Megaphon
Von Jan Kobrzinowski
Das Jahr wendet sich und weiterhin gibt es Bestenlisten, Festivals, Konzerte, Kongresse, Neuveröffentlichungen. Im kulturellen Bereich wird stoisch, teils still vor sich hingearbeitet. Es gibt kaum Planungssicherheit, und die Durchführbarkeit all dessen, was angekündigt wird, steht in den Sternen. Überhaupt leben diejenigen, die Kultur schaffen, inzwischen mit dem ständigen Gedanken an das Überleben dessen, was sie schaffen, wie auch an das eigene. Das ist mittlerweile zur Normalität geworden. Sie sind ja ohnehin das, was sie eh immer schon waren: Überlebens-Künstler*innen. Wir sollten applaudieren für alle tapferen Kulturschaffenden.
„Explore outstanding artists from NRW.“ Am 7. und 8.1. lädt zum elften Mal der Kölner Stadtgarten zum Winterjazz ein. Zum ersten Mal als Zusammenarbeit der Initiative Kölner Jazz Haus e.V. mit NICA Artist Development. „Get together!“ heißt auch in diesem Jahr die Devise, Wert gelegt wird neben dem Schwerpunkt auf der regionalen Szene auf überregionale Vernetzungen und Kollaborationen. Die herausragenden Musiker*innen in diesem Winter sind: Matthew Halpin, Lariza, The Resonators, Daniel Tamayo Quintett, BÖRT, Akintaya / Philipp / Hauptmann / Helm, NAU Trio, Roger Kintopf, Barbara Barth und Luciel sowie zehn aktuelle Projekte der NICA-Artists Heidi Bayer, Leif Berger, Elisabeth Coudoux, Pablo Giw, Pablo Held, Tamara Lukasheva, Sonae, Janning Trumann, Laura Totenhagen und Philip Zoubek.
Ein dreitägiges Internationales Jazzfestival Münster muss noch ein Jahr warten. Größtmögliche Vielfalt in drei Akten bietet aber der eintägige Shortcut in der Westfalenmetropole am 9.1. Den Konzertabend mit drei Deutschland-Premieren im Theater Münster eröffnet das Quartett N∆BOU der belgischen Posaunistin Nabou Claerhout. Mit John Surman, Lucian Ban und Mat Maneri treffen sich drei große Improvisatoren zu Transylvanian Folk Songs, inspiriert von Béla Bartóks Sammlung rumänischer Volksmusik. Zum Abschluss singt die Französin Camille Bertault, am Klavier begleitet von David Helbock. Der WDR zeichnet alle Konzerte auf.
Hoffentlich endlich wieder live soll die Internationale Kulturbörse Freiburg vom 23.-26.1. stattfinden. Das Branchentreffen für Bühnenproduktionen, Musik und Events mit Künstler*innen-Live-Auftritten und einem umfangreichen Aussteller*innen-Bereich gab es erstmals 1989 im Bürgerhaus im Seepark, seit 2001 ist die IKF auf der Messe Freiburg zu Hause. Mit 130 Auftritten internationaler Künstler*innen und Ensembles auf vier Bühnen, Fachvorträgen, Workshops und Seminaren zu aktuellen branchenspezifischen Themen. Dazu wird der Kulturbörsenpreis verliehen. Künstler*innen und Agenturen präsentieren sich unabhängig von Live-Auftritten an Messeständen. Es gelten 2G-Bedingungen für alle.
mœrs lässt die Katze aus dem Sack: Artist in Residence beim Festival zu Pfingsten 2022 ist die Cellistin Tomeka Reid. Das Festival wird 50, und schon jetzt beginnt man mit Sonderprojekten samt „unzähligen Erinnerungen, Anekdoten, Prägungen, Kisten mit Fotos und alten Tickets, Geschichte und Geschichten“. Vom 3.-6.6. wird gefeiert und ausgekundschaftet, wie die möglichen Zukünfte der nächsten 50 Jahre in Moers aussehen sollen. Tim Isforts Vertrag als künstlerischer Leiter wurde bereits bis 2028 verlängert. Unterdessen „bleibt Moers sich treu und improvisiert weiter, zeigt Haltung und Möglichkeiten, mit leichtem Sinn“ – und wagt sich „wieder auf einen surrealen Trip durch Wiesen, Freiheit, wilde Meere, Doppelhaushälften und Mondlandschaften.“ Early Birds können ihre Tickets schon jetzt aufpicken:
www.moerskultur.reservix.de/events
Eng verbunden mit Moers ist auch The Dorf. Unseren herzlichen Glückwunsch an den Dorfältesten Jan Klare! Mit seinem unbeugsamen Orchester feierte er kürzlich das 15-jährige Dorf-Bestehen im domicil, und zwar unter dem kämpferischen Motto Yes/No – Protest Possible! (über die gleichnamige CD-Veröffentlichung demnächst in diesem Magazin). Alles begann in Dortmund mit dem domicil Off Orchestra, daraus wurde „nach einem Glas Rotwein und einen Buchstabendreher später“ The Dorf.
