Jilman Zilman
Das heitere dritte Album
Auf seinem dritten Album The Loft Recordings macht Jilman Zilman, das Quartett des Augsburger Schlagzeugers Tilman Herpichböhm, gemeinsame Sache mit dem russisch-amerikanischen Pianisten Simon Nabatov.
Von Harry Schmidt
Im September 2014 erschien Das zweite und letzte Album von Jilman Zilman. Von Anfang an nicht ernst gemeint und eine „reine PR-Maßnahme“ sei das gewesen, die natürlich „überhaupt nicht funktioniert“ habe, lacht der 1984 geborene Drummer Tilman Herpichböhm anlässlich der Veröffentlichung von The Loft Recordings. Überraschender dagegen schon, in welche Richtung sich Jilman Zilman mit ihrem dritten Album bewegt haben. Begann die Geschichte der Band 2010 mit Herpichböhms Diplom-Abschlusskonzert, das der Musik von John Zorns Masada gewidmet war – der Bandname ist eine Kombination aus seinem Vornamen und den Initialen des US-amerikanischen Altisten –, hat sich das einstige No-Harmony-Quartett mit dem Pianisten Simon Nabatov mittlerweile zum Quintett verstärkt.
Die Veränderung ist unüberhörbar: „Neuartig, harmonisch und lila“ beschreibt Herpichböhm den Sound der neun neuen Stücke, die mit einer Ausnahme aus seiner Feder stammen. Das thematisch an Johannes Brahms angelehnte „Wiegenlied“ hat es allerdings in sich: Inspiriert von einer „missglückten Spieluhr“, die zum Ausklang auch zu hören ist, überschneiden sich darin Klassik und Spiritual Jazz mit Spurenelementen der Free-Avantgarde und des Klezmer. Auch bei den anderen acht Tracks leuchtet die Beschreibung „harmonisch“ unmittelbar ein, handelt es sich bei Nummern wie „Milchkritik“, „Erdbeerlimes für Jacqueline“ oder „Nachtschnaps“ doch weitgehend um zwar improvisationsfreudigen, aber überwiegend melodischen Modern Jazz.
Erklärungsbedürftiger scheinen die beiden anderen Attribute: Was ist neuartig an The Loft Recordings? Und wofür – außer den Hemden der Bandmitglieder auf dem Cover – steht hier lila? „Natürlich ist das keine neuartige Musik, die es so noch nie gab“, räumt Herpichböhm ein. Aber es sei eben doch alles andere als alltäglich, dass ein No-Harmony-Quartett mit einem Harmony-Gastspieler unterwegs sei, meint Herpichböhm. Neuartig seien daher auch die fünf Stücke, die er eigens für die veränderten Möglichkeiten der neuen Besetzung geschrieben hat und die auf die Einbindung Nabatovs reagieren, etwa indem sie Brasil-Anklänge aufnehmen.
Einerseits bringt der neue Rahmen also eine Erweiterung der Klangpalette mit sich, andererseits erzeugt er aber auch neue Einschränkungen. Manches klingt geradezu verblüffend traditionell. „Das ist vielleicht unser bravstes, im doppelten Wortsinn harmonischstes Album bislang“, sagt der Bandleader. Mehr als die Vergewisserung der Tradition bedeute ihm allerdings die Veränderung: „Mir ist immer ganz wichtig, dass sich das Ding wirklich weiterentwickelt.“ Lila sei seine aktuelle Farbe, eine Metapher für die Fülle und Geschwindigkeit der Informationen, die auf den Hörer einströmen, The Loft Recordings insgesamt eine „peppige, schnelle, hibbelige Platte“.
Auf Einladung des Jazzclubs Tübingen kam es 2014 zum ersten Treffen mit Simon Nabatov. Der wollte nach ihren jeweiligen Sets als gemeinsame Zugabe unbedingt in zwei Stücken von Jilman Zilman mitspielen. Das funktionierte auf Anhieb so gut, dass es nahelag, daran anzuknüpfen. Rasch waren weitere Auftritte organisiert, parallel dazu wuchs das Repertoire für die neue Besetzung. Als Working Band versteht Herpichböhm Jilman Zilman hingegen nicht, Jammen im Übungsraum habe für sie keine Bedeutung. Dazu wohnen die Protagonisten auch zu weit verstreut: Während Nabatov wie die beiden Altisten Johannes Ludwig und Julian Bossert in Köln lebt, wohnt Bassist Peter Christof in Frankfurt, Herpichböhm dagegen in Augsburg. Dennoch überwiege auf der Aufnahme das Improvisierte, so die Einschätzung des Drummers. Denn die meisten seiner Kompositionen beruhen auf einer Lead-Sheet-Struktur. „Von einem Blatt ausgehend, alle haben die gleichen Informationen, Melodie, Akkorde, vielleicht noch eine knappe Beschreibung, wie der Groove zu funktionieren hat – und jeder Musiker macht daraus dann sein eigenes Ding. Das finde ich eine total befriedigende Art zu musizieren und liebe es auch, so was zu schreiben.“
Aufgenommen wurden die Loft Recordings im gleichnamigen Kölner Studio live vor Publikum an zwei Abenden im Februar vergangenen Jahres. Wurde am ersten Abend ein akustisches Set gespielt, folgte anderntags ein elektrifiziertes Konzert. Im Stück „Titanic Stories Part 1 & 2: Pier & Pear“, einem Ausschnitt aus einer noch unveröffentlichten „Titanic Suite“, die sowohl auf die Schiffskatastrophe als auch das Satiremagazin Bezug nimmt, geht nun auf dem Tonträger der eine Abend mit einem Bass-Solo in den anderen über – eine höchst kuriose Erfahrung. Die launigen Titel der Stücke entstehen manchmal erst im Nachhinein, erzählt der große Ornette-Coleman-Fan. Beim Ausklang mit „Kasperle im Land der Differenzialgleichungen“, bei dem Nabatov zu Fender Rhodes und Synthesizer greift, sei der Name dagegen von Anfang an da und Programm gewesen. Das freieste Stück der heiteren Platte ist es allemal geworden.
Aktuelle CD:
Jilman Zilman feat. Simon Nabatov: The Loft Recordings (GLM / Soulfood)