Lucia Cadotsch / Speak Low

Wir sind das Konzept

Speak Low II © Dovile Sermokas

Was passiert, wenn sich Ungeplantes besser fügt, als Geplantes es je könnte, zeigt die Geschichte von Speak Low. 2016 veröffentlichte das mit Petter Eldh am Kontrabass und Otis Sandsjö am Saxofon besetzte Trio um Sängerin Lucia Cadotsch sein Debüt, das mittels spröder Reharmonisation und kompromissloser Arrangements die nackte Essenz von American-Songbook-Favoriten extrahierte. Vier Jahre später folgt jetzt die Fortsetzung.

Von Victoriah Szirmai

Bis dahin war es ein langer Weg. „Ich habe viele Jahre nach einer Band gesucht, mit der ich Standards spielen kann“, erinnert sich Cadotsch. „2015 bekam ich im Rahmen der Kollektiv Night eine Carte blanche und hatte sechs Wochen Zeit, um ein Programm zusammenzustellen. Meine damalige Band Schneeweiss und Rosenrot hatte sich gerade aufgelöst, und ich wusste: Das ist meine Chance!“

Mit Eldh hatte sie schon in dem Berliner Jazzpop-Quartett zusammen musiziert, sodass die Idee zu einem Duo nahelag. „Er meinte nur: ,This is fuckin’ scary, but yeah, let’s do it!‘“, erinnert sich die Sängerin lachend. Der Bassist war es auch, der das ursprünglich als Melodieinstrument gedachte, von Sandsjö jedoch als Harmonieerzeuger eingesetzte Saxofon als weitere Klangfarbe ins Spiel brachte – auch und gerade deshalb, weil der Schwede nicht unbedingt für seine Interpretation von Standards bekannt ist. Cadotsch rief ihn an, und auch Sandsjö war gleich für das Projekt zu haben. „Er fragte noch: ,Shall I bring a Real Book? I never really played standards, so why are you asking me, but yeah, I’m up.

Dass sie sich zwar nicht gesucht, aber gefunden hatten, bemerkten die drei schon beim ersten Zusammentreffen im Proberaum. „Wir haben uns von diesem Moment an ohne Worte verstanden. Ich hatte einen krassen Glücksrausch, mir wurde total heiß, denn ich wusste, ich habe gefunden, wonach ich jahrelang gesucht hatte und was ich mir nicht hätte ausdenken können. Wir haben gespielt, und von dem Augenblick an war klar, dass wir eine Band sind.“ Auf diese intuitive Verbindung nimmt der Bandname Bezug, steht für Cadotsch die Zeile „Speak low when you speak love“ doch für das Gefühl, sich wortlos zu verstehen. „Wir dachten zuerst noch, wir brauchen ein Konzept, bis wir schließlich gemerkt haben: Wir selbst sind das Konzept.“

Und tatsächlich benötigt es auch für die neue Liedersammlung nicht mehr als das simple Zusammensein des Trios: Ob Sandsjö an seinen repetitiven Hypno-Schleifen schraubt, Cadotsch so reduziert wie unaufgeregt, aber nichtsdestotrotz eindringlich ihre Geschichten erzählt oder Eldh die Saiten seines Basses erst voller Vehemenz hochreißt, um sie kurz darauf wieder tief klirrend aufs Griffbrett knallen zu lassen – Atemloses wechselt sich auf Speak Low II mit luftigen, manches Mal richtiggehend zutraulichen Melodien ab.

Wo Speak Low I noch durch seine düstere Grobkörnigkeit fesselte, ist der Nachfolger melodischer – gleichzeitig aber auch erst einmal unzugänglicher. Ersteres, weil das Trio seine Vorliebe für das Folkige verstärkt auslebt, Letzteres, weil sich auch weniger Bekanntes auf der Platte findet. So wird – bis auf das bandnamengebende Stück, das in einer neuen Version dabei ist, Randy Newmans „I Think It’s Gonna Rain Today“ und den Folk-Evergreen „Black Is the Color of My True Love’s Hair“ – auf tausendmal Gehörtes verzichtet.

Allein der heftig experimentelle Einstieg mit seinem Saxofon-Bass-Inferno, dessen Ausufern ins Atonale allein von Cadotschs klarer Stimme im Zaum gehalten wird, kommt mit derart immenser Energie, gar Kampfeswut über einen, dass es schmerzt. Erst die herzensschöne, hier dennoch nie kitschige Melodie von „I Think It’s Gonna Rain Today“ weiß wieder zu besänftigen, doch nur, um sich schon beim alarmistisch-neugierigen „What’s New/There Comes a Time“ unter viel Sandsjö’schem Hauch und Ventilgeklapper wieder der allzu leichten Zugänglichkeit zu entziehen.

Wo „Wild is the Wind“ mit einem repetitiven „Love Me Love Me Love Me“ über einem Abgrund aus allerlei Effekt aufwartet, verpassen Speak Low „So Long“ von Rickie Lee Jones eine Kate-Bush-hafte Entrücktheit, bis man gen Ende der Platte tödlich erschöpft von der eigenen Eruption scheint: Das diesmal als Closer fungierende „Speak Low“ erinnert in seiner Bleischwere an eine Vertonung von Anselm Kiefers Flugobjekten, die vor lauter Überfrachtung mit ihrer müden Bürde nicht abheben können. Keine leichte Kost, aber: uneingeschränkt wow – ganz wie jede Nicht-gesucht-aber-gefunden-Geschichte eben auch enden kann, mehr noch: enden muss.

Aktuelles Album:

Lucia Cadotsch: Speak Low II (We Jazz / Groove Attack)