Martti Vesala

Alt, aber neu

Nachdem Lee Morgan, die Jazz Messengers, Horace Silver, Miles und viele andere die Vollmundigkeit in den Jazz zurückgebracht hatten, speiste sich der Hauptstrom des Jazz aus diesem Pool. Mithilfe immer ausgefeilterer Melodik und freierer harmonischer Auffassung entstand in den Jahrzehnten danach das, was man heute manchmal mit dem hässlichen Wort Post-Bop bezeichnet. Diese in Groove und Swing eingebettete Freiheit ist der ästhetische Nährboden, auf dem das Soundpost Quintet des finnischen Trompeters Martti Vesala gedeiht.

Martti Vesale ® Carl Bergman

Von Jan Kobrzinowski

Stars Aligned, Vesalas neues Album nach Helsinki Soundpost, pflegt einen lebendigen, frischen, melodisch komplexen Umgang mit einem klassischen Genre des Jazz, dominiert durch wohlklingende Zweistimmigkeit von Tenorsaxofon und Trompete, Unisoni von Kontrabass und linker Piano-Hand, dazu funky Rhythmik, die auf Art Blakeys Afro/Latin-beeinflusste Spielweise zurückgeht. Bekennt sich hier ein europäischer Jazzer der jüngeren Generation zum Bewahrenden? „Ich mag das Wort ‚konservativ’ nicht, um mich selbst oder die von mir kreierte Musik zu beschreiben. Ich bin mir bewusst, woher meine Einflüsse kommen, dennoch fühle ich sehr stark, dass unser Sound und die Herangehensweise an die Musik sehr originell sind und es nicht darum geht, zurückzuschauen in eine Zeit, ‚als alles besser war’.“ Vielmehr sieht Vesala die verschiedenen Stile als Sprungbretter: „Der gewählte Stil sollte nur der Ausgangspunkt für deine individuellen Erkundungen der Musik sein – das Mittel, um musikalisch auszudrücken, wer du als Person bist.“

Martti Vesala ist ein versatiler, eleganter Trompeter mit großem Stilbewusstsein in Komposition und Improvisation. Er genießt es sichtlich, „Miles Davis, Freddie Hubbard, Woody Shaw und auch einige der modernen Typen wie den erstaunlichen Peter Evans zu hören. Ich habe versucht, mich nicht nur an Trompeter zu halten, und angefangen, Soli von Saxofonisten wie z.B. Coltrane auf der Trompete zu üben.“ „The Sun’s Eye“ und das Titelstück sind schöne Beispiele für die Auslotung freierer Möglichkeiten, weniger einer Überwindung als vielmehr einer Vertiefung der Moderne, die zwischen 1965 und 1980 diejenigen Jazzmusiker suchten, die weder eine völlig freie noch die elektrifizierte Spielweise bevorzugten. „Der Sound von Wayne Shorters Kompositionen für das Miles Davis Quintet aus den 60ern und Joe Hendersons Art zu Schreiben aus der gleichen Zeit haben mich stark beeinflusst. Was mich an diesen großartigen Musikern und Komponisten fasziniert, ist die Art und Weise, wie sie die Elemente von Avantgarde und Bebop kombinieren – ein Stil, der später als Post-Bebop bezeichnet werden sollte.“ Zwar versucht Martti, innerhalb eines bestimmten Jazzstils zu arbeiten, aber diese Referenzen stellen für ihn kein Problem dar: „Ich weiß, dass die Grundlagen dieses Stils aus den 60er und 70ern stammen, wie aber auch die vieler anderer Stile wie Free Jazz oder Free Form, sogar die der sogenannten ‚Geburt des europäischen Jazz’ in den 70er Jahren.“

Mit Joonas Haavisto (p), Juho Kivivuori (b) und Ville Pynssi (dr) hat Vesala absolut gleichgesinnte Kollegen an seiner Seite. Petri „Pope“ Puolitaival (ts) mit seinem profunden Ton ist ein bemerkenswerter Solist, tiefstens verwurzelt in der hymnischen Tradition großer Tenoristen wie Coltrane, Rollins und Sanders. „Er ist gleichzeitig einer der besten Flötenspieler in Finnland, so habe ich auch einige Songs geschrieben, in denen seine Fähigkeit als Flötist im Rampenlicht steht.“ Zu hören in „The Lost Sea“, wo die weichen Klänge von Trompete und Flöte im Thema wunderbar elegisch miteinander verschmelzen und sich dann Petris Flöte und Kivivuoris holztöniger Kontrabass im Solo ablösen. „Was mich an der Quintett-Besetzung wirklich fasziniert, ist die Art und Weise, wie Trompete und Tenorsaxofon so nahtlos ineinander übergehen. Ein wirklich himmlisches Zusammenspiel! Trotz der ‚klassischen’ Kombination bleibt es gerade eine schöne Herausforderung, innerhalb dieser Tradition mit etwas wirklich Originellem aufzuwarten.“ Dieses angesichts des heutigen Überangebotes an guter Musik schwierige Unterfangen gelingt Martti Vesala und seinen Kollegen mit Bravour.

Das Quintett ist indes nicht die einzige Besetzung, die ihn fasziniert. Er schreibt auch für Big Bands und denkt gerade darüber nach, ein Quartett ohne Schlagzeuger zu gründen, um sich selbst herauszufordern und neue Wege zu finden, „rhythmischer zu schreiben“. Bei „Murky Green“, einem rezitativen Unisono-Thema der Bläser, gefolgt von einer mäandernden Improvisation, um die sich Besen und gestrichene Bassnoten ranken, verzichtet Martti bewusst auf akkordische Grundlagen. Mit „Driving Force“ bekennt das Soundpost Quintet dann noch einmal seine Liebe zum erdigen Groove. Stück und Album enden – fast schon symbolisch – mit einem markanten Stakkato der linken Hand auf dem Klavier. Der wunderbar transparente Sound samt dem brillanten Stereomix des finnischen Experten Miikka Huttunen macht Stars Aligned schließlich zum perfekten Audio-Genuss.

Aktuelle CD:

Martti Vesala Soundpost Quintet: Stars Aligned (Ozella Music / Galileo MC)