Enders Room

Heraus aus dem Kellerlabor

Neben seinem akustischen Quartett, dessen bislang letztes Album Endorphin vor drei Jahren erschien, unterhält der Saxofonist Johannes Enders auch noch ein elektronisches Ensemble namens Enders Room, aus dem sich – und jetzt wird es kompliziert – auch eine akustische Band entwickelt hat: Ergebnis ist die Doppel-CD Dear World / Hikikomori.

Von Rolf Thomas

Die Gründe für den Doppelschlag waren profan. „Ich hatte so viel Material und habe irgendwann versucht, die elektronischen und die akustischen Stücke zu mischen“, erzählt Johannes Enders. „Dabei habe ich festgestellt, dass das nicht funktioniert. Deshalb fiel die Entscheidung, ein akustisches und ein elektronisches Album zu machen, die sich ein bisschen miteinander verzahnen.“ So werden die gar nicht schlichten Klänge schlicht erklärt. Aus dem Studioprojekt Enders Room ist also – auch – eine akustische Band geworden, die elektronische Klänge integriert. „Das Labor, das bei mir im Keller ist, ist ja der Ort, an dem Enders Room entstanden ist“, führt der Saxofonist aus. „Daraus speisen sich auch die Aufnahmen auf Dear World. Dort kann ich experimentieren und herumschrauben und habe einfach wahnsinnig viel Zeit, die man in einem Tonstudio ja nicht hat. Es war aber immer eine Herausforderung, diese Musik auf die Bühne zu bringen. Aus dem Wunsch heraus ist die Band entstanden – und nach und nach auch immer mehr akustische Stücke. Nach einem Gig in der Unterfahrt sind wir dann letztes Jahr ins Studio gegangen.“

Diese Band besteht aus dem Pianisten Jean-Paul Brodbeck, der auch in Enders’ herkömmlichem Quartett spielt, dem Trompeter Bastian Stein, dem Vibrafonisten Karl Ivar Refseth sowie dem Schweizer Rhythmus-Team aus Gregor Hilbe (dr) und Wolfgang Zwiauer (e-b). Um den Electric Room vom Acoustic Room besser unterscheiden zu können, haben beide CDs eigene Titel abbekommen, deren akustischer – Hikikomori – noch Thema sein wird. „Ästhetisch hat es einfach nicht funktioniert, die beiden Alben zu mischen“, sagt Enders schulterzuckend. „Deshalb haben sie auch eigene Titel bekommen.“

Ein bisschen scheint Johannes Enders mit der elektronischen Musik aber auch am Ende seiner Weisheit angekommen zu sein. „Als ich vor 20 Jahren mit dem Projekt begonnen habe, herrschte eine Aufbruchsstimmung, was elektronische Musik angeht“, erinnert er sich noch gut. „Es gab das Tied & Tickled Trio, Nils Petter Molvær und all das. Mittlerweile hat sich der Sound ein bisschen überholt, finde ich. Den elektronischen Sound so in die Bühnenperformance einzubetten, dass er atmet, fand ich immer wahnsinnig schwierig.“

Da Enders sowieso kein Freund strenger Genregrenzen ist, haben sich beide Welten immer mehr miteinander vermischt. „Der elektronische Klang hat meinen akustischen Sound immer auch befruchtet, zum Beispiel durch diesen Minimalismus“, erklärt er. „Dadurch öffnen sich Räume, in denen man nicht so viele Informationen braucht, wie es sonst im Jazz üblich ist. Jazz birgt immer ein bisschen die Gefahr, dass er zu viele Informationen enthält. Da haben mich Steve Reich und Arvo Pärt, die ja auch die elektronische Musik inspiriert haben, Zurückhaltung gelehrt.“

Die Bandmusiker kommen auf der elektronischen CD Dear World nur sporadisch zum Einsatz. Bastian Stein ist auf dem längsten Stück „Metacomet“ zu hören, ansonsten steuert der alte The-Notwist-Kumpel Micha Acher Trompete und Sousafon zu den ersten beiden Stücken „Animale Illegale“ und „No Judgement Day“ bei. Auf dem Titelstück spielt Enders Bassklarinette, Brodbeck ist am E-Piano zu hören, ohne seine Drum’n’Bass-Vorbilder ist der Song kaum denkbar. „Was mich an Musik immer gereizt hat, ist, Stimmungen und Atmosphären zu erzeugen, die nicht nur dazu dienen, eine Folie für Virtuosität zu sein“, schlägt Enders die Brücke zu Hikikomori. „Mit 20 wollte ich auch der größte Saxofonist sein, aber es sind doch nur sehr wenige übrig geblieben, die es geschafft haben, sich eine persönliche Spielart zu erhalten. Für mich klingen zum Beispiel Stan Getz und Dexter Gordon zeitlos, aber wenn man zu intellektuell wird, um irgendeinem Vorbild gerecht zu werden, verliert die Musik für mich ihren Reiz.“

Das kann dem Saxofonisten nicht passieren, denn seine grandiose Band folgt dem Bauch- und Kopf-Menschen Enders ganz relaxt und dennoch tight. Das langsam – und später hochenergetisch – groovende „Visiones“ erinnert an Enders’ New Yorker Zeit, „Reconciliation“ ist ein sehr melodischer Schlagabtausch zwischen dem Bandleader und seinem Drummer, und der Titeltrack ist eine hypnotische Nummer, in der die Band sich in einen veritablen Rausch spielt. Mit Hikikomori werden in Japan Menschen bezeichnet, die sich aus der Welt zurückziehen (und real meist als Erwachsene im Kinderzimmer verharren). „In dem Begriff spiegelt sich ja auch diese Schnittstelle zwischen der virtuellen und der realen Welt“, erläutert Johannes Enders. „Die Jungs versinken so in ihrer Welt aus Internet und Smartphone, dass sie Angst vor der realen Welt bekommen. Das hat mich fasziniert. Ein bisschen sieht man das ja auch an den eigenen Kindern, die zu viel Zeit mit ihrem Smartphone verbringen. Da versinken sie in einer Welt, die einfach nicht so viel Trost spendet wie die analoge Realität.“

Aktuelles Album:

Enders Room: Dear World / Hikikomori (Yellowbird / Edel:Kultur)