Jazzfestival

Saalfelden

© Frank Schindelbeck

© Frank Schindelbeck

Von Reinhold Unger. Bis in den April hinein hatte man – bei sich ständig verändernden Corona-Regeln und Inzidenzen, Reisewarnungen und -beschränkungen – mit vier verschiedenen Szenarien parallel geplant. Am Ende wurde es doch das ganz große Programm, ja, die 41. Ausgabe des Jazzfestivals Saalfelden wurde sogar erstmals auf eine ganze Woche ausgedehnt. Über 60 Konzerte, mehr als die Hälfte davon bei freiem Eintritt, fanden 3G-konform und in Innenräumen mit Maskenpflicht statt. Es wurden Almen und leerstehende Industriehallen bespielt, Bassist Lukas Kranzelbinder führte „We hike Jazz“-Wanderungen durch die Postkartenkulisse des Steinernen Meeres – und es gab Kuriositäten wie ein Solokonzert von Craig Taborn auf einem Fender Rhodes mitten im Wald.

© Frank Schindelbeck

Aus der planerischen Not hatte man im kostenpflichtigen Hauptprogramm eine programmatische Tugend gemacht und präsentierte einige Musiker in unterschiedlichen Formationen. Christian Lillinger glänzte gleich vierfach, war mit seinen dicht gewebten Perkussionstexturen etwa maßgeblicher Impulsgeber in einem frei improvisierenden Trio mit Taborn am Flügel und Elias Stemeseder am Spinett (!), während er den raffiniert-rockigen Songstrukturen von KUU! den nötigen Punch verlieh. Christian Reiner brachte es als Artist in Residence sogar auf fünf Auftritte. Im Sextett Luft traf dieser einzigartige Sprach- und Stimmkünstler auf fünf Bläser und ließ Poesie und freie Improvisation zu einem unkategorisierbaren Gesamtkunstwerk verschmelzen, das lange im akustischen Gedächtnis nachhallte. Altsaxofonistin Angelika Niescier führte intensive geistreiche Dialoge mit Pianist Alexander Hawkins und camouflierte in ihrem Sextett-Projekt re: BTHVN Beethoven-Motive als vital-dynamischen Post-Bop.

Die Entdeckung des Festivals war das österreichische Quintett chuffDRONE. Unspektakulär in der Anmutung, ganz ohne den in Saalfelden gern ostentativen Gestus der Aufmüpfigkeit, aber mit enormem kompositorischem Variantenreichtum und improvisatorischer Liebe zum klangfarblichen Detail führten die drei Frauen und zwei Männer vor, wie erfrischend akustischer Jazz in konventioneller Instrumentierung (zwei Bläser plus Rhythmusgruppe) immer noch klingen kann. Dagegen enttäuschten die hoch gehandelten Irreversible Entanglements mit fahrig-ideenarmem Free Jazz, der wie ein matter Abklatsch eines weit von seiner Bestform entfernten Art Ensemble of Chicago wirkte.

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Craig Taborn pendelte in seinem neuen Trio mit Tomeka Reid (cello) und Ches Smith (perc) noch etwas unschlüssig, aber allemal spannend zwischen lyrischem Kammerjazz und elektronischen Irritationen. Auf Anhieb gelang hingegen das erstmalige Aufeinandertreffen von Sylvie Courvoisier und Kris Davis an zwei Flügeln, die sich über den Grenzzaun zwischen Jazz und Neuer Musik hinweg souverän die Bälle zuspielten. Und der bei uns kaum je zu hörende Saxofonist Avram Fefer bescherte dem unter schwierigen Bedingungen gelungenen Saalfelden-Jahrgang 2021 mit dem ebenso inspirierten wie hochenergetischen Spiritual Jazz seines Quartetts einen geradezu euphorisierenden Abschluss.