HÖRBUCHT

VERSTÄRKER

Schon Conan der Barbar und August der sehr Superstarke wussten um die positive Wirkung von Verstärkern, vom alttestamentarischen Samson nicht zu schweigen, dessen unbändige Kraft brutal unschamponiert in den Haaren steckte. Der Ferse des Achilles sollten jedoch ebenso viele Schwachstellen menschlicher Physis folgen (hier schweigen wir dann taktvoll von der Psyche), und selbst Drachenblut verstärkte Siegfrieds strahlende Unbesiegbarkeit zu schlechter Letzt nur unzulänglich. Jedem Supermann sein Kryptonit. Umso erfreulicher, wenn sie mal nachhaltiger und etwas filigraner funktionieren, die Verstärker, und etwa Stimmungen forcieren oder die Poesie des Augenblicks. Nennen wir sie Musik, diese Verstärker. Und die sind auch dann noch faszinierend, wenn der Soundtrack des Lebens auch dessen Schattenseiten verdichtet. In der Hörbucht

Björn Simon

Sie sprechen mit der Stasi von Andreas Ammer

Andreas Ammer / FM Einheit

Sie sprechen mit der Stasi

Der Hörverlag / Edel:Kultur

5 Sterne

Seit einem Vierteljahrhundert arbeitet der ehemalige Einstürzende Neubau FM Einheit – in Blixa Bargelds Band verantwortlich für allerlei metallischen Lärm – mit dem Regisseur und Produzenten Andreas Ammer zusammen, um Hörspiele, Collagen und Klanginstallationen zu kreieren. Jetzt haben sie sich auf die Suche nach Originaltönen der DDR-Staatssicherheit begeben – das Ergebnis ist mehr als faszinierend, es ist atemberaubend. Untertanenmentalität, Denunziantentum, aber auch einfallsreiche Sabotage-Ideen sind zu hören, und allein die Sesselfurzer des berüchtigten MfS (Ministerium für Staatssicherheit) verlieren viel von ihrem Schrecken, weil sie so erschreckend dumm und träge sind. Allein die Verwendung von Begriffen wie „Teilnehmer“, mit dem sich der diensthabende Offizier am Telefon meldet (natürlich ohne seinen Namen zu nennen), und „Fluchtversuch“ für das schlichte Bemühen, die DDR zu verlassen, spricht Bände.

Die Mitschnitte von Telefonanrufen einfacher Bürger sind skurril bis erschreckend, die Tonbandaufnahmen von Verhören bauen Terror und Schrecken, den man im Allgemeinen mit dem DDR-Geheimdienst verbindet und den man durch das dümmliche Verhalten der Stasi-Mitarbeiter am Telefon beinahe vergessen hätte, flugs wieder auf. Hier zeigen die miesen Bürokraten der Staatssicherheit ihr wahres Gesicht und schreien, schüchtern ein und bedrohen die „Verdächtigen“, die auf ein faires Gerichtsverfahren nicht hoffen konnten. Tonfall und Diktion erinnern an den berüchtigten Volksgerichtshof der Nazis und dessen niederträchtigen Präsidenten Roland Freisler. Wer nach diesem Hörspiel noch DDR samt Stasi verharmlost, dem ist nicht mehr zu helfen, und insbesondere Politiker der Linken sollten sich für ihr ständiges Schweigen, Abwiegeln und Relativieren schämen.

Die bedrohliche Atmosphäre des Materials wird durch die düstere Musik, die FM Einheit unter das Tonmaterial mischt, noch verstärkt, was gleichzeitig dazu führt, dass Sie sprechen mit der Stasi nicht nur scheußlich, sondern auch verdammt unterhaltsam ist. Denn das Hörspiel dokumentiert einen Schrecken, der überwunden wurde, die Herrschaft der Doofen ist einstweilen vorbei. Heute steht wohl eher die AfD für eine vergleichbare Mentalität. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass die Fans von Bernd Höcke und Beatrix von Storch auch gerne so mit ihren politischen Gegnern umspringen würden.

Rolf Thomas

Bassa

Ahewáuwen – ein Tangomärchen

Flowfish Records / Broken Silence

Ein Tangomärchen – bassa

4 Sterne

Das Lob, eine Band könne selbst ohne Worte Geschichten erzählen, gehört zum gängigen Journalisten-Repertoire. Gern genommen, wenn es um Musik geht, die besonders stimmungsvoll ist und die Fantasie anregt. Auch das Berliner Tango- und Weltmusikquartett Bassa konnte sich schon häufiger über entsprechende Zuschreibungen freuen. Mitgedacht ist bei dem Lob stets die Umkehrung, dass die Fähigkeit, mit Worten eine Geschichte zu erzählen, ein Kinderspiel und deshalb kaum der Rede wert sei. Aber ist es wirklich so einfach? Bassa haben es ausprobiert. Ihr neues Album Ahewáuwen basiert auf einem Märchen der Selk’nam, einer Ethnie, die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Feuerland lebte. Für eine Band, die vom Tango kommt, eine geografisch durchaus naheliegende Wahl.

Die vier von Bassa entschieden sich dafür, Text und Musik getrennt voneinander aufzunehmen und den Fortgang des Märchens, gelesen von der Schauspielerin und Regisseurin Judica Albrecht, in kurzen Sprechpassagen zwischen Instrumentalkompositionen zu montieren. Etwa 30 Minuten Musik und neun Minuten Textvortrag erzählen so gemeinsam die Geschichte des Seelöwen Ahewáuwen, der sich in ein menschliches Mädchen verliebt. Während sie angelt, gelingt es ihm, sie ins Wasser zu ziehen, in eine abgelegene Bucht zu entführen und ihr Herz zu gewinnen. Den Dorfbewohnern, die sich auf die Suche nach der Verschwundenen machen, bleibt nur der Blick auf zwei in der Ferne verschwindende Seelöwen in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne.

Die Handlung ist nicht übermäßig komplex, aber – wie es sich für Märchen gehört – in viele Richtungen interpretierbar. Der Reiz des Unbekannten, die alles überwindende Kraft der Liebe, die sich in den Mut verwandelt, alles für sie aufzugeben und völlig neu zu beginnen – die Motive der Geschichte berühren große Fragen. Vor allem aber funktioniert das Märchen bestens als Auslöser für musikalische Ideen. Mal tänzerisch und nah am Tango wie im vom Gitarristen Takashi Peterson komponierten „Wellenritt“, dann träge und erschöpft wie in Geigerin Miriam Erttmanns „Gestrandet“, aber immer mit kammermusikalischer Finesse, zeichnen die Musiker mit Geige, Klarinette (Hannes Daerr), Gitarre und Kontrabass (Tobias Fleischer) die Geschichte auf ihre Weise nach, ergänzen das Geschehen um eine zusätzliche Ebene und verstärken die Bilder im Kopf des Hörers.

Mag es auf den ersten Eindruck noch bedauerlich erscheinen, dass Musik und Wort nicht miteinander verwoben, sondern nebeneinandergestellt werden, wird beim Hören bald deutlich, dass das Konzept gut gewählt ist. Die Instrumentalstücke können gut für sich stehen und sind zu schade, um als bloße Untermalung zu dienen. Andererseits lenkt nichts vom Vortrag Judica Albrechts ab, die den Text bedächtig, aber nicht allzu märchentantig liest – wobei auch das bei einem Märchen wohl kaum zu beanstanden wäre. Und Bassa können künftig stolz von sich behaupten, auch mit zusätzlichen Worten eine Geschichte erzählen zu können.

Guido Diesing