Theaterhaus Jazztage Stuttgart

© Hans Kumpf

Von Harry Schmidt. Während das hochsommerliche Stuttgarter Jazzopen-Festival seinen Publikumszuspruch auch mit Pop- und Rockkonzerten generiert, setzt das Festival der Theaterhaus-Macher zu Ostern komplett auf Jazz. Werner Schretzmeier, der das Programm gemeinsam mit Programmplaner Wolfgang Marmulla kuratiert, zeigte sich angesichts einer Auslastung von über 80 Prozent hochzufrieden.

Einer der Gründe für die Resonanz dürfte in der familiären Atmosphäre des Festivals liegen, in der Künstler und Publikum sich immer wieder zwanglos begegnen. Neben Präsenz ist auch Timing eine Kardinaltugend des Jazz. Im denkmalgeschützten Backsteinbau am Stuttgarter Pragsattel verbinden sich die vier Säle zu einem Festival der kurzen Wege, bei dem es kein Problem ist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Etwa, wenn Patrick Bebelaar gerade eine frappierende Interpretation von „How Insensitive“ aus dem Flügel perlen lässt. Oder wenn Saxofon-Altmeister Lee Konitz, mit 90 Jahren der Nestor im diesjährigen Line-up, mit einem Trio von Musikern, die im Schnitt ein Drittel so alt sein dürften, die sensationell unspektakuläre Eleganz seines mit cooler Nonchalance geblasenen Saxofontons demonstriert. Am anderen Ende des Spektrums war der Auftritt des britischen Quartetts Sons of Kemet um den Saxofonisten Shabaka Hutchings eines der großen Highlights – eine Energieentbindung ungeheuren Ausmaßes. Wie viele Level der organisierten Raserei es tatsächlich geben kann, war einem zuvor nicht bewusst gewesen. Auch der Auftritt des armenischen Pianisten Tigran Hamasyan zählte zu den diesjährigen Höhepunkten.

Neben überraschenden Entdeckungen boten die Jazztage auch Gelegenheit zur Überprüfung bestehender Einschätzungen. Ja, John Surman, der mit Alexander Hawkins, einem hochinteressanten Newcomer am Piano, auftrat, ist wirklich ein Elder Statesman des europäischen Jazz. Jean Luc Ponty, der mit dem Gitarristen Biréli Lagrène und Clint Eastwoods Sohn Kyle am Bass spielte, ist noch immer der Meister der elektrifizierten Jazz-Geige. Wolfgang Haffner ist einer der besten deutschen Drummer, Sebastian Studnitzky einer der souveränsten Sidemen, Renaud García-Fons einer der eigenwilligsten Bassisten der Szene. Und nein, die harmlose, weichgespülte Jazz-Party-Mucke der Nils Landgren Funk Unit überzeugt nicht mehr.

So manche Bühnen-Konstellation feierte ihre Weltpremiere. Dass bei einer Programmplanung, die sich auf Experimente einlässt, nicht alles gleich gut funktioniert, liegt in der Natur einer Sache, für die Jazz mehr bedeutet als swingende Unterhaltung, nämlich auch: Risiko, Wagnis, Fallhöhe. Während die Premiere des Duos Surman / Hawkins fruchtbar geriet, fanden der Schweizer Perkussionist Reto Weber und seine Gäste nur selten zusammen. Eric Schaefers Projekt Kyoto Mon Amour beeindruckte mit poetischer Tiefe, fand aber nicht zur idealen Balance zwischen den europäischen und japanischen Klangwelten. Dass in diesem Jahr Frauen weitgehend auf eine Rolle am Mikrofon beschränkt blieben, hatte bereits im Vorfeld für Kritik gesorgt. „Es ist uns einfach passiert“, sagt Schretzmeier – und kündigt fürs nächste Festival einen Frauenanteil von über 50 Prozent an.