1. HÖRBUCHT

KEINE ZEILE ÜBER KRIEG SPEZIALOPERATIONEN

Spezialoperation und Frieden“ von Leo Tolstoy. Wer kennt es nicht? Es gibt keine Kriegsgräuel! Es kibt geine Griegskräuel! Propagandapopanda, wie Helge Schneider es beim Namen nennen würde, gedehnt, gezogen, geknödelt. Die „Moskva“ ist nicht gesunken! Und dabei wollten wir hier, in diesem Biotop der Glückseligen, kein Wort über Krieg und andere Spezialoperationen von Spezialdespoten verlieren, wo es doch an anderer Stelle im Jazzmagazin Ihres Vertrauens viel besser getan wird. Gleich im Editorial ganz vorne zu Beispiel, im „Megaphon“. Oder im „Zitat“ ganz hinten. Da brauchen wir hier ja nun wirklich nicht auch noch … Wir gewöhnen uns ja eh gerade dran, blenden aus, schauen weg, verdrängen, schalten ab. Besser für die eigene Gesundheit und für die Stimmung sowieso. So ne Überdosis Krieg macht doch nur Angst und am Ende noch betroffen oder gar depressiv. Jeden Tag Krieg, monatelang. Wer soll das denn aushalten? Keine Zeile über Krieg. DINGDONG! Guten Tag! Wir möchten mit Ihnen über die Liebe reden! In der Hörbucht…

Björn Simon

Hilmar Klute

Die schweigsamen Affen der Dinge

tacheles! / Roof Music

4 Sterne

Henning ist mit seiner Freundin im Italienurlaub, als er vom Tod seines Vaters erfährt. Er wundert sich selbst, wie wenig Trauer er empfindet, doch nah waren sich die beiden nie gewesen, erst recht nicht, nachdem der Vater die Familie verlassen hatte. Als Arbeiterkind im Ruhrgebiet aufgewachsen, hat Henning in der Liebe zu Literatur und Sprache eine neue Heimat gefunden, hat den Absprung in die Welt der Akademiker und Kulturinteressierten geschafft und arbeitet als Journalist und Autor in Berlin. Er ist „dort angekommen, wo Menschen waren, denen sein Vater in seinem ganzen Leben nicht begegnet war“, fasst Hilmar Klute in seinem Roman Die schweigsamen Affen der Dinge die Kluft zwischen Vater und Sohn zusammen.

Der Aufstieg durch Bildung und die Gegensätzlichkeit der sozialen Schichten bilden den Hintergrund für Hennings Suche nach dem fremd gebliebenen Vater. Auf der Beerdigung in Recklinghausen trifft er dessen besten Freund Jochen wieder, der ihm von früheren gemeinsamen Unternehmungen, etwa einer Reise nach Korsika, erzählt, die so gar nicht zu dem unambitionierten und rundum desinteressierten Mann passen, als den Henning seinen Vater erlebt hat. In der Hoffnung, ihm vielleicht doch noch auf die Spur zu kommen, schlägt er vor, die Korsika-Reise mit Jochen zu wiederholen. Im Kontrast zur Beschreibung der kalten und freudlosen Vater-Sohn-Beziehung im grauen Ruhrgebiet der 70er Jahre blitzt im Inselurlaub mit Jochen immer wieder eine Art Gegenentwurf auf, den Klute detail- und sprachverliebt ausbreitet.

Die Sprachverliebtheit teilt er mit seinem Protagonisten, über den er etwa den schönen Satz schreibt: „Henning rauchte manchmal eine Zigarette mit Annette, weil es sich reimte.“ Das falsche Deutsch seines Großvaters dagegen empfindet er schon als Kind „als eine Art Ohrfeige“, wenn dieser ankündigt: „Ich geh im Garten.“ Als Hörbuchhörer ist man nicht nur in solchen Momenten froh, Frank Goosen zu lauschen, der den angemessenen Tonfall insbesondere der älteren Ruhrpottgeneration mit beiläufiger Kompetenz trifft und sich insgesamt als Glücksbesetzung erweist.

