ECM 50 Anniversary Weekend

Flagey, Brüssel

© Adrian Goldsmith

Von Stefan Hentz. Was Coolness und Style angeht, macht ihm keiner was vor. Auch mit 82 Jahren spielt der Trompeter Enrico Rava noch immer so zart und klangsensibel, ausgeschlafen und vital, dass er sowohl die Jungs aus seiner Band, den raffiniert phrasierenden Pianisten Giovanni Guidi oder den Posaunisten Gianluca Petrella, der mit seinen drahtigen Melodielinien sehr elastische Spannungsbögen baut, wie auch seinen Instrumentenkollegen Avishai Cohen, einen der aufstrebenden Sterne im ECM-Universum, auf die Plätze verweist. Rava war einer der am allerhellsten strahlenden Sterne am Himmel von „ECM 50“, einem von vielen kleinen feinen und sehr intensiven Events, mit dem das Münchner Label ECM im vergangenen Jahr weltweit sein 50-jähriges Bestehen feierte.

An vier Tagen im November steckte „ECM 50“ im Flagey, einem liebevoll gestalteten Art-Deco-Palast in Brüssel mit akustisch hervorragenden Konzertsälen, in dem früher das Funkhaus des Belgischen Rundfunks untergebracht war, ein Bild des Labels ab, das klug die sehr verschiedenen Interessen seines Gründers und Masterminds Manfred Eicher reflektierte. Mit Lectures, Listening-Räumen, einer öffentlichen Podiumsdiskussion, einer exquisiten Fotoausstellung zur visuellen Ästhetik von ECM und natürlich mit Musik. In zwölf Konzerten gaben bewährte Musiker des Labels ihre Visitenkarte ab: Oud-Spieler Anouar Brahem spielte mit seinem Quintett und dem Orchestre Royal de Chambre de Wallonie eine von Referenzen an die Maqam des Maghreb durchzogene Orchestermusik. Fast schon intim gerieten die Interaktionen zwischen der von moderner komponierter Musik geprägten Pianistin Anna Gourari und dem bei allen Sound-Explorationen unglaublich präzise intonierenden Klarinettisten Reto Bieri, als Gegenstück schweifte das Duo der Cellistin Anja Lechner und des Pianisten François Couturier gelegentlich ins Minimal-Music-artige aus. Dazu der Bassist Larry Grenadier solo, das Marcin Wasilewski Trio, das im Jahr seines 25-jährigen Bestehens auch weiterhin jugendlichen Sturm und Drang feiert, sowie drei in Klang und Dynamik klug abgestufte und sehr unterschiedliche Quartette mit Julia Hülsmann, Nik Bärtsch und Louis Sclavis.

Elina Duni © Adrian Goldsmith

Herzstück des Konzertreigens jedoch war die Gala-Night am Freitagabend, bei der zunächst Ravas eigens für diesen Abend zusammengestelltes Sextett an die Fundamente des Labels im avancierten europäischen Jazz der Zeit um 1970 herum anknüpfte, bevor die Sängerin Elina Duni allein mit Stimme und Gitarre oder Klavier die raumfüllende Kraft von Stille und Verletzlichkeit und ihre Fähigkeit zelebrierte, Wirklichkeiten in einem neuen Licht erstrahlen zu lassen. Schließlich wurde für den Trompeter Avishai Cohen ein besonderer Teppich ausgerollt, setzte er doch zunächst in der Gala-Night mit Big Vicious einem unaufhaltsam groovenden Postrock-Projekt mit langjährigen Freunden seine melodischen Glanzlichter auf und demonstrierte einen Tag später im Duo mit Yonathan Avishai (p) die Magie eines in fast 30 Jahren der Zusammenarbeit gereiften, nahezu telepathischen und sehr zurückgenommenen Zusammenspiels. Alles zusammengenommen wies „ECM 50“ in so viele Richtungen zugleich, zeigte so viele mögliche Fortentwicklungen auf, dass niemandem um die nächsten fünf Jahrzehnte bange sein muss.