Der WDR Jazzpreis zeichnet hervorragende Musiker*innen aus NRW aus. In der Kategorie Komposition gewann die Saxofonistin und Komponistin Theresia Philipp. Für Improvisation wird Schlagzeuger Achim Krämer ausgezeichnet. Der Bağlama-Spieler Kemal Dinç erhält die Auszeichnung in der Kategorie Musikkulturen. Über den Nachwuchspreis freut sich das Big-Band-Projekt des Luise-von-Duesberg-Gymnasiums Kempen. Den Ehrenpreis 2022 erhält das soziokulturelle Zentrum Bahnhof Langendreer in Bochum. Preisverleihung ist am 4.2. im Theater Gütersloh.
Mit einem Platz auf der Bestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik werden vierteljährlich die besten Neuveröffentlichungen des vorangegangenen Quartals ausgezeichnet. Die Besten 4/2021 sind (u.v.a.) im Bereich Jazz: Roy Hargrove & Mulgrew Miller – In Harmony, Kenny Garrett – Sounds from the Ancestors, in der Rubrik Weltmusik: Pulcinella & Maria Mazzotta – Grifone und Kudsi Erguner & Lâmekân Ensemble – Fragments des cérémonies soufies, Arvo Pärts – Passio mit dem Helsinki Chamber Choir (Rubrik Chor und Vokalensemble), Michael Mantler – Coda. Orchestra Suites (Grenzgänge). Darüber hinaus: J. Peter Schwalm & Markus Reuter – Aufbruch (Electronic und Experimental), Tedeschi Trucks Band feat. Trey Anastasio – Layla Revisited (Blues).
www.schallplattenkritik.de/bestenlisten
Van Morrison und Eric Clapton als Kreuzritter der Moderne? In einem gemeinsamen Songtext („Stand and Deliver“) und anderen Verlautbarungen kam zum Ausdruck, staatliche Covid-Maßnahmen seien vergleichbar mit der Sklaverei. Ist doch eigenartig, dass Stinkstiefel-Image und dumpfes, als Rebellentum verkleidetes Genörgel oft einhergehen. Nur – in Kauf nehmen muss man dann, selbst als Gitarrengott, die Folgen: wenn sich nämlich immer mehr Weggefährten von einem abwenden. Robert Cray jedenfalls hat vorläufig die Nase voll und sagte seine Beteiligung an Claptons Tour ab.
Als Spende für die Jazz Foundation of America’s Musicians’ Emergency Fund ist Relief gedacht, eine Compilation mit Starbesetzung von Top-Jazz-Labels zur Unterstützung von der Pandemie betroffener Musiker. Beteiligt sind Künstler*innen der Major-Labels Concord, Mack Avenue, Universals Verve und Blue Note sowie Warner / Nonesuch. Folgende Stars stellen bisher unveröffentlichte Musik bereit: Herbie Hancock, Buster Williams, Jimmy Heath, Albert „Tootie“ Heath, Joshua Redman, Christian McBride, Esperanza Spalding & Leo Genovese, Cécile McLorin Salvant, Charles Lloyd, Hiromi, Kenny Garrett, Jon Batiste u.a. „Warum machen wir keine Platte?“, hatte Blue-Note-Chef Don Was höchstpersönlich gefragt: „Lasst uns alle ein paar Tracks beisteuern!“ Die Antwort kam schnell: „Yes, let’s do it!“
Wayne Shorter, Danilo Pérez und Kris Davis wurden als Doris Duke Artists 2021 im Bereich Jazz ausgezeichnet. Seit der Einführung des Awards 2012 wurden mehr als 35,4 Mio. US-Dollar an 129 Personen ausgeschüttet, darunter mehr als 50 Jazzmusiker. Finanziert wird der mit 275.000 Dollar dotierte Preis aus dem Nachlass der Namensgeberin und 1993 verstorbenen US-Unternehmerin, Kunstsammlerin und Mäzenin Doris Duke. Ihr umfangreiches Vermögen steht heute überwiegend wohltätigen Zwecken zur Verfügung.
Die ersten fünf Jahre war Just Music – Beyond Jazz Wiesbaden eine Konzertreihe, 2005 wurde es zum Festival. Nun sagt Uwe Oberg, der die Institution 16 Jahre lang gemeinsam mit Raimund Knösche und Silvia Sauer betrieben hat: „Tschüß! Wenn es am Schönsten ist, soll man aufhören (um etwas Neues anzuzetteln).“ Obergs Dank gilt den Bands, dem Publikum, seinen Teams sowie allen Unterstützern: Kulturamt, Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Musikfonds, Kulturfonds Rhein/Main u.a. Just Music als Konzertreihe soll weiterleben: Im Herbst 2022 wird in der Walkmühle Wiesbaden der Konzertraum art.ist eröffnet.
