Jazzfest Bonn

Sera Kalo © Thomas Kölsch

Von Thomas Kölsch. Alte Bekannte und neue Freunde, harmonisches Miteinander und akustische Herausforderungen – das Jazzfest Bonn hat in seinem 15. Jahr einmal mehr das gesamte Spektrum des zeitgenössischen Jazz präsentiert und in spannenden, häufig kontrastreichen Doppelkonzerten dem Publikum die Ohren geöffnet. Langjährige Weggefährt*innen wie Iiro Rantala, Julia Kadel oder Thomas Quasthoff sorgten ebenso für Begeisterung wie Klangkünstler*innen, die die Musik bis an ihre Grenzen – und darüber hinaus – bringen. Peter Materna, Künstlerischer Leiter des Festivals, hat dafür schon immer ein glückliches Händchen bewiesen, und eine Auslastung von 98 Prozent gibt ihm recht. Auch wenn nicht jedes Konzert gleichermaßen leicht genießbar war, blieb das Publikum doch von Enttäuschungen verschont. Dafür gab es Erlebnisse. Und die hatten es in sich.

Materna scheute sich nicht, neben Publikumslieblingen wie Lars Danielsson samt seinem Quartett Libretto oder dem Klavierpoeten Helge Lien auch Avantgardisten wie den Gitarristen Olaf Rupp einzuladen. Dieser meuchelte und zerhäckselte auf der Suche nach neuen Klangbildern nicht nur einzelne Töne, sondern genüsslich auch Melodie, Harmonie und Rhythmus, während er 50 Minuten nonstop improvisierte und dabei Flamenco-Elemente ebenso einbezog wie die ein oder andere Verwendung eines Cellobogens. Das kompositorische Äquivalent dazu war dann einige Tage später der Auftritt von Orgel-Professor Franz Danksagmüller, der im Bonner Münster vor allem György Ligetis „Volumina“ spielte – Musik, die physisch schmerzte, aber gerade deswegen auch faszinierte. „Extrem laut und extrem leise, extrem tief und extrem hoch, extrem dicht und extrem frei“, so beschrieb Danksagmüller selbst das Werk, dessen Aufführung in gewisser Weise eine Katharsis bewirkte – und dafür sorgte, dass man stringentere Musik noch mehr zu schätzen wusste, insbesondere die von Richard Galliano, der im Anschluss in dem Gotteshaus einen ganz besonderen Zauber wob. Nicht jedes Konzert war dermaßen extrem, ganz im Gegenteil. Doch gerade in der Rückbetrachtung erscheinen manche musikalischen Freiheiten anderer in einem neuen Licht.

Einen Schwerpunkt setzte das Jazzfest Bonn bei Musikerinnen, die in etwa zwei Dritteln der Konzerte Führungsrollen innehatten und mit einigen Überraschungen aufwarteten. Spannend war ein Abend mit Sera Kalo und Linda May Han Oh, die beide zu Recht als Innovatorinnen des Jazz gelten. Vor allem rhythmisch waren sie unglaublich vielseitig, insbesondere May Han Oh, die als Bassistin von Pat Metheny und Joe Lovano bereits eine etablierte Größe ist und mit ihren mantrischen, zyklischen Motiven und Fragmenten viele Impulse setzte. Ähnliches lässt sich von Olga Reznichenko sagen, die im Pantheon mühelos ihr Streben nach einem neuen Jazzsound mit klaren Melodielinien vereinte und avantgardistische Schichtungen mit einer Struktur versah.

Am anderen Ende des Spektrums sorgten die atemberaubende Soul- und Funk-Sängerin Liv Warfield (einst Mitglied der Prince-Band New Power Generation) sowie Viktoria Tolstoy mit ihrem kraftvollen Gesang für Begeisterung. Weitere starke Sängerinnen wie Mia Knop Jacobsen, Rebekka Bakken oder die erst kürzlich mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnete Mirna Bogdanović, Bassistinnen wie Gina Schwarz und Lisa Wulff und Pianistinnen wie Makiko Hirabayashi und Julia Hülsmann beeindruckten ebenfalls nachhaltig.