JazzChurFestival
Chur

© mediamarc GmbH JAZZTHETIKoben: Lea Maria Fries
Von Christoph Giese. Warum sollte man mal nach Chur fahren? Nun, die weltberühmten Kurorte Davos und St. Moritz sind nicht weit entfernt, und nach Italien dauert es ebenfalls nicht mehr so lange. Wenn man dann noch ein Event wie das JazzChurFestival dabei entdecken kann, macht das die Reise perfekt.
Der Fokus dieses sympathischen, nahbaren Festivals liegt auf dem europäischen Jazz und auch auf der jungen Schweizer Szene. Bei den Konzerten herrscht eine intime, direkte Atmosphäre. Was bei einer Band wie dem Trio Knobil aus Lausanne wunderbar ist und der Bandleaderin, Kontrabassistin und Sängerin Louise Knobil entgegenkommt. Ist die junge Schweizerin doch eine Künstlerin mit viel Herz und Wärme, die alleine schon mit ihren Ansagen in holprigem Deutsch mit französischem Akzent die Herzen des Publikums erwärmt. Frisch und gewitzt, voller poetischer Fantasien ist auch die Musik von Knobil, aberwitzig so mancher Song, etwa der über das Öffnen eines Pesto-Glases im Lockdown. In der Besetzung mit Kontrabass, Bassklarinette (Chloé Marsigny) und Schlagzeug (Vincent Andreae) wirbeln Knobil Hörgewohnheiten durcheinander und bestechen durch eine punktgenaue Abstimmung untereinander, etwa wenn Bassklarinette und Stimme völlig synchron agieren in diesem swingenden und groovenden Chanson-Postbop-Glitzerjazz.
Ebenfalls eingängig, aber anders, poppiger, ohne dabei das Jazzige aus den Augen zu verlieren, präsentierte sich in Chur die in Paris lebende, ausdrucksstarke und energievolle Luzerner Sängerin Lea Maria Fries mit ihrem Quartett, in dem vor allem der brasilianische Pianist Leonardo Montana mit seinem geschmackvollen Spiel verzückte. Fries kann es aber auch leise, zurückgenommen. Eine in allen Nuancen starke Stimme des Schweizer Jazz. Auch die deutsche Sängerin Sara Decker bewegt sich mit ihrem Projekt Expand zwischen Jazz und Pop. Und überzeugte mit leicht daherkommenden Songs und Texten mit Tiefgang und ihrem angenehmen, warmen, einfühlsamen Gesangsstil im Verbund mit ihren Bandmates wie Yuhan Su (vib) oder Mareike Wiening (dr), die mit ihrem Spiel und ihren Ideen die Musik innerhalb der Songstrukturen schön öffneten.

© mediamarc GmbH JAZZTHETIKoben: Lea Maria Fries
Stolpernde Rhythmen der südkoreanischen Schlagzeugerin Sun-Mi Hong, dazu auch mal verquere Bass-Grooves vom Bandleader, und darüber parlieren dann zwei Saxofone herrlich einzeln oder miteinander, verzahnen sich, stürzen sich in emotional-heiße Soli – so klingt Pietre, das in Holland beheimate, akkordlose Quartett des italienischen Kontrabassisten Alessandro Fongaro, das mit einem dichten, mitreißenden Sound verzückte.
Was das JazzChurFestival noch ausmacht, ist die Dramaturgie der Konzertabende. Zwischen den expressiven Konzerten von Andreas Schaerer und Alessando Fongaro ein Saxofon-Solo-Set des Schweizers mit indischen Wurzeln Ganesh Geymeier zu platzieren – perfekt. Sehr meditativ klang dieses Konzert, und vielleicht nicht besonders aufregend, aber doch irgendwie genau richtig in diesem Moment. Am Abend danach setzte das Festival zwei Klaviertrios hintereinander, zunächst das des Tessiners Gabriele Pezzoli mit seinen sensiblen, sehr melodischen und romantisch tönenden Eigenkompositionen, dann das energiegeladen agierende Olga Reznichenko Trio mit überraschenden Improvisationen in unberechenbaren Kompositionsstrukturen, mit soghaften, rhythmisch vertrackten Stücken Musik voller herrlicher Widerhaken.