Wir erfuhren vom überraschenden Tod von „Dichter, Musiker, Archivar, Ausstellungsmacher und DJ, Filmemacher, Herausgeber, Holzfäller, Komponist, Mykologe, Plakat- und Kulissenmaler, Shiitake- und Hummelzüchter, Schauspieler und Tonmeister“ Hartmut Geerken (Michael Lentz im Nachruf für die FAZ). Erst im April hatte das Jazzinstitut Darmstadt Geerkens unschätzbare Sun-Ra-Sammlung für das Archiv übernommen. Er starb am 21.10. mit 82 Jahren.
Er selbst hatte als Vorbild Wes Montgomery, zu seinen Bewunderern zählten George Benson und John Scofield – nun starb Pat Martino, Wunderkind der 60er Jahre, am 1.11. mit 77 Jahren. Im jugendlichen Alter verließ er seine Heimat Philadelphia Richtung New York. Mit 22 debütierte er mit El Hombre und wurde bald zu einem der einflussreichsten Gitarristen im Jazz, „mit vollendeter Technik, Sinn für Klang und einer unvergleichlichen Differenzierung seiner perkussiven Attack“ (Martin Kunzler, rororo Jazz-Lexikon). Nach einem Schlaganfall mit Hirnblutung 1980 erlitt er einen teilweisen Gedächtnisverlust, verlor zeitweise das Interesse am Gitarrespielen und teilweise auch den Zugang zu seinen Fähigkeiten. Erst vier Jahre später trat er wieder auf. Sein Aneurysma bezeichnete Martino später in seiner Autobiografie als „das Beste, was mir passieren konnte. Ich versuche mit einer intimen Exaktheit auf jeden einzelnen Moment zu fokussieren. So kann ich mich wirklich darauf konzentrieren, worum es im Leben tatsächlich geht.“ Zuletzt hatte sein Manager mittels einer GoFundMe-Kampagne Spenden für Martino gesammelt.
Wie kann ich mich in meiner Karriere als Musiker*in weiterentwickeln? Welche gesellschaftlichen Probleme und Themen haben aktuell Einfluss auf Musik und Kunst? Warum sind Frauen in der Musik unterrepräsentiert? Diese hochaktuellen Fragen stellt sich Mandy Neukirchner in ihrem Podcast Bebop Mädchen. Sie richtet sich hauptsächlich an Hörer*innen, die selbst Musik machen. „Frauen sind in der Musikbranche immer noch unterrepräsentiert, besonders im Jazz.“
Locksley Wellington „Slide“ Hampton, US-amerikanischer Posaunist, Komponist und Arrangeur, starb am 18.11. in seinem Haus in Orange, New Jersey im Alter von 89 Jahren. Hampton galt als Vollender der klassischen J.-J.-Johnson-Schule der Posaune. Seine Technik und sein extra-flüssiges Spiel (weltweit einer der wenigen Linkshänder an der Zugposaune) machten ihn nicht nur in seiner Heimat berühmt. Auch in Europa spielte er mit den Besten, u.a. mit Henri Texier, Daniel Humair, Niels-Henning Ørsted Pedersen, Joachim Kühn und Philly Joe Jones. Als Arrangeur arbeitete für All-Star-Besetzungen, für Bigbands mit Peter Herbolzheimer und Joe Haider und war Sideman für Dexter Gordon, Don Byas, Johnny Griffin und Kenny Clarke.
Am selben Tag verstarb der Trompeter und Flügelhornist Ack van Rooyen. Noch vor knapp zwei Jahren trat der Niederländer aus Den Haag nach schwerer Krankheit nochmals live auf und war bis vor Kurzem noch fest für Live-Gigs, z.B. auf der Jazzweek Cologne gebucht, die er allerdings absagen musste. Van Rooyen kam 1960 nach Berlin und war dort Mitbegründer der Bigband des SFB. Als Sideman spielte er u.a. mit Kenny Clarke, Lucky Thompson, Gil Evans, Lee Konitz, Hans Koller, Friedrich Gulda sowie an der Seite von Albert Mangelsdorff im United Jazz & Rock Ensemble. Zeit seines Lebens aus Bigbands und Orchestern der europäischen Szene nicht wegzudenken, spielte van Rooyen zuletzt am liebsten Flügelhorn in kleinen Besetzungen.
Mit der Vergabe des diesjährigen Deutschen Filmmusikpreises 2021 wurde am 18.11. im Händel-Haus in Halle (Saale) der Berufsstand der deutschen Filmmusik- Komponist*innen gewürdigt. Übergeben wurde die Auszeichnung durch Ehrenpreisträger Jeff Beal. Stellvertretend für die Branche nahmen Micki Meuser, Martina Eisenreich und Christoph Rinnert den Preis entgegen.