Han Bennink

Can’t Teach an Old Dog New Tricks

Am 17. April wurde der niederländische Schlagzeuger Han Bennink 80 Jahre alt. Ein Gespräch über das Altern im Jazz.

Han Bennink (drums) © Nuno Martins

Von Christoph Wagner

In seiner 60-jährigen Karriere hat Han Bennink mit vielen Heavyweights des modernen Jazz gespielt, von Eric Dolphy bis Sonny Rollins. Im Umkreis von Peter Brötzmann avancierte der Holländer in den 1960er Jahren zu einem der einflussreichsten Drummer des europäischen Free Jazz.

Christoph Wagner: Sie haben gerade Ihren 80. Geburtstag gefeiert. Haben Sie jemals ans Aufhören gedacht?

Han Bennink: Wegen der Pandemie ging mir das in letzter Zeit schon manchmal durch den Kopf, weil ich einfach in den letzten zwei Jahren viel weniger gespielt habe. Eigentlich wollte ich in Zukunft wieder mehr auftreten, nur nicht mehr so viel reisen. Ich hasse das Reisen, Flugzeuge finde ich zum Kotzen. Fahrräder sind fantastisch. Oft muss man zwei Tage reisen, um 50 Minuten zu spielen – das ist doch krank, kostet wertvolle Lebenszeit, in der ich mich viel lieber meinen Kunstwerken widme. Ich war ja immer schon zweigleisig unterwegs, als Jazzmusiker und als bildender Künstler.

Christoph Wagner: Hat das Alter Ihre Musik verändert?

Han Bennink: Ich hoffe nicht! Ich übe weiterhin viel, um nicht einzurosten. Wie lange, das hängt vom Fernsehprogramm ab. Ich bin ein Sportfan, was bedeutet, dass – wenn ein Radrennen übertragen wird, am besten die Tour de France – ich stundenlang vor der Mattscheibe sitze und das Geschehen verfolge, wobei ich nebenher mit den Drumsticks auf einem Kissen übe. Ich störe damit niemanden, mein Trommeln ist kaum hörbar. Außerdem habe ich über die Jahre einen Rucksack spieltechnischer Tricks angesammelt, auf die ich jederzeit zurückgreifen kann. Der Rucksack wird allerdings von Jahr zu Jahr schwerer, weshalb man ab und zu etwas rauswerfen muss. Mit dem Alter wird die Vision der Musik, die man machen will, immer klarer und deutlicher.

Christoph Wagner: Üben Sie die bekannten Rudiments, die klassischen Schlagfiguren?

Han Bennink: Ganz genau. Immer dieselbe Scheiße: Paradiddle, Triolen, Mühle, Wirbel etc.

Christoph Wagner: Jaki Liebezeit hat mir einmal erzählt, dass er mit zunehmendem Alter dazu übergegangen ist, sein Schlagzeugspiel organisch aus seinem natürlichen Bewegungsablauf zu entwickeln. Ergibt das Sinn?

Han Bennink: Gute Idee. Dennoch sind mir die Tricks sehr wichtig, die ich szenisches Theater nenne. Es ist der visuelle Aspekt des Schlagzeugspiels. Brötzmann mochte das nicht und sagte immer: „Bennink, mach doch nicht so ein Theater!“ Ich finde es manchmal aber einfach notwendig, vom Schlagzeug aufzustehen und trommelnd herumzugehen, dabei auf dem Fußboden, auf einem Stuhl oder auf dem Bühnenrand zu trommeln. Man kann auch im Liegen Paradiddle spielen – das geht alles und bringt ein szenisches Element in die Musik, außerdem ganz andere Klangfarben. Die Freiheit nehme ich mir. Voraussetzung ist jedoch: Es muss passen, muss musikalisch Sinn haben. Als reine Effekthascherei ist es zu billig. Dabei kommen meine Einflüsse aus der Kunst zum Tragen: Happening, Performance-Art, Dada. Mein großes Vorbild ist Kurt Schwitters, in dessen Kunst Humor und Ironie eine wichtige Rolle spielen.

Christoph Wagner: Sie haben vor einiger Zeit Ihr Schlagzeug radikal reduziert und spielen heute nur noch auf einer Snaredrum. Hat diese Entwicklung mit dem Alter zu tun?

Han Bennink: Ich war es einfach leid, immer Tonnen von Schlagwerk herumzutragen. Damit rückte die kleine Trommel ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wobei ich darauf aus war, aus immer weniger immer mehr herauszuholen. Wenn man sein Schlagzeugspiel verändern will, kehrt man am besten zu den Basics zurück, und das ist die kleine Trommel. Ein paar Konzertbesucher meinten: „Der Typ ist so arm, dass er sein ganzes Schlagzeug verkaufen musste.“ Pusteblume: Ich habe fürs Alter ausreichend vorgesorgt, was bedeutet, dass ich, wenn ich eines Tages nicht mehr auftreten kann, trotzdem genug zum Leben habe.

Christoph Wagner: Ich kann mich täuschen, aber Sie scheinen mit 80 Jahren noch gut in Schuss zu sein. Zahlt sich jetzt aus, was Peter Brötzmann ihren „calvinistischen Lebensstil“ genannt hat?

Han Bennink: Dass man gesund bleibt, ist reines Glück. Allerdings ging es mir immer nur um die Musik, nicht um die eher unschönen Randerscheinungen, die Saufereien und Alkohol-Exzesse usw. Auch musste ich nach den Konzerten mein Riesenschlagzeug einpacken, es die Treppen vom Jazzkeller hochschleppen und dann verstauen. Danach ging ich ins Hotel. Ich bin nicht der Typ, der nächtelang in Kneipen rumhängt. Am nächsten Morgen blieb es dann üblicherweise an mir hängen, eine Gruppe besoffener Freejazzer zum nächsten Konzert quer durch Deutschland zu fahren. Heute trinke ich natürlich auch gerne mal ein Gläschen Weißwein, außerdem rauche ich Marihuana. Wine & Weed sind meine Steckenpferde. Ein anderes Hobby ist meine Sammlung ethnischer Kunst, vor allem japanische Holzschnitte, sowie historisches Spielzeug, kleine Modellautos, Märklin-Lokomotiven, solche Dinge. Damit verbringe ich die Zeit, wenn ich nicht vor dem Fernseher sitze und trommle.

Guus Janssen (piano), Han Bennink (drums)

Website:

www.hanbennink.com