HÖRBUCHT
ASSISTENTINNEN
Manche sagen, hinter jedem Helden stehe eine tolle Frau. Hinter jedem erfolgreichen Mann eine ehrgeizige Heldin des Alltags. Viele Männer brauchen die richtige Assistentin. Für die Logistik, für die eigene Lebensfähigkeit. Für die kleinen und großen Dinge des Lebens. Nicht für die Infrastruktur, aber … Kann ja nicht schaden. Selbstreferenziell. In der Hörbucht…
Björn Simon
Caroline Wahl
Die Assistentin
Argon
4 Sterne
Bestsellerautorin Caroline Wahl hat gerade einen ziemlich guten Lauf: 30 Jahre alt, drittes Buch, erste Verfilmung, Lesereisen quer durchs Land, Interviews, Podcasts – die Frau scheint allgegenwärtig zu sein. Da wäre es doch höchste Zeit, dass jemand mal ein Haar in der Suppe ihres Erfolgs finden würde. Ganz nach dem Motto: Kann, was so erfolgreich ist, auch wirklich gut sein?
Ersten Gegenwind musste sie bereits überstehen: Da hatte sie doch tatsächlich gewagt, nicht nur zuzugeben, eine der bekanntesten Autorinnen Deutschlands werden zu wollen, sondern auch gestanden, wie enttäuscht sie darüber war, nicht für den Deutschen Buchpreis nominiert worden zu sein. Dass beides, wie sie vermutet, einem Mann weniger übel genommen worden wäre als einer jungen Frau, mag ein feministisches Missverständnis sein – tatsächlich riechen Ambition und Ehrgeiz in Deutschland generell immer ein bisschen nach Schweiß und Ellbogen –, angesagt ist geschlechterübergreifend eher das, worauf Caroline Wahl eben „keinen Bock“ hat: falsche Bescheidenheit.
Kommt erschwerend hinzu, dass die Autorin auch noch die Traute hat, ihren Erfolg zu genießen – sich beispielweise einen babyblauen Luxusflitzer zu leisten und damit sehr gern und gerne schnell über deutsche Autobahnen zu brausen. Tatsächlich war ihr der Erfolg aber nicht in die Wiege gelegt (und tatsächlich schreibt sie nicht nur erfolgreich, sondern gut). Als sie mit ihrem ersten Roman, „22 Bahnen“, begann, war sie noch eine Assistentin im Zürcher Diogenes Verlag. Gut eine Million verkaufte Bücher dieses Erstlings später ist sie auf derlei Frondienst längst nicht mehr angewiesen, sondern schon sehr weit gekommen in ihrer eingestandenen Ambition, „reich und berühmt“ werden zu wollen – eigene Fanbase mit stattlicher Instagram-Crowd inklusive.
Das mit dem Deutschen Buchpreis hat dann zwar weder mit dem zweiten, ebenfalls sehr gut verkauften Buch, „Windstärke 17“, noch mit ihrem gerade erst erschienenen dritten, „Die Assistentin“, geklappt, aber einen wichtigen Schritt in ihrer literarischen Entwicklung machte sie mit letzterem durchaus. Nämlich: etwas Neues zu versuchen und sich damit auch selbst neu auszuprobieren. War „Windstärke 17“ eine Fortschreibung dessen, was Ida, die aus dem Erstling bekannte kleine Schwester der Protagonistin Tilda, als junge Erwachsene erlebt, so ist „Die Assistentin“ eine ganz eigenständig-neue, auch mit auktorialer Erzählstimme experimentierende Geschichte, die sie jetzt erstmals auch als Hörbuch selbst eingelesen hat.
Inwieweit das eine gute Entscheidung war, den Text selbst zu lesen, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Caroline Wahl hat in Interviews eine angenehm klingende Stimme, die beim Vorlesen in etwas höhere Register wandert. Zudem liest sie in einem sehr monotonen Tonfall, als wolle sie alles übertrieben Theatralische bewusst vermeiden. Immerhin spricht sie ihren Text aber auch sehr gut verständlich, und wer – wie die Autorin selbst – Hörbücher beispielsweise gerne auf längeren Autofahrten hört, für den ist „Die Assistentin“ in jedem Fall eine gute Stau-Empfehlung.
Worum es geht? Auch darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Für die einen ist es vor allem „ein Lehrstück über einen Machtmissbrauch“. Für Caroline Wahl selbst ist es dagegen mehr die Geschichte der Loslösung einer Tochter von ihren Eltern, eine Adoleszenzgeschichte also. Coming of Age again. Und sicher gibt es gute Gründe dafür, diesem Hinweis der Autorin zu folgen: Schon „22 Bahnen“ war keine autofiktionale Erzählung, so sehr das die Ich-Erzählerinnen-Perspektive auch nahelegen könnte. „Die Assistentin“ mag zwar einige biografische Parallelen im Leben der Autorin haben – aber es hat schon seine Gründe, dass es in ihrem neuen Buch um eine Charlotte statt um eine Caroline geht, die in einem Münchner statt in einem Zürcher Verlag arbeitet. Und dessen Verleger Ugo Maise heißt, nicht Philipp Keel. Trauen darf man hier wohl vor allem dem Gefühl, das Caroline Wahl beschreibt – wie überhaupt die Suche nach der wahren Empfindung ein literarischer Hauptantrieb sein dürfte. Vor diesem Hintergrund ist das übergriffige Verhalten des Verlegers, aber auch das Dabei-zuschauen-und-Schweigen der Mitarbeitenden empörenswert – existenziell bedeutend(er) ist aber vermutlich der Prozess, den die Protagonistin durchmacht, als sie erkennt, dass das, was ihr Vater für einen Traumjob hält, nicht ihr Traum ist. Um eigene Träume zu träumen, folgt daraus, muss sie eigene Wege gehen. Und dass sie diese Wege ausgerechnet in die Musik, in eine Karriere als Musikerin führen sollen, ist doch nicht zuletzt für eine Musikzeitschrift, in der diese Besprechung erscheint, eine schöne Pointe.
Robert Fischer



