Oliver Leicht
Vier Brüder im Keller
Es kann nur einen geben: Der Jazzkeller, zuweilen auch einfach „der Keller“ genannt, befindet sich in der Kleinen Bockenheimer Straße 18 in Frankfurt am Main, am Horst-Lippmann-Platz. Es mag im Lande noch andere Jazzkeller geben, aber keinen, der ein ebenso mythischer Ort für die Geschichte des Jazz in der Bundesrepublik ist. Entstanden ist er aus Carlo Bohländers domicile du jazz, das 1952 eröffnete, mit handfester Hilfe etlicher Musiker. Hier hat Oliver Leicht sein aktuelles Album live eingespielt.
Von Hans-Jürgen Linke
Der Frankfurter Jazzkeller wird seit Generationen verbunden mit dem programmatischen Motto „Weltstars hautnah“. Er ist ein urbaner Ort, der randvoll mit alten und sehr persönlichen Geschichten und Begegnungen steckt. Auch für Oliver Leicht, der nicht weit von Frankfurt aufgewachsen ist und einen wichtigen Teil seiner musikalischen Erfahrungen im Jazzkeller gemacht hat. Seit über 13 Jahren ist er Mitglied im Holzbläser-Satz der Bigband des Hessischen Rundfunks, daneben spielt er häufig auch in kleineren Formationen. Und vielleicht ist er inzwischen selbst schon ein wenig auf dem Weg, zum Teil der regionalen Jazzgeschichte zu werden.
Unvermeidlich ist der Keller für ihn ein wichtiger Spielort der Tradition; sein neues Album passt da recht gut hinein. Aus unterschiedlichen Gründen, sagt er, habe er diesmal nicht eine CD mit eigenen Stücken herausbringen wollen, sondern ein Player-Album, das ihn als Klarinettisten und als Interpreten von Jazz-Standards präsentiert. Eingespielt hat er es mit seinem Quartett, zu dem außer ihm Hendrik Soll (p), Matthias Eichhorn (b) und Jens Düppe (dr) gehören – eine Band mit intensiver Spielerfahrung in freieren und verbindlicheren Kontexten und mit aufgeklärtem Traditionsbewusstsein. Es präsentiert wirkungsvoll nicht nur den Klarinettisten, sondern auch den Arrangeur Oliver Leicht.
Auf dem Album finden sich sechs Jazzstandards von Cole Porter, Jimmy Giuffre, Lester Young und Charlie Parker, die Leicht allesamt in die Reihe seiner musikalischen Idole einordnet. Ein Stück kommt sogar zweimal vor, in leicht unterschiedlichen, aber sehr gleichwertigen Versionen: Jimmy Giuffres „Four Brothers“ in einer von Oliver Leicht selbst arrangierten Fassung. Der zweite Take, der die CD beschließt, sei, sagt Leicht, eher etwas wie ein Bonus Track. Aber je genauer man hinhört, desto verständlicher wird es, dass niemand sich zum Weglassen einer der beiden Versionen entscheiden mochte.
Nur eins der Stück auf der CD ist nicht live im Jazzkeller entstanden, dafür immerhin an einem fast genauso traditionsreichen Frankfurter Jazz-Ort. Der Hessische Rundfunk bietet in seinem Studio-Gebäude unter dem Reihentitel „Jazzclub im Hörfunk-Studio II“ regelmäßig Konzerte mit kleineren Formationen aus dem Kreis der Musiker der HR-Bigband an. Bei einem Konzert des aktuellen Oliver Leicht Quartetts wurde Cole Porters „Love for Sale“ aufgenommen. Die Aufnahme gefiel der Band letztlich noch besser als die Einspielung aus dem Jazzkeller.
Der Jazzkeller war übrigens, wie man auf der CD jeweils am Beifall nach dem Stückende hört, nicht ausverkauft. „Es war im Dezember, kurz vor Weihnachten“, erinnert sich Oliver Leicht, „da haben Leute manchmal etwas anderes vor.“ Der Spielsituation habe das aber nicht geschadet, vielleicht im Gegenteil. Sie hat etwas sehr Persönliches und Intimes, und es gibt keine störenden Nebengeräusche, wie sie im Keller sonst manchmal schwer zu ignorieren und genauso schwer aus Live-Aufnahmen herauszufiltern sind. Der Keller lauscht gebannt und diszipliniert.
Und das ist nicht erstaunlich. Alle Einspielungen sind kleine Wunder an Virtuosität und Raffinesse. Sie zeugen von einer tiefen Liebe zum arrangierten Jazz und von profundem Geschichtsbewusstsein, von präzisen und durchdachten Klangvorstellungen und Phrasierungs-Ideen, von einer großen Leidenschaft für die zeitgemäße Interpretation kanonischer Stücke. Oliver Leichts Soli an der Klarinette und Altklarinette sind von eindrucksvoller Eleganz und Originalität und offenbaren immer wieder melodische Momente voll reich nuancierter Wärme und feinsinniger Leuchtkraft. Dazu ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Klarinetten-Tradition im Jazz zu erkennen – namentlich mit Jimmy Giuffre. Der sei ja, sagt Oliver Leicht, für viele Kollegen ein Vorbild, wohingegen das breite Publikum ihn kaum mehr zur Kenntnis nehme.
Die vier Brüder in Giuffres Stück-Titel waren übrigens in der genealogischen Wirklichkeit gar keine Brüder. Vielmehr handelte es sich um Stan Getz, Zoot Sims, Herbie Stewart und Serge Chaloff, die den Saxofon-Satz des Woody Herman Orchestra bildeten, als es Jimmy Giuffres Komposition „Four Brothers“ erstmals einspielte. Das war 1947, nur fünf Jahre bevor Carlo Bohländer in Frankfurt das domicile du jazz eröffnete. Schade ist es, dass nicht auch Porters „Love for Sale“ auf der CD als Alternate Take aus dem Jazzkeller auftaucht.
Aktuelle CD:
Oliver Leicht Quartett: Jazzkeller Frankfurt Live (Float Music)
Die Aufnahme erscheint auch in einer auf 300 Stück limitierten Sonder-Edition auf Vinyl. Die Platten sind fortlaufend nummeriert, jedem Exemplar liegt ein signierter Foto-Print im Format 13 x 18 bei. Oliver Leicht präsentiert sich mit dieser Edition auch als Fotograf.