Joo Kraus © Rob Stimer

Joo Kraus

Elvis in Paris

We Are Doing Well heißt das neue Album des Sängers und Trompeters Joo Kraus, und vor nicht allzu langer Zeit wäre das wohl kein Statement gewesen, das einem irgendwie kontrovers vorgekommen wäre. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Von Rolf Thomas

Ursprünglich saß ich in meinem Wohnzimmer und habe Nachrichten geguckt“, erinnert sich Kraus an die Genese des Titelsongs. „Ich befand mich in einem Zustand, in dem ich öfters bin, und dachte: Gut, dass ich mich in Deutschland befinde. Man fühlt sich hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, dass es uns doch ganz gut geht, und andererseits brennt der Planet. So kam ich auf den Typen, der in seinem Wohnzimmer sitzt und alles ganz cool findet – dabei ist der Wirbelsturm schon in seinem Wohnzimmer. Den Text habe ich noch vor Corona-Zeiten geschrieben, aber jetzt passt er natürlich erst recht.“

Mit dieser Ambivalenz spielt die Textzeile „There’s a hurricane in my living room“. Musikalisch ist der Titeltrack ein Zündfunke, der das Album passgenau eröffnet. Gleich die ersten fünf Songs sind durchgeknallte Bastarde, die sich nicht um Genregrenzen scheren. Poppige Klangvielfalt, Sprechgesang, Soul, Funk, Electro kaum eine Möglichkeit, ein Genre zu plündern und sich dessen Eigenheiten zunutze zu machen, wird ausgelassen. Weiß Joo Kraus schon beim Komponieren, wo die Reise hingeht? „Zum Teil habe ich relativ konkrete Vorstellungen, zum Teil weiß ich gar nicht, wo es hingehen kann“, relativiert der Bandleader. „Manchmal sind es winzig kleine Ideen, die ich auf dem Klavier gespielt und dazu gesungen habe. Ich habe vielleicht das Tempo, die Tonart und ein Thema, und mit dieser Minimal-Idee treffen wir uns. Da ist unser Schlagzeuger Torsten Krill, der das Ganze auch aufnimmt und abmischt, Veit Hübner am Bass und Ralf Schmid an den Tasten. Jeder spinnt nun mit dieser Idee rum, und viele Sachen werden auch wieder verworfen. Das ist eine Situation, in der man sich ganz viel trauen kann. Daraus entwickelt sich meist in zehn bis dreißig Minuten ein Song. Es passiert wahnsinnig viel, wenn wir zusammensitzen.“

Lockere Spielfreude und pusselige Detailarbeit ergeben eine ziemlich einzigartige Mischung, die einen Song wie „Elvis in Paris“ schon der Titel eröffnet Horizonte so gut funktionieren lässt: Ein Stride-Piano, also ein Stil von gestern, wird umstandslos in ein wildes Klanggebräu integriert, das Spaß macht und gleichzeitig in die Zukunft weist. „Die Band funktioniert wie eine gute Software“, findet Joo Kraus, „in der man ziemlich intuitiv Arrangements stricken kann, ohne dass man sich vorher überlegen muss, ob man an dieser oder jener Stelle den Refrain zweimal spielt. Wir entscheiden eigentlich während des Spielens, in welche Richtung es weitergeht. Das geschieht meistens ganz organisch, manchmal entstehen aber auch ganz verrückte Sachen. Gerade in dieser Besetzung können wir uns viel erlauben, weil wir uns gegenseitig vertrauen.“

Dass da nur vier Musiker beteiligt sein sollen, ist manchmal kaum zu glauben, so vielseitig und abgedreht klingt We Are Doing Well. Im „Space Glider“ landet man ganz weit draußen, „How’s My Hair?“ zeigt Kraus’ Band von ihrer witzigen Seite, und für einen Minimal-Techno-Remix des Titelsongs von Matthias Vogt findet sich auch noch ein Plätzchen. Das ist aber kein wüster Eklektizismus einer Band, die nicht weiß, was sie will, sondern der Ehrgeiz und vor allem die Fähigkeit, jedem Song sein individuelles Gewand zu verschaffen. Das klang schon auf Kraus’ vorigem Album JooJazz an, geschieht aber diesmal mit einer funkensprühenden Dynamik, die ihresgleichen sucht. Dafür braucht man Musiker, die Lust haben, Klänge abzurufen, von denen sie vielleicht gar nicht wussten, dass sie in ihnen stecken.

© Rob Stimer

„Jeder von uns hat einen verschiedenen Background“, freut sich der Bandleader. „Veit ist ein klassischer Bassist, der aber auch in einer Gypsy- und einer Comedy-Band spielt und gleichzeitig höllisch swingt. Er kann aber auch HipHop-Grooves auf dem Kontrabass spielen. Ralf ist Klavierprofessor in Freiburg, macht und hört aber gleichzeitig ganz viel Elektro-Zeug. Und wenn man dem allen freien Lauf lässt, dann wird es vielleicht manchmal sehr durcheinander, aber eigentlich ist uns das Wurscht, denn wir vertrauen darauf, dass die Musik trotzdem eine eigene Handschrift hat.“

Nur einmal schalten Kraus und seine Jungs einen Gang zurück und nehmen sich mit „Love“ Zeit für eine wunderschöne Ballade. Hier singt der Chef ausnahmsweise einmal nicht selbst, sondern überlässt das Mikrofon der wunderbaren Fola Dada, die mit ihrer Performance für einen Glanz- und Ruhepunkt auf einem wilden Album sorgt und We Are Doing Well damit quasi das Sahnehäubchen aufsetzt. „‚Love‘ war eine der ersten Nummern, die ich komplett allein für das Album geschrieben habe“, erinnert sich Joo Kraus. „Ich habe sie aufgenommen und an Fola geschickt ich weiß gar nicht genau, warum...

Aktuelles Album:

Joo Kraus: We Are Doing Well (o-tone / Edel:Kultur)