HÖRBUCHT

sommer. pause.

Pause. Von zu viel Text. Zu viel Information. Pause. Von Omikron. Mit Omikron. Wegen Omikron. Pause vom Alles-auf-einmal-Nachholen. Vom Zuviel, von der Maßlosigkeit, dem Heißhunger nach Leben und Live. Einfach mal nichts tun. Selbst gewählt, frei. Die große Freiheit des Nichtstuns. Ausspannen. Urlaub. Zur Sonne, zur Freiheit. Maßvoll. Demütig. Dankbar. Schön, dass ihr dabei seid.

Pause. Am liebsten vom Krieg. Von Tod und Zerstörung. Von entfesselter Gewalt. Pause. Am besten von Despoten, Autokraten und anderen Machtmenschen Marke vergangenes Jahrtausend gleich mit. Pause von der Macht. Hin zu anderen Menschen. Mitmenschen. Zusammen. Gemeinsam. Kommunikation. Call & Response. Keine Demonstration. Gesunde Empathie. Let there be love. Love is all you need. Für immer und dich.

Pause. Von der Inflation.* Das wär’s doch. Entschleunigung. Pause vom Voranschreiten. Vom Vorauseilen. Auch Inflationen brauchen Pausen. Genau wie Bankkonten. Aber Pause braucht nicht Inflation. Go away. Come back another day. (*Wie bitte!? Die inflationäre Verwendung des Wörtchens „Pause“ wäre ein Anfang…!?)

Pausieren. Einfach zwischendurch. Anhalten. Den Blick schweifen lassen. Mal wieder in den Wald gehen, in den Park. Neues entdecken im Alten. Eine Scheune ist eine Scheune ist eine Scheune. Und im Dunkeln ist gut munkeln. In der Hörbucht…

Björn Simon (nach Diktat verreist)

Ulrich Tukur / Christian Redl / Olena Kushpler

Vom Zauber einer verwehenden Sprache

Vom Zauber einer verwehenden Sprache von

Random House Audio

4 Sterne

An Balladen kann sich so mancher noch aus dem Deutschunterricht erinnern, wenn etwa Goethes „Erlkönig“ oder Schillers „Der Taucher“ durchgenommen wurden. Für die Schauspieler Ulrich Tukur und Christian Redl sind sie weit mehr als öder Schulstoff, beide konnten sich schon in ihrer Jugend für diese Action-Variante deutscher Gedichte begeistern. „Als sich der junge Edelknappe zum zweiten Mal von der Klippe in die tosende See stürzte, um seinem König den goldenen Becher vom Grund wieder heraufzuholen“, sagt Tukur, „war mir klar, dass er das nicht überleben würde.“ Für den Schauspieler war die Ballade wie „ein Abenteuerfilm, der mich in die purpurnen Abgründe des Ozeans riss, zwischen Haifische, Rochen und drachenhafte Meeresungeheuer. Und noch heute sehe ich den goldenen Becher, wie er schimmernd an der Spitze einer Koralle hängt, die den Sturz ins Bodenlose verhinderte.“ Christian Redl dagegen, dessen charakteristischer Glatzkopf vielen noch aus der düsteren Fernsehserie Spreewaldkrimi in Erinnerung geblieben sein dürfte, waren es „die lasterhaften Balladen des François Villon in der kongenialen Nachdichtung von Paul Zech, die mich da in ihren Bann gezogen hatten“ – Klaus Kinski war in Redls Jugendzeit mit zahlreichen Villon-Programmen, die auch als Schallplatten-Aufnahmen zu den Bestsellern ihrer Zeit gehörten, live unterwegs gewesen.

Dass Schauspieler sich für Gedichte begeistern können, ist eine Binsenweisheit, denn Sprache gehört natürlich zu ihrem wichtigsten Handwerkszeug. Tukur und Redl allerdings gingen noch weiter und konzipierten aus ihrer Begeisterung einen Bühnenabend, der für diese CD im Juni 2021 im Hamburger St. Pauli Theater mitgeschnitten wurde. Dafür verpflichteten sie die ukrainische Pianistin Olena Kushpler als dritte Mitarbeiterin, die am Klavier auf die Texte mit Musikstücken reagiert – so spielt sie nach der „Seemannstreue“ von Ringelnatz die furios losstürmenden „Sarkasmen“ von Sergej Prokofjew und begegnet Villons „Ballade von der Mäusefrau“ mit Schönbergs „Sechs kleinen Klavierstücken“. Das führt zu faszinierenden Synergieeffekten, wenn etwa auf Rilkes berühmten „Herbsttag“ – die Zeile „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“ dürften wohl auch Poesie-Verächter kennen – die Klavierfassung einer Arie aus Christoph Willibald Glucks Oper Orpheus und Eurydike folgt. Auch leichte Momente gelingen ihr mit Lässigkeit, wenn sie etwa Erich Kästners „Der Handstand auf der Loreley“ – „man stirbt nicht mehr beim Schiffen, auch wenn ein blondes Weib sich dauernd kämmt“ – mit der Ouvertüre aus Strauß’ Die Fledermaus kontert. Tukur steigt dazu ein mit dem absurd-witzigen Gedicht „Das Triangel“ von Georg Kreisler.

Der hohe Ton, den man mit diesen Kleinoden deutscher Sprache gemeinhin verbindet, ist die Sache Tukurs und Redls glücklicherweise nicht. Sie tragen diese Sprachkunstwerke vielmehr in die Gegenwart, indem sie sie so vortragen, als ob sie eine spannende Geschichte zu erzählen haben, und schrecken dabei auch vor Knalleffekten nicht zurück – manchmal, so schrieb Wolfgang Schneider in der FAZ, schreie Tukur, „als müsse er gegen Windstärke Elf anrezitieren“. Dass Tukur sich auch gern als Sänger präsentiert, wissen alle, die ihn schon zusammen mit seiner Band Die Rhythmus Boys erlebt haben – auf Vom Zauber einer verwehenden Sprache singt er Brechts „Erinnerung an die Marie A.“ und begleitet sich dabei selbst auf dem Akkordeon.

Inhaltlich sind es oft die dunklen Themen, die zu Wort kommen, es geht um Mord, Ehebruch, Verführung, Kindsmord, Spukerscheinungen der Liebe und Untreue. Doch wenn Christian Redl mit knarrender Stimme die Anfangszeile „Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküsst“ aus Eichendorffs „Mondnacht“ vorträgt, dann hält man auch bei einer schlichten Naturbeobachtung den Atem an. Dem selbst gestellten Anspruch, „den Reichtum und die Schönheit der deutschen Sprache zum Ausdruck zu bringen“, werden Tukur und Redl jedenfalls mehr als gerecht.

Rolf Thomas