Festival Moers
Von Stefan Pieper. Ronny Graupe und PhilipSo muss es in den Gründertagen des Moers Festivals zugegangen sein: Unter freiem Himmel in der Sonne entfesselt eine Band die komplexesten freien Strukturen, und alle haben Spaß dabei, wie auch Christian Lillinger, p Gropper gar nicht genug davon bekommen können. Und das Laufpublikum vernimmt, dass die Welt aus viel mehr als nur C-Dur und Viervierteltakt besteht.
Der künstlerische Leiter Tim Isfort hat die passenden Bilder im Kopf, um in Moers unter verjüngten Vorzeichen sensibel und gerne auch humorvoll Regie zu führen. Um Stimmungen, Synergien, weiche Fakten geht es. Um die Materialschlacht der großen Namen weniger. Neue Harmonie liegt in der Luft, wo früher tiefe Fronten zwischen dem Festival und der Stadtgesellschaft lagen. Das alles hat mit Weitblick und Empathie zu tun. Viele Angebote zu neuen Erfahrungen in Gestalt gerne auch mal skurriler Freiluft-Konzerte strahlen in die Stadt hinein. Ein kleiner Pickup fährt umher, auf dessen Ladefläche eine Pianistin konzertreif Debussy spielt. Der holländische Gitarrist Bram Stadhouders vernetzt sein Instrument mit einer riesigen Kirmesorgel, was einen polyphonen Klangrausch freisetzt. Wo ist in diesem Moment der Kommerz geblieben, der sonst jeden öffentlichen Raum beherrscht?
Auch das Hauptprogramm der diesjährigen Festival-Ausgabe appellierte symbolisch an den Ursprungsgeist des einstigen, 1972 gegründeten „New Jazz Festivals“. Gab es nicht eine Zeit, in der widerborstige Klänge ästhetischen Widerstand artikulierten? Dass nichts davon an Relevanz verloren hat, postulierte Peter Brötzmann im Podiumsgespräch – und noch mehr in den berstenden Klangströmen aus seinen Hörnern wider alle real existierende Dummheit in
der Welt.
Das Budget für das Festival fällt geringer aus als in der Michalke-Ära. Tim Isfort setzt hier auf kreative
Entdeckungspfade mit vielen jungen Bands und regionalen Musikern und Musikerinnen. Auf dieser Basis langfristig die internationale Anziehungskraft des Festivals aufrechtzuerhalten, wird Herausforderung für die Zukunft sein. Der wohl prominenteste Gast in Moers, Saxofonist Ravi Coltrane, legte eine bestens fokussierte Sternstunde des modalen Jazz zusammen mit der Band des Trompeters Ralph Alessi hin. Jazz ist in Moers keineswegs nur die Sache von in Würde reifenden alten Herren. Wie ein Wirbelwind mischten die gerade 17 Jahre junge französische Pianistin/Keyboarderin DOMI und ihr Altersgenosse Bobby Hall an Hammondorgel und Schlagzeug die Bühne auf. Hier haben sich zwei auf dem Berkeley-College kennengelernt und sich schon jetzt in bestem Sinne freigespielt.
Tim Isfort liegt das Transparent-Machen des globalen kulturellen Reichtums am Herzen. In diesem Jahr wollte er einen der letzten eisernen Vorhänge zumindest musikalisch öffnen helfen. Er reiste nach Pjöngjang und redete mit den zuständigen Ministerien. Bekam grünes Licht für die Einladung eines traditionellen Musikensembles nach Moers. Doch die deutschen Visa-Behörden setzten auf Abschottung. Der Dialog wird fortgesetzt.