Jazzfest Berlin
Improvisieren!
2008 erlebte das Jazzfest Berlin ein politisches Aufatmen, es war ein „Yes/Jazz we can“-Freudenfest kurz nach der Wahl Barack Obamas zum 44. Präsidenten der USA. Im vergangenen Herbst stand das 60-jährige Jubiläum aber schon im drohenden Schatten der US-Wahlen im Anschluss. Und heute? Eine politische Vorschau.
Von Angela Ballhorn
Seither haben sich schlimmste Befürchtungen bewahrheitet. Momentan kuschen Medien, kritische Stimmen werden unterdrückt. Jason Moran, künstlerischer Leiter für Jazz im Kennedy Center, ist nach 14 Jahren hervorragender Arbeit zurückgetreten. „Wir haben das Kennedy Center übernommen“, sagte Trump im Februar. „Wir mochten nicht, was sie gezeigt haben.“
Jazz war immer politische Musik, Musik des Protests und der Freiheit, eine Stimme gegen Ungerechtigkeit. Im Herkunftsland USA steht Jazz jetzt weit unten auf der Liste der politischen Führung, für die tapsige Tanzbewegungen zu „YMCA“ schon zur Hochkultur zählen und die die Oper im Kennedy Center in Melania Trump Opera House umbenennen wollen. Dass US-Jazzmusiker*innen für vereinfachte Visum-Prozesse nach europäischen Vorfahren für alternative Pässe suchen, ist Realität, keine dystopische Vision im „Land of the Free“.
Eine Oase im Vergleich zum schon lange schlechten (Live-)Markt im eigenen Land ist für amerikanische Jazzer Europa mit seinen großen Festivals wie dem Jazzfest Berlin. Vom 30. Oktober bis 2. November werden in der 62. Edition über 120 internationale Musiker*innen aus mehr als 20 Ländern aufeinandertreffen. Vier Tage, 25 Acts, viele etablierte Ausnahmekünstler*innen und jüngere Stimmen der internationalen Szene werden zu hören sein. Aus den USA sind James Brandon Lewis, Mary Halvorson, Makaya McCraven oder Wadada Leo Smith

© Wadada Leo Smith © Phil Penman
und Vijay Iyer vertreten.

Vijay Iyer

Laurence Donohue-Greene
„Die Situation ist extrem schwierig“, sagt die Gitarristin Mary Halvorson. „Jüngstes Beispiel ist der Wegfall der Mittel für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk [NPR / National Public Radio]. Viele Veranstaltungsorte haben ihre Fördermittel verloren, da auch das National Endowment for the Arts [NEA] Kürzungen hinnehmen musste. Das Kennedy Center wurde von Trump übernommen, was für diese Institution ein großer Verlust ist. Hinzu kommen die versuchte Unterdrückung der Meinungsfreiheit und die prekäre Lage für Nicht-US-Bürger. Für Musiker aus anderen Ländern wird es immer schwieriger, Visa für Konzerte in den USA zu bekommen. Ganz zu schweigen von der zunehmenden Entfremdung der USA von anderen Ländern. Und wir befinden uns erst in der Anfangsphase dieser Präsidentschaft.“
Ein toxischer Moment
Der Journalist (DOWNBEAT u.a.) Paul de Barros aus Seattle fügt an:
„Earshot Jazz Seattle verlor 25.000 Dollar an Bundesmitteln, und unser lokaler Jazzsender verlor 600.000 Dollar. Bisher sind die Auswirkungen eher ansatzweise als unmittelbar, zumindest in meinen Kreisen. Öffentliche Förderung macht bekanntlich in den USA einen viel geringeren Anteil an den Kulturbudgets aus als in Europa. Ich hoffe, dass uns der private Sektor durch die Ära des ,Big A…hole‘ bringen wird.“ Nate Chinen, vielfach ausgezeichneter Jazzjournalist und Autor, ist pessimistisch: „Jazz ist Musik der Freiheit, deren Ursprünge im Kampf liegen. Dennoch kann ich mich nicht erinnern, dass sich kreative Künstler und wohlwollende Beobachter in Amerika jemals so bedrängt gefühlt hätten. Die Auswirkungen sind vielfältig und betreffen Bedingungen des internationalen Reise- und Handelsverkehrs ebenso wie die zunehmende Unterdrückung abweichender Meinungen – eine Zensur, die sich sowohl auf Unternehmens- als auch auf individueller Ebene manifestiert. Jazzmusiker reagieren empfindlich auf atmosphärische Einflüsse, und dies ist ein toxischer Moment in unserer Geschichte.