Der Roman spielt, verschachtelt zwischen Rückblenden und ausführlich ausgeschmückten Traumsequenzen, auf und mit verschiedenen Sprachebenen, deren entlegenste von Hennings Freund Ulrich besetzt wird, einem Bohemien, der sich durch eine distinguierte Gespreiztheit hervortut, die auch Klute als Stilmittel nicht fremd ist. Und auch die Poesie spielt durchgehend eine Rolle, quält sich Henning doch neben seiner Vatersuche auch mit einem Artikel über den Dichter Oskar Loerke herum, aus dessen Werk auch der zunächst rätselhafte und etwas sperrige Titel des Romans entnommen ist. Dass ihm die Annäherung an den Dichter ebenso schwerfällt wie die an den Vater, ist eine geschickt konstruierte Parallele. Die Konstruktion des Endes ist zumindest sehr überraschend, aber auch ein wenig unbefriedigend. Was nichts daran ändert, dass man auf dem Weg dorthin vielen anregenden und wohlformulierten Gedanken begegnet ist.

Guido Diesing

Monchi

Niemals satt

Argon

4 Sterne

Die Band Feine Sahne Fischfilet hat, gemessen an dem doch eher rustikalen Punkrock, den sie spielt, eine erstaunliche Karriere hingelegt – von einer Rostocker Lokalgröße bis zur Hauptbühne bei Rock am Ring und dem prominenten Fan Frank-Walter Steinmeier. Ihr Sänger Jan Gorkow alias Monchi ist eine beeindruckende Gestalt, was an seinem Engagement gegen Nazis liegt, aber auch an seiner schieren physischen Präsenz. Zuletzt brachte er 182 Kilogramm auf die Waage, was er gleich im Untertitel seines Hörbuchs Niemals satt deutlich macht: „Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage“.

Monchi nimmt kein Blatt vor den Mund und bezeichnet sich unverhohlen als fett, seine Fans allerdings haben diese Leibesfülle stets verteidigt. Als die „Bild“-Zeitung ihn als „Fettpunker“ bezeichnet, bringen sie T-Shirts in Umlauf, auf denen „Je suis Fettpunker“ steht – eine Solidaritätsaktion, die Monchi mit gemischten Gefühlen betrachtet, er selbst hätte so ein T-Shirt nicht getragen. Mittlerweile hat er über sechzig Kilo abgenommen und über seine Essstörung – und wie er mit ihr umgegangen ist – berichtet er in Niemals satt in anrührender Offenheit. Mit der Body-Positivity-Bewegung, nach der jeder Körper, so wie er ist, schön ist, kann Monchi wenig anfangen: „Scheiß auf irgendwelche Body-Positivity-Hashtags auf Instagram. Ich wollte mir einfach wieder selbst den Arsch abwischen.“

Dieses Bekenntnis gehört wohl zu den traurigen Höhepunkten von Niemals satt. Irgendwann war Monchi so fett, dass Klobrillen unter ihm zerbarsten und er nicht mehr in der Lage war, sich selbst den Hintern abzuwischen. Er wählt dann die Lösung, sich abzuduschen oder einfach in ein Gewässer zu springen. Auch die Stellen, an denen er beschreibt, wie sich durch Reibung zwischen seinen Oberschenkeln wunde Stellen bilden, sind schwer zu ertragen.

Doch es überwiegt die Überraschung über jemanden, der hart mit sich ins Gericht geht, aber auch versucht, die Gründe für die Maßlosigkeit zu verstehen, die dazu geführt haben, die Alarmsignale seines eigenen Körpers zu ignorieren. Und es ist gerade die Nüchternheit und Schnodderigkeit, mit der Monchi selbst die bizarrsten Anekdoten erzählt, die Niemals satt so unterhaltsam machen. Jenseits aller Diätratgeber freut man sich einfach über einen Mann, der schließlich das Bekenntnis ablegt: „Ich wiege 120 Kilo und fühle mich wie ein Schmetterling.“

Rolf Thomas