LIVES

Nicht dass ihn sein Verlag nicht gewarnt hätte, erzählt Heinz Strunk bei einer Lesung lakonisch, dass es mit Kurzgeschichten immer so eine Sache sei, ein bisschen heikel. Live-Lakonie auf der Bühne, die sehr gut mit Lustlosigkeit verwechselt werden kann an diesem Abend. Mechanisches Lesen ohne Zugabe, und auch das Publikum verlangt nicht mal nach mehr. Zu deprimierend sind die Texte, zu herunterziehend ist der Grundton der Verzweiflung. Hier wird nicht schön gescheitert, sondern schmerzhaft, quälend realistisch. Ästhetischer, kunstvoller geht es zu bei Benjamin von Stuckrad-Barre, dessen Panikherz einen literarischen Seelenstrip von Format offenbart. Ein Blick zurück bzw. ein Ohr auf den Erstling des (Schublade auf) „Pop-Literaten“ (Schublade zu), das vom Autor komplett eingelesene Soloalbum, lohnt vor diesem Hintergrund. In der Hörbucht

Björn Simon

Heiny Strunk – Das Teemännchen

Heinz Strunk

Das Teemännchen

Tacheles! / Roof Music

4,5 Sterne

Bedrückende Atmosphäre, Beklemmung und deprimierende Charaktere gewünscht? Dann ist – ungeachtet des putzigen Titels – Das Teemännchen genau die richtige Wahl. In seiner Sammlung von Kurzgeschichten nimmt sich Heinz Strunk wieder der Beschädigten, Versehrten und Abgehängten an und beweist ein weiteres Mal seine Meisterschaft als Chronist des Scheiterns. Die Geschichten tragen Titel wie „Der Bunker der verlorenen Seelen“, „Ein misslungenes Leben“ oder „Nutten mit Kaffeefahne“ und sind bevölkert mit Figuren, wie man sie aus Strunks Romanen und Hörspielen kennt: Verlierer, von Demütigungen gezeichnet, Menschen, deren Hoffnungen an der Wirklichkeit zerschellen. „Sie haben das Stadium des sturen Weiterlebens erreicht. Das Ende verspricht zu kommen, trifft aber nie ein. Weiterfallen, Jahre, vielleicht Jahrzehnte.“

Da ist die einstige Dorfschönheit, die bei ihrem vermeintlich vorübergehenden Job in einer Imbissbude den Absprung verpasst und schrittweise verfällt, bis sie in den Keller verbannt wird, weil ihr Anblick den Kunden nicht mehr zuzumuten ist. Da ist der Alt-Linke, über den die Zeit hinweggefegt ist und der sich kaum noch aus der Wohnung traut, weil er auf der Straße spürt, dass er in seinem alten, mittlerweile gentrifizierten Kiez nicht mehr erwünscht ist. Da ist das übergewichtige Paar an der Autobahnraststätte, das zwischen XXL-Currywurst und Spielautomat sein Glück sucht – natürlich vergebens. Lauter „Menschen, die ihren Lebenshöhepunkt nie erreicht haben“, wie es stellvertretend in einer Geschichte heißt. Und immer, wenn sich im Strunk-Kosmos etwas zum Besseren zu verändern scheint, macht die unweigerlich folgende Wendung alles noch schlimmer. Da kann man die Hoffnung lieber gleich ganz aufgeben: „Er kann sich bei selbstkritischem Blick in den Spiegel nicht vorstellen, dass seine Erscheinung noch irgendwelche weiblichen Reflexe auslöst. Er kommt sich vor wie nicht vorhanden. Aber irgendwie auch gut, dass es vorbei ist.“

