Nadin Deventer, kann also kommen.