Nenad Vasilić

Balkan-Jazz?

© Igor Ripak

Seine eigene musikalische Sprache zu finden, ist das Ziel vieler Jazz-Musiker. Nenad Vasilić hat seine Sprache in der Verbindung der Musik des Balkans mit dem Jazz gefunden. Trotz offensichtlicher Unterschiede der beiden Musikkulturen gibt es für ihn sehr viele Gemeinsamkeiten.

Von Thomas Bugert

Nenad Vasilić wuchs in Süd-Serbien in einem vielfältigen musikalischen Umfeld zwischen traditioneller Musik, Rock und Jazz auf. Dieses Umfeld wirkte sich schon zu Beginn seiner Karriere direkt auf seine musikalischen Tätigkeiten aus: „Mit 15 oder 16 habe ich angefangen, klassischen Kontrabass zu spielen, und gleich eine Stelle im Orchester bekommen. Ich habe gleichzeitig jeden Abend Volksmusik gespielt. Das war optimal, denn ich habe sieben Tage die Woche gespielt“, erzählt Nenad. Obwohl er sehr früh stark in der Szene verankert war, entschloss er sich dazu, nach Österreich zu ziehen und in Graz Jazz zu studieren. Dort wurde er schnell zum gefragten Sideman. Durch seine Herkunft vom Balkan spielte die Rhythmik für ihn immer eine starke Rolle, erläutert er: „Ich habe im Gasthaus gelernt, dass ich so spielen muss, dass jemand dazu tanzen kann. Du musst einfach grooven und jeden einzelnen Rhythmus verstehen.“

Nachdem er einige Jahre als Sideman mit vielen US-amerikanischen Musikern gespielt hatte, begann er, mit einer Mischung aus Jazz und Balkanmusik zu experimentieren. „Ich wollte Jazzbassist werden, das war mein Traum. Ich habe aber auch gemerkt, dass es Potenzial für andere Dinge gibt und dass ich wirklich etwas Eigenes machen muss, wenn ich originell sein möchte. Das war ziemlich neu damals. Es gab keine CDs, und ich habe niemanden gekannt, der so etwas gemacht hat. Erst später habe ich Leute entdeckt, die auch solche Sachen gemacht haben. In Österreich war ich damit ziemlich alleine.“ Nach und nach kamen immer mehr traditionelle Stücke und Eigenkompositionen in sein Repertoire, und er fand Musiker, mit denen er seine musikalischen Ideen umsetzen konnte.

Zum 20-jährigen Jubiläum seiner Karriere in Österreich veröffentlichte Nenad Vasilić ein Notenbuch mit eigenen Kompositionen und spielte verschiedene Konzerte. Das Album Vol. 1 rundet das Jubiläum ab. Man kann es als eine Art Best-of-Album sehen. Der rote Faden, der sich durch Vol. 1 zieht, ist eine Musik, die oft als Balkan-Jazz bezeichnet wird. Eine Bezeichnung, die auf der einen Seite griffig, auf der anderen Seite jedoch auch recht ungenau ist, wie Vasilić erklärt: „Es ist schwierig, Balkanmusik zu definieren. Alle 100 Kilometer kommt etwas anderes. Ich bin beeinflusst von der Musik aus Bulgarien, Rumänien, Mazedonien, Griechenland, Bosnien, Kroatien und Nord-Serbien. Es gibt so viele verschiedene Musikrichtungen, und alle Leute nennen das einfach Balkanmusik. Ich habe den Sound dieser Musik im Kopf.“

Dieser Sound und die stilistische Offenheit zeigen sich nicht nur in seiner Plattensammlung, die er gezielt nicht nach Genres sortiert hat. „Wenn ich von Chick Corea oder Bill Evans inspiriert bin, finde ich die gleichen Dinge auch auf dem Balkan. Auch die Atmosphäre der alten Village-Vanguard-Aufnahmen erinnert mich immer an ein Gasthaus in Serbien. Für mich ist das alles nicht so unterschiedlich, wie man zunächst denkt.“ Auch wenn er sich mit vielen unterschiedlichen Musikrichtungen intensiv beschäftigt hat, geht Nenad Vasilić beim Komponieren zunächst eher intuitiv vor: „Wenn ich Stücke schreibe, dann bin ich kein Bassist. In diesem Moment bin ich einfach jemand, der komponiert. Ich komponiere oft am Klavier oder mit E-Bass und Gesang. „C‘est la vie“ habe ich beispielsweise gesungen. Wenn ich dann meine Stücke spiele, muss ich schauen, wie ich dieser Komposition am besten diene. Ich habe bei diesem Stück eine Linie gespielt, die ganz simpel ist und nach vorne geht.“ Es wäre jedoch falsch, von songdienlichem Spielen auf einfache musikalische Strukturen zu schließen. Songdienliches Spielen verleiht der Musik auf Vol. 1 vielmehr eine klare und transparente Struktur, die die Musik atmen und die komplexen rhythmischen Strukturen und Taktarten ungezwungen und organisch klingen lässt.

Ein besonderer Jazz-Einfluss für Vasilić ist Charlie Haden. Auch wenn das Spiel der beiden Bassisten nicht vergleichbar ist, so gibt es doch Gemeinsamkeiten wie das Fokussieren aufs Wesentliche und eine besondere Liebe für Besetzungen ohne Schlagzeug. „Charlie Haden hat immer anders geschrieben als alle anderen. Er war immer mutig und originell“, betont Vasilić. Darüber hinaus verbindet beide Musiker auch eine gemeinsame Soundvorstellung. Hadens Lieblingstontechniker war Jay Newland, der später unter anderem Norah-Jones-Alben produzierte. Er ist auch gemeinsam mit Vasilić für den Sound auf Vol. 1 verantwortlich. Es ist ein Sound mit Wärme und Tiefe, der den Zuhörer einlädt, sich Zeit zu nehmen, und das Musikhören zum Erlebnis werden lässt.

Aktuelles Album:

Nenad Vasilić: Vol. 1 (Galileo)