Es wird viel gelitten, gestorben und gehasst in den 50 sehr unterschiedlich langen Erzählungen. Ob scheinbar skizzenhaft hingeworfene Beobachtungen und Momentaufnahmen oder ausgearbeitete Beziehungsdramen über Paare, die einander nur noch die Hölle sind – kaum einer der Texte läuft auf eine klassische Pointe zu, was den Gesamteindruck noch wahrhaftiger macht. Strunk beherrscht die distanzierte Beschreibung von außen ebenso wie den inneren Monolog – sowohl als Autor als auch als Vortragender des Hörbuchs. Seine Beobachtungsgabe lässt die Figuren so plastisch werden, dass das Zuhören bisweilen zur Qual wird. Mit Dialogen, die der Wirklichkeit abgelauscht sind, bringt er ihre Charakterzüge und Lebensentwürfe auf den Punkt, doch nicht, um sie zu verspotten. Er leidet an ihrem Leid und überträgt dieses Mitleid auf den Hörer. Wer Heinz Strunk nach dem Teemännchen noch immer vorrangig als Humoristen sieht, dem ist nicht mehr zu helfen.

Guido Diesing

Benjamin von Stuckrad-Barre

Soloalbum

Tacheles! / Roof Music

4 Sterne

Mit Anfang 20 schrieb Benjamin von Stuckrad-Barre seinen Debüt-Roman Soloalbum, wurde umgehend unter Pop-Literatur abgelegt (weil Oasis darin vorkamen) und galt vielen, nicht ganz zu Unrecht, als arroganter Schnösel, ein Eindruck, den er eigentlich erst mit seinem Mega-Bestseller Panikherz ablegen konnte. Jemand, den der warm- und weichherzige Udo Lindenberg als „Stuckiman“ anredet, kann doch kein schlechter Mensch sein, dachte da so mancher.

Soloalbum, Benjamin von Stuckrad-Barre

Wenn man sich jetzt Soloalbum vom Autor selbst vorlesen lässt wie auf diesem Hörbuch, prasseln gleich mehrere Eindrücke auf einen ein: Zuerst, dass das Buch, das längst einen legendären Ruf genießt, gar nicht mal soo gut ist, wie man es in Erinnerung hat; dann, dass es, vorgelesen unter der atemlosen Diktion seines Kreateurs, besser wirkt, als es eigentlich ist; und dann – scheißegal, man lässt sich von der Sprache, vom Tonfall, aber auch von der eigentlich todtraurigen Liebesgeschichte gefangen nehmen.

Einer der Vor- und Nachteile des Hörbuchs (vor allem, wenn der Autor selbst liest) ist ja, dass man nicht mehr viel Fantasie aufwenden muss und (vor allem, wenn Schnellsprecher wie Stuckrad-Barre oder der ähnlich begnadete Sven Regener lesen) auch gar keine Gelegenheit mehr hat, einen Blick zur Seite zu werfen oder die Blicke gar schweifen zu lassen. Dafür prasselt ein Trommelfeuer von Einfallsreichtum und Gewitztheit auf einen ein, nicht zu schweigen von Lakonie, abgeklärtem Altmänner-Charme – über den Stuckrad-Barre auch in jungen Jahren schon verfügte – und besinnlicher Heiterkeit, die sogar ein vor Sarkasmus strotzendes Buch wie Soloalbum auf einmal sanft und zärtlich wirken lassen. Harald Schmidt hat das tatsächlich beim Erscheinen des Buchs schon gemerkt und ließ durchaus glaubwürdig verlauten, dass Soloalbum exakt das Buch sei, „das ich selber gern geschrieben hätte“. Wer jemals von einer Frau verlassen wurde – die Frau im Buch macht sogar „per Fax“ Schluss –, der weiß, dass man sich mit dem Bekenntnis, dass ihr „Hintern zu dick“ war und „sie zu kleine Titten“ hatte, nicht trösten kann: Diese Gefühle in Worte gefasst zu haben, ist sicher schon so manchem Schriftsteller gelungen, aber wohl noch niemandem so cool, eloquent und gleichzeitig weitschweifig wie „Stuckiman“.

Rolf Thomas