Jon Balke

Discourses

ECM / Universal

5 Sterne

Benjamin Moussay

Promontoire

ECM / Universal

5 Sterne

Wie der Titel nahelegt, beschäftigt sich Jon Balke bei seinen Discourses mit mindestens dialogischen Strukturen. Seine sorgfältig (also kompositorisch) vorbereiteten Klavier-Improvisationen werden von elektronisch bearbeiteten geräuschhaften und musikalisch-atmosphärische Klangereignissen übermalt, kommentiert, konterkariert, angereichert, konfrontiert. Beide Ebenen der Musik sind leicht zu unterscheiden, obwohl die Übergänge organisch wirken. Die dynamischen Gestalten, die Balke verwendet, sind diskret und behutsam. Durch konstitutive Flüchtigkeit, durch vorbeihuschende Präzision und feinsinnige Reibungswirkungen sendet die Musik nachdrückliche Aufforderung zu allergrößter Aufmerksamkeit aus: Man will einfach nichts von diesen Dialogen versäumen. Dass Sprechakte menschlicher Kommunikation („The Self and the Opposition“, „The Certainties“ oder auch „The Polarisation“) für Balke offenbar Modelle für strukturelle Vorgänge geliefert haben, drängt sich nicht als übergeordnete Gelehrtheit auf, sondern erklärt sich von selbst im genauen Hinhören. Nie wird nur behauptet, immer gesellen sich Fragen und Kontroversen dazu.

Promontoire, das ist eigentlich ein Vorgebirge, und Benjamin Moussay hat auch wirklich eine kleine Landschaft im Sinn: ein kleiner Felsgipfel über einem See in den Vogesen hat den Titel für sein Klavier-Solo-Album (und das zweite Stück darauf) geliefert. Berge scheinen ihn zu faszinieren – das Eröffnungsstück „127“ bezieht sich auf einen Bergsteiger-Film, es gibt einen verlorenen Berg („Monte Perdido“) und einen Ort in den Pyrenäen („Villefranque“). Moussays Stücke sind von intensiven emotionalen Farben und zugleich von einer girlandenfreien Verknappung geprägt, jedes Stück von Reduktion und einem lyrischen Formgefühl, das die Landschaftsmalerei in dieser Musik einhegt. Komponiertes Material und improvisierte Passagen gehen so organisch ineinander über, dass sich jegliche kategorische Unterscheidung zwischen beiden Modi der Musik-Entstehung erübrigt.

Hans-Jürgen Linke

Marie Kruttli Trio

The Kind of Happy One

QFTF / Galileo

4 Sterne

Marie Kruttli ist eine Pianistin aus der Schweiz, die mittlerweile in Berlin lebt. Zusammen mit Lukas Traxel am Kontrabass und Jonathan Barber am Schlagzeug hat die Endzwanzigerin eine sehr eigen ausgeprägte Klangsprache gefunden. Einen Drummer aus New York für sein Projekt zu gewinnen, ist ja quasi noch immer eine Art Ritterschlag. Kruttli präsentiert ein gut eingespieltes Trio und gut strukturierte Kompositionen mit interessanten Tempo- und Groove-Wechseln und Ostinato-Figuren. Das Eröffnungsstück „Back to Blue“ hat leichte Anklänge an Bill Evans‘ Komposition „Blue in Green“ – in der Harmonik; Groove und Form gehen dagegen in eine ganz andere Richtung, hier wird zwischen vorwärtsdrückenden und eher freien Abschnitten hin- und hergeschaltet. Kruttli lässt ihre Akkorde schön über die Tastatur perlen, mit viel Energie dahinter wechselt sie zu druckvollen ostinaten Bassläufen. „Sad Song“ spiegelt genau den zitierten Gemütszustand wider, es ertönen schleppende Akkorde, die schleppende Begleitung schafft eine erdrückende Atmosphäre. Der Titelsong ist das genaue Gegenstück, die Emotionen der Kompositionen werden klar in Liedtiteln wiedergegeben. Die übersprudelnde Fröhlichkeit drückt sich in quirligen gegenläufigen Klavierlinien aus, hier wird zum Schluss hin das Tempo nochmals angezogen. Marie Kruttli hat mit ihrem Trio ein sehr reifes Album vorgelegt.

Angela Ballhorn

Sonia Pinto

Why Try to Change Me Now

Mons / NRW

4 Sterne

Sonia Pinto kommt aus Portugal, doch mit Fado hat sie nichts zu tun. Die Sängerin hat in Porto Jazz studiert – unter anderem bei Luciana Souza und Fay Claassen – und singt auf ihrem Debüt-Album gut abgehangene Standards wie „Cry Me a River“, „Fly Me to the Moon“ oder „It’s Only a Paper Moon“. So weit, so unspektakulär – doch spektakulär ist ihre kräftige Stimme und die Art und Weise, wie sie die (allzu) bekannten Songs mit ihrer sechsköpfigen Band interpretiert. So spielt Bruno Macedo auf „Cry Me a River“ eine ganz schön rockige Gitarre inklusive brachialer Verzerrung, für „The Saga of Harrison Crabfeathers“ aus der Feder des Pianisten Steve Kuhn hat Pinto einen eigenen Text geschrieben, und „Fly Me to the Moon“ – wie populär der es durch Frank Sinatra gewordene Song immer noch ist, hat der Rezensent erst heute Morgen auf dem Supermarktparkplatz erfahren, als ein Kunde die Melodie vor sich hinpfiff – kriegt ein elegant-schwelgerisches Arrangement. „It’s Only a Paper Moon“ bekommt durch ein paar geschickt platzierte atonale Einsprengsel einen modernen Sound, und Dave Frishbergs „Peel Me a Grape“ schließlich wird im heftig swingenden Mainstream-Klang belassen und bezieht seine Frische allein durch das hohe Tempo (und den witzigen Text natürlich). Kurz: Eine neue Stimme aus Südeuropa liefert eine bezwingende Talentprobe ab.

Rolf Thomas