The London Column

Sebastian Scotney

Brigitte Berah

Ich bin eigentlich eine Träumerin, aber doch mit lichten Augenblicken!“ So erklärt die Sängerin Brigitte Beraha den Namen ihres Quartetts Lucid Dreamers mit der großartigen Pianistin Alcyona Mick, dem höchst einfallsreichen und vielseitigen Saxofonisten George Crowley und einem der einfühlsamsten Schlagzeuger Großbritanniens, Tim Giles. Die Gruppe wird im Frühsommer in Großbritannien auf Tournee sein und hat außerdem Termine im Sendesaal in Bremen und im Kulturzentrum Neimënster in Luxemburg.

Beraha nimmt einen besonderen Platz in der Londoner Jazzszene ein. Sie ist eine höchst musikalische Sängerin, die eindeutig eine Zeit lang im Bann von Norma Winstone stand. Top-Musiker*innen sprechen oft darüber, wie sehr sie Berahas technische Kunst bewundern, ihre erstaunliche Fähigkeit, zu einer Probe oder im Studio zu erscheinen und teuflischst komplexe Gesangslinien total fehlerfrei darzubieten. Für die jüngere Generation ist sie auch eine viel gefragte und enorm einflussreiche Lehrerin an Musikhochschulen.

Ihre Herkunft ist herrlich exotisch. Ich weiß noch, wie sie Mitte der 1990er Jahre in London auftauchte, wie eine geheimnisvolle Najade, die irgendwo aus dem Mittelmeerraum kam, aber man konnte nicht genau sagen, woher. Tatsächlich wurde sie als Tochter türkisch-britischer Eltern in Mailand geboren und wuchs in Südfrankreich auf. Wie es sich für eine geheimnisvolle Kreatur gehört, hat sie eine faszinierende Fähigkeit, sich zu verändern, sich anzupassen und dadurch individueller zu werden. Die jüngste Pandemie und die Lockdowns haben irgendwie eine Transformation bewirkt. Sie sagt: „Während der Pandemie habe ich mich auf eine Reise in die Klangforschung begeben, habe das aufgenommen, was ich um mich herum hörte, und in allem Musik gefunden.“ Das Ergebnis ist eindeutig: Es ist, als ob in diesem Jahr eine neue, andere, aber doch voll ausgebildete Künstlerin geboren wurde.

Ihr Soloalbum By the Cobbled Path zeigt dies. Es hat fabelhafte Kritiken bekommen, und das zweite Lucid-Dreamers-Album Blink führt diesen Prozess noch weiter. Beraha ist fasziniert von zeitgenössischer klassischer und elektronischer Musik, wobei letztere so eingesetzt wird, dass sie Emotionen hervorruft und verstärkt, statt sie nur zur Schau zu stellen. „Ich liebe die Idee, dass unsere Musik sowohl akustisch als auch elektronisch sein kann, ohne dass sich beide Aspekte in die Quere kommen“, sagt sie. In dem wunderbar eindringlichen Lied „Lullaby“ geht es um ihre Gedanken, als sie plötzlich erfährt, dass ihr Vater vermisst wird.

„Wir sind solches Zeug, woraus Träume gemacht werden“, schrieb Shakespeare. Und in diesen schrecklichen Zeiten müssen wir uns unsere Träume echt bewahren.

Jazzjournalist Sebastian Scotney betreibt die Website londonjazznews.com