Makaya
McCraven

ames Brandon Lewis
Zwei Beispiele, die die

Paul de Barros © Erika Schultz
Jazzkultur betreffen: Im April berichtete ich für NPR über die Zeremonie der NEA Jazz Masters im Kennedy Center. Ich vermutete, dass es das letzte Mal sein könnte, dass wir ein solches Ereignis erlebten – und Anfang des Monats erhielten wir die Bestätigung, dass Jason Moran, der künstlerische Leiter für Jazz im Kennedy Center, zurückgetreten war. Kürzlich verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das der Corporation for Public Broadcasting die Mittel entzieht – der Institution, auf deren Unterstützung die öffentlich-rechtlichen Medien, darunter auch die NPR-Mitgliedssender, angewiesen sind. Wir stehen vor der Möglichkeit, dass die Unterstützung für Jazz sowohl vom NEA als auch von allen öffentlich-rechtlichen Medien (NPR, PBS) abrupt endet. Die amerikanischen Förderstrukturen für diese Kunstform hinkten europäischen Pendants lange hinterher, nun scheint es, als sei das gesamte Gerüst von einer Abrissbirne getroffen worden. Der einzige Trost, den ich im Moment habe, ist die Widerstandsfähigkeit der Community, die sich immer wieder bewährt hat. Ich werde weiterhin nach Möglichkeiten suchen, Unterstützung zu leisten, und freue mich auf meinen Besuch beim Jazzfest Berlin im Herbst, denn ich weiß, dass die Atmosphäre eine willkommene Erholung sein wird.“
Dass Anstrengungen nötig sein werden, damit das so bleibt, ist Jazzfest-Leiterin Nadin Deventer nur zu bewusst: „Ich appelliere an alle, sich mit Vehemenz gegen das Auseinanderdriften oder gar -brechen unserer globalen Communitys zu stemmen, indem wir weiterhin kooperativ, integrativ und pluralistisch unsere Festival- und Clubprogramme gestalten, auch um ein Zeichen für Solidarität, Akzeptanz, Vielstimmigkeit und Toleranz zu setzen.“
Laurence Donohue-Greene, Chefredakteur von THE NEW YORK CITY JAZZ RECORD / nycjazzrecord.com, zeigt sich kämpferisch. Mit den Worten „Vorwärts und weiter!“ schließt sein düsteres Resümee: „Es ist kein Geheimnis, dass die Künste in den USA seit der neuen Präsidentschaft unter schweren Beschuss geraten sind, und es ist auch keine Überraschung. Ich treffe selten – wenn überhaupt – jemanden aus dem kreativen Bereich, der die Politik und Prioritäten dieser Regierung teilt, insbesondere was die Kürzung der Kunstförderung betrifft, ganz zu schweigen vom Interesse am Beitrag und Erbe des Jazz für Amerika (und den Rest der Welt). Besonders in den letzten Monaten – und ich kann kaum glauben, dass seit der Amtseinführung des Präsidenten erst sechs Monate vergangen sind, denn es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, und es könnte ein Leben dauern, bis ich mich davon erholt habe – wurde mein E-Mail-Postfach täglich mit Spendenaufrufen überflutet, nachdem Organisationen wie dem National Endowment for the Arts die finanziellen Mittel gekürzt wurden, auf die Musiker und gemeinnützige Organisationen so angewiesen waren, so dass viele nun auf sich allein gestellt sind, um ihr Überleben zu sichern. Bei all den ,alternativen Fakten‘ (ein verrückter Leitsatz der Trump-Regierung), die uns täglich überfluten, wird Jack Kerouacs Satz „Die einzige Wahrheit ist Musik“ immer mehr zur Realität. Die Welt der improvisierenden Musiker tut weiterhin das, was sie am besten kann, und zwar auf die Art, die sie beherrscht, trotz aller Widrigkeiten. Es ist ihnen so selbstverständlich wie das Atmen: improvisieren.“
Website:
www.berlinerfestspiele.de/jazzfest-berlin
Termin:
30. 10.-2.11.; Vorverkauf ab 18.9.