Vincent Peirani

Fluch oder Segen?

Der Weg zum Akkordeon wurde Vincent Peirani vorgegeben und passte nicht immer zu seinem Musikgeschmack. Das Ergebnis dieses Zusammenraufens ist die beachtliche Karriere eines vielseitigen Musikers.

Von Verena Düren

Fragt man den französischen Akkordeonisten Vincent Peirani, wie er denn als Kind zu seinem Instrument gekommen sei, dann lacht er herzlich und ruft: „Ich hatte gar keine andere Wahl – eigentlich wollte ich Schlagzeug lernen, aber für meinen Vater gab es nur das Akkordeon!“ Mit erstaunlicher Leichtigkeit und viel Humor erzählt er heute davon, dass er als damals Elfjähriger in der ersten Zeit sogar jedes Mal geweint habe, sobald man ihm das Akkordeon in die Hand drückte. Aber nach den ersten eher harten Jahren hatte er sich an sein ungewolltes Instrument gewöhnt. Vielleicht war dies bereits die erste harte Probe, auf die der Musiker in seiner Laufbahn gestellt wurde – viele weitere sollten folgen.

Nachdem er zunächst eine klassische Ausbildung auf dem Akkordeon erhalten hatte, erkrankte er Ende der 90er Jahre schwer und lernte in dieser Zeit den Jazz kennen – und lieben. „Ich konnte damals nichts machen, keine Musik, keine Schule, nichts. Es gab einen Freund, der mich wöchentlich im Krankenhaus besucht und mir dann immer etwas mitgebracht hat. Und der brachte eines Tages CDs von Bill Evans und der Jazz-Fusion-Band Sixun mit“, erinnert sich Peirani. Die für ihn vollends unbekannte Musik packte ihn so sehr, dass er entschlossen war, diese zu lernen, wenn er denn wieder gesund würde.

Das war der Wendepunkt und Startschuss für eine scheinbar immerwährende Suche nach seiner ganz eigenen Musik: „Von dem Zeitpunkt an habe ich alles gehört, was ich finden konnte, und ständig Freunde gefragt, um nach und nach in diese Musik hineinzufinden.“ Seine Begeisterung für den Jazz auf sichere, professionelle Beine zu stellen, war zunächst gar nicht so einfach – hier stand ihm sein Instrument im Weg: „Mit dem Akkordeon hat mich kaum eine Jazzabteilung an den Hochschulen aufnehmen wollen. Und auch sonst legten die meisten auf, die ich anrief und mit denen ich etwas gemeinsam machen wollte, sobald sie erfuhren, dass ich Akkordeon spiele“, sagt Peirani lachend. Doch die Grenzen, die ihm damals gezeigt wurden, ließen ihn am Ende nur noch beharrlicher sein Ziel verfolgen – und das mit großem Erfolg. Schließlich ging er nach Paris und an das dortige Konservatorium, das das einzige Frankreichs war, dessen Jazzabteilung Akkordeonisten aufnahm. Schnell machte sich Peirani einen Namen in der Szene, spielte mit französischen Jazzgrößen und sammelte diverse Preise ein. Inzwischen macht er alles zu einem großen Erfolg, was er anfasst.

Grenzen kennt er dabei nicht – weder vermeintliche Grenzen seines Instruments noch Genregrenzen. „Ich habe mir nie selber Grenzen auferlegt. Ich höre ständig Musik und sammle sie, wobei ich ganz offen bin für viele verschiedene Musikrichtungen.“ Mit seinem neuen Album Jokers geht Peirani erneut völlig neue Wege, denn es wird elektronisch und rockig! „Die Idee zu Jokers entstand, als ich vom NDR eine Carte blanche erhielt, in zwei Konzerten etwas völlig Neues auszuprobieren. Das war wirklich die Initialzündung. Ich weiß gar nicht, ob das Album ohne diese Einladung so entstanden wäre“, so Peirani. Er nahm die Aufforderung, etwas Neues zu kreieren, wörtlich und vereinte sich mit Federico Casagrande (g) und Ziv Ravitz (dr, keyb) zu einem etwas anderen Jazztrio. Mit Ersterem hatte Peirani bereits in der Vergangenheit häufig zusammengespielt, dann allerdings eher Folk und Filmmusik: „Ich schätze an Federico sehr, dass sein Sound wie seine eigene Stimme ist.“ Ravitz hat er über Freunde kennengelernt, doch auch hier war schnell klar, dass die Chemie stimmte.

Jokers vereint sowohl sehr persönliche und eigenständige Coverversionen von Marilyn Manson („This is the New Shit“), Bishop Briggs („River“) oder den Nine Inch Nails („Copy of A“) als auch Eigenkompositionen vor allem von Peirani selbst. „Meine gesammelte Musik höre ich dann später noch mal gezielt mit dem Gedanken, daraus etwas Neues machen zu wollen.“ Die Platte ist dabei wie ein Buch mit einer Einleitung, einer Geschichte und einem Happy End gestaltet: „Wir hoffen, dass die Musik die Fantasie der Hörer anregt und sie sich durch uns auf eine kleine Reise einlassen.“ Für Peirani jedenfalls war Jokers ein ganz spannendes und neues Buch vor allem durch die verwendete Elektronik: „Ich habe zum ersten Mal Akkordeon mit all diesen möglichen elektronischen Effekten gespielt. Das war für mich sehr spannend und ein großer Schritt. Für mich war das fast so, als würde ich ein neues Instrument lernen. Durch die Pandemie hatte ich die Zeit, mich ganz intensiv und in Ruhe damit auseinanderzusetzen.“ So hat Peirani mit Jokers auch in seiner Karriere ein neues Buch aufgeschlagen. Und alle Fans seiner vielseitigen Akkordeonmusik dürfen sich auf das nächste Kapitel freuen.

Aktuelles Album:

Vincent Peirani: Jokers (ACT / Edel:Kultur)