JazzFest

Berlin

Aquiles Navarro & Tcheser Holmes

Keir Neuringer

Von Rolf Thomas. Unter dem merkwürdigen Namen Trio Heinz Herbert firmierte das erfrischendste Ensemble beim Berliner JazzFest. Der Dreier aus der Schweiz mit einer Wiederbelebung des Hippie-Krautrock-Free-Jazz der 70er spielte allerdings nur in der Kassenhalle des Berliner Festspielhauses mit beschränktem Fassungsvermögen.

Dudu Kouate

Die Verwandlung der Kassenhalle in eine Bühne war Teil des Spektakels, auf das die neue künstlerische Leiterin Nadin Deventer setzt – genau das hat der Berliner Festspiel-Intendant Thomas Oberender auch gewollt, als er sie zum Missfallen der ARD berufen hat. So erstrahlte das Festspielhaus mit von RWE bezahlter Lichtkunst, einem himmelblauen Fußboden und goldenen Sternen in gleißender Helligkeit, viele Europa- und Deutschlandpremieren wurden gefeiert und viel zu viele Acts aus Chicago ins Programm gehoben. Das riesige Exploding Star Ensemble des Trompeters Rob Mazurek langweilte mit besinnungslosem Gehupe, Gekratze und Geschabe, bei dem man sich fragte, warum die Musiker aus Berlin und Chicago überhaupt vier Tage geprobt hatten, Artist-in-Residence Mary Halvorson fand im Trio Thumbscrew keine musikalische Basis, das Art Ensemble of Chicago plätscherte vor sich hin, und auch Roscoe Mitchell spielte beim Duo mit Moor Mother an der Spoken-Word-Aktivistin vorbei. Immerhin, das Black Earth Ensemble der Flötistin Nicole Mitchell hatte neben Leerlauf auch entzückende karibische Momente und der Auftritt der Trompeterin Jaimie Branch Substanz.

Halvorson Frisell

Aber natürlich gab es auch viele Acts, die musikalisch überzeugten: Die WDR Big Band sorgte mit Sängerin Jazzmeia Horn („Deutschlandpremiere!“) für gediegene Eleganz, und der Soloauftritt von Bill Frisell befriedigte immerhin ganz allein das Bedürfnis des Berliner Publikums nach Stars. Das Ensemble des Pianisten Jason Moran erinnerte mit einer musikalischen Meditation an James Reese Europe, einen Pionier des ganz frühen Jazz. Nadin Deventer erschloss dem Festival mit dem Kreuzberger Club Prince Charles eine neue Location, in der die junge Londoner Saxofonistin Nubya Garcia mit kochend heißem psychedelischem Soul-Jazz aufwartete, reanimierte mit dem Quasimodo eine alte und war überhaupt bemüht, alles neu und anders zu machen – ob das alles Sinn ergab, war erst einmal zweitrangig.

Lester St. Louis

Die dumpfen Angriffe eines Bloggers, der vor 40 Jahren eine bahnbrechende Sendung im WDR-Hörfunk moderierte, noch vor dem Festival hatten dennoch keine Grundlage. Er wetterte gegen angestrebte Genderquoten, löschte den Beitrag sodann, stellte ihn aber, als der Shitstorm losbrach, wieder ins Netz – wie man zu seiner Ehrenrettung sagen muss. Dass es ihm allerdings nicht peinlich ist, mit Vatis Argumenten, etwa, es gebe überhaupt nur 20 Prozent Jazzmusikerinnen, gegen eine Quote zu argumentieren, ist dann doch bedenklich. Dass sich mit exakt diesem Argument auch die von ihm gescholtenen DAX-Vorstände gegen zu viele Frauen in ihren Aufsichtsräten wehren, scheint ihm entgangen zu sein. Von Deventer sei „keine kuratorische Leistung“ überliefert, behauptete der Blogger weiter. Mit einem Klick hätte er zutage fördern können, dass Deventer zwölf Jahre lang das verschlafene Provinzfestival jazzwerkruhr in ein international beachtetes Spektakel verwandelt hat, fürwahr keine geringe Leistung. Doch wieso soll man sich seine Vorurteile durch Fakten ruinieren?