Friederike Bernhardt © Arne Reimer

Jazztage

Leipzig

Von Arne Reimer. „Es ist toll, endlich wieder live für euch zu spielen“, freute sich ein sichtbar erleichterter Sebastian Studnitzky. Wie sehr man als Musiker doch vom Applaus des Publikums abhängig ist, wurde ihm in Zeiten wie diesen besonders bewusst. 15 Hygienekonzepte für 15 Spielorte hatten die Veranstalter*innen der Leipziger Jazztage vorgelegt, damit die 32 Bands mit insgesamt 116 Musikern auftreten konnten. Das Festival endete in der zweiten Oktoberhälfte gerade noch vor dem erneuten Lockdown. Glück gehabt! Transitions war das zentrale Thema in diesem Jahr, weil vor allem auch Musiker durch die Pandemie neue Wege des Übergangs finden müssen. Gleich zur Eröffnung zeigte die Amerikanerin Liz Kosack im Duett mit dem Leipziger Schlagzeuger Philipp Scholz, was man alles aus einem kleinen Nord-Synthesizer herausholen kann. Sie ließen die Musik flirren, mal brachial laut, dann wieder flüsternd. Ein freies, aber ebenso musikalisches Zusammenspiel ohne Probe, bei dem Scholz sich auf seine Ohren verlassen musste, denn Kosack versteckt ihr Gesicht während ihrer Konzerte immer hinter selbst entworfenen Masken. Anders spannend spielte das Quartett Wild Brush, bei dem sich Südtiroler und Schweizer Musiker zusammengefunden hatten. Der Gesamtklang der Gruppe mit den lustvollen Melodien der zwei Saxofone wurde wunderbar durch die Leipziger Gastpianistin Olga Reznichenko ergänzt.

Auch einer Transition geschuldet war innerhalb einer Band der Verzicht auf einige Musiker, die coronabedingt nicht aus dem europäischen Ausland einreisen konnten. So trat das New Quartet von Simin Tander als Trio auf, funktionierte jedoch in dieser reduzierten Besetzung ebenso gut. Komplett, da nur aus Berlin angereist, war die Gruppe Y-Otis 2 des schwedischen Tenorsaxofonisten Otis Sandsjö. Sein Horn wurde leider teilweise von den fetten elektrischen Sounds der Mitspieler völlig übertönt. Eine weitere Steigerung im Sound stellte die Premiere der Auftragskomposition „Daphne“ von Komponistin und Pianistin Friederike Bernhardt dar, die mit dem Schlagzeuger Johannes Cotta unter dem Namen Geza Cotard feinsten Elektro-Pop spielte, der kraftvoll nach vorne preschte, mal mysteriös, mal theatralisch, gleichzeitig immer visionär.

Natalie Greffel © Arne Reimer

Eve Risser hingegen spielte auf ihrem präparierten Klavier eine Stunde solo – mit dem Rücken zum Publikum, damit die Zuschauer sehen konnten, wie dort manuell gezaubert wurde. Dabei verfiel sie jedoch zu oft in die gleiche Rhythmik, während Themen und Melodien zur Nebensache verkamen. Viel bewegter gestalteten sich da die Höhenflüge auf dem Altsaxofon einer Angelika Niescier im Duett mit Pianist Alexander Hawkins – oder eines Eldar Tsalikov im Trio mit Sängerin Cansu Tanrikulu und Bassist Greg Cohen.

So entfalteten sich die 44. Leipziger Jazztage gerade durch die Einschränkungen zu einem musikalisch gelungenen, vielseitigen Festival, das ganz ohne Zugpferde aus Übersee auskam und erneut zeigte, wie viel unentdecktes musikalisches Potenzial Europa zu bieten hat.

Friederike Bernhardt, Dan Nicholls, Otis Sandsjö © Arne Reimer