Masaa

Konzentrat der Zärtlichkeit

©Andy Spyra

Mit Irade verschieben Masaa den Fokus ein wenig weiter in Richtung Orient. Doch auch auf seinem vierten Album spielt das deutsch-libanesische Quartett nach wie vor lyrische Weltmusik jenseits aller Crossover-Attitüden.

Von Harry Schmidt

Masaa heißt Abend. Und doch bedeutet das arabische Wort weit mehr als seine deutsche Entsprechung. Masaa bezeichnet nicht nur die Zeitspanne zwischen Tag und Nacht, sondern auch die darin stattfindenden Begegnungen zwischen Menschen und die darin geführten Gespräche. Nicht umsonst haben der Trompeter Marcus Rust und der libanesische Vokalist Rabih Lahoud ihre Band nach dieser Zeit des Erzählens, des Austauschs und der offenen Kommunikation benannt, nachdem sich ihre Wege 2012 bei einem Bigband-Workshop eher zufällig gekreuzt hatten. Die Chemie stimmte auf Anhieb, und der Wunsch nach einer Zusammenarbeit war rasch ausgesprochen, aber erst im Nachhinein realisierte Rust, dass er dort auf seinen aktuellen Lieblingssänger gestoßen war – Lahoud studierte seinerzeit in Köln bei Markus Stockhausen und hatte zwei Jahre zuvor mit dessen Band Eternal Voyage ein Album aufgenommen. Unterstützung kam von Till Brönner, der seit 2009 an der Dresdner Musikhochschule unterrichtete und sich für den Plan, Rusts damaliges Trio mit dem Pianisten Clemens Pötzsch (p) und Demian Kappenstein (dr) durch Lahoud zu ergänzen, sofort begeistern konnte. Als Resultat der von Brönner unterstützten Aufnahmesessions erschien 2013 mit Freedom Dance das Debütalbum des Quartetts Masaa. Bereits ein Jahr zuvor waren sie mit dem Bremer Jazzpreis in der Kategorie „Jazz mit ethnischen Einflüssen“ ausgezeichnet worden.

Auch mit ihrem aktuellen Album, dem vierten für Traumton, werden Masaa diesem Attribut gerecht: Weltmusik im besten Sinne ist auch auf Irade („Willenskraft“) wieder zu hören. Allerdings haben sich die Gewichte etwas weiter in Richtung Orient verschoben. Nach dem Ausstieg von Pötzsch entschieden sich Rust, Lahoud und Kappenstein 2018, den Pianisten durch einen Gitarristen zu ersetzen. Auch Reentko Dirks war Rust und Kappenstein aus gemeinsamen Studientagen in Dresden gut vertraut. Dirks spielt ein Modell mit zwei Hälsen, was das Spektrum seines Instruments sowohl um Klangeigenschaften des Kontrabasses wie der Oud erweitert. So kompensiert er nicht nur die Abwesenheit eines Bassisten, sondern unterstreicht und ergänzt vielfach auch die Melismen und Arabesken in Lahouds Gesangsvortrag. Hinzu kommen Anleihen an die andalusische Flamencotradition.

Wie groß die Verbundenheit mit dem neuen Bandmitglied ist, wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die Hälfte der Songs auf Irade aus der Feder des Gitarristen stammt. Etwa die kantable Ballade „Lullaby for Jasu“, die nicht nur in der Playlist die Mitte des Albums definiert – eine unwiderstehliche Serenade als Konzentrat der Zärtlichkeit, die die Essenz dieses lyrischen, von kammermusikalischer Intensität und Intimität geprägten Longplayers ausmacht, selbst da, wo die Grenze hin und wieder in Richtung einer tänzerischen Dynamik überschritten wird.

Austausch und Kommunikation kennzeichnen den Prozess, in dem die Songs von Masaa entstehen. „Der Grundgedanke ist, dass jeder mitbringt, was er in seinem Inneren hört, worauf die anderen wiederum antworten“, erklärt Rust den Ansatz der Band. „Es geht vor allem um das Erfassen einer spezifischen Stimmung, darum, möglichst nah an eine Emotionsidee heranzukommen.“ Entsprechend folgen die Improvisationen auch weniger dem Prinzip des aus der Gruppe hervortretenden Solisten, sondern sind ineinander verwoben. Lahouds poetische Texte entstehen stets auf Grundlage der bereits existierenden Musik und umfassen oft wie japanische Haikus nur wenige Zeilen. Dabei macht sich der Sänger zum einen zunutze, dass die Bedeutungshöfe der Wörter in der arabischen Sprache größer sind als in anderen. Des Weiteren lässt er zu, dass sich mit den Lauten ein Feld jenseits der Semantik eröffnet, eine improvisatorische „Sprache der Klänge“ (Rust) jenseits der Wortbedeutungen. Mit einer sehr individuellen Stimme, der man gern zuhört, gibt Lahoud seiner Dichtung klingend Raum – im Gesangsakt werden seine Lyrics zu wahrhaftiger Lyrik.

Entsprechend ist es auch Rust und Kappenstein, was Spieltechniken und Instrumentarium angeht, darum zu tun, die Palette ihrer Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. So greift der Trompeter häufig zum Flügelhorn. Vielleicht ist die Musik von Masaa gerade deshalb so bemerkenswert, weil der Zugang von Rust und Lahoud gewissermaßen in vertauschten Rollen stattfand: Der im Libanon als Kind katholischer Maroniten aufgewachsene Sänger hat seine musikalische Laufbahn als Pianist begonnen, sich seit seiner Kindheit intensiv mit Beethoven beschäftigt, wohingegen Rust als Sohn klassischer Musiker während des Zivildiensts in Indien seine Leidenschaft für die Musik fremder Kulturen entdeckte und vor allem von arabischen Musikern wie Dhafer Youssef, Anouar Brahem und Rabih Abou-Khalil geprägt ist. Masaa pflegen eine hochspezifische Synthese, die eine sensible, lebendige Vielfalt hervorbringt – eine organische Verschränkung von Orient und Okzident, die aber kein Crossover ansteuert.

Aktuelles Album:

Masaa: Irade (Traumton / Indigo)