Sebastian Scotney

The London Column

In dieser Zeit, in der sich viele Musiker unter Druck fühlen, einen Gig nach dem anderen von zu Hause aus zu streamen, fand ich eine Oase der Stille und der Reflexion bei einem Telefongespräch mit Norma Winstone, einer der Größen des europäischen Jazz.

Die Sängerin lebt mit ihrem Partner in einem Haus am Meer in der Grafschaft Kent, wo sich die beiden gern um ihren Garten kümmern. Sie drückt ihr Bedauern über all die Konzerte aus, die jetzt abgesagt worden sind. Sie hatte sich besonders auf ein Konzert mit Pablo Held gefreut („Er ist einfach so begabt”, schwärmt sie), weiterhin auf eine Skandinavien-Tour, bei der sie die Musik von Kenny Wheeler vorstellen wollte, und auf ein Konzert mit der gefeierten Schlagzeugerin Marilyn Mazur. „Der Lockdown hat leider für mich eine Zeit der wirklich interessanten Auftritte verhindert“, sagt sie nachdenklich. Sie arbeitet jedoch gerade an einem faszinierenden neuen Projekt. Sie hatte Steve Swallow geschrieben, mit der Bitte um die Noten für einen seiner Songs. Seine Antwort kam postwendend und war unerwartet positiv: „Du hast mich auf eine Idee gebracht“, schrieb er. Er habe sich schon lange mit dem Gedanken getragen, eine Aufnahme seiner Melodien mit Texten von Norma Winstone zu machen. Einige davon gibt es jetzt schon, an anderen arbeitet Norma noch.

Sie gesteht, dass das Texteschreiben für sie oft ein langwieriger Prozess ist. „Es gibt stets Melodien, für die ich Worte finden möchte, aber es ist Knochenarbeit für mich; ich schiebe es immer wieder auf.“ Doch die enthusiastische Reaktion von Steve Swallow hat ihr einen Stoß versetzt. Mit dunklem Humor äußert sie: „Wenn wir alle lange genug leben, wird dies dann wohl irgendwann aufgenommen.“

Dieser und andere Impulse haben Norma dazu gebracht, ihre alten Aufnahmen noch einmal anzuhören. Sie hat vieles wiederentdeckt, zum Beispiel die Klavierakkorde am Anfang des Songs „The Tunnel“ auf dem ersten Album von Azimuth, ihrem einstigen Trio mit Kenny Wheeler (tp, flh) und John Taylor (p). „Da wurde mir klar, wie wichtig die Akkorde davor von John waren. Die haben mich inspiriert, den Text zu schreiben. Ich war total erstaunt. Und wie stark Kennys Sound war.“ Gab es noch andere Funde? „,Café‘ vom Album Somewhere called Home. Tony [Coe] an der Klarinette ist einfach superb, etwas ganz Besonderes!“ Norma freut sich über diese Wiederentdeckungen: „Ich wusste, dass wir gute Musik gemacht haben, oder zumindest war sie anders. Aber ich war doch überrascht, wie gut das alles klang.“

Jazzjournalist Sebastian Scotney betreibt die Website londonjazznews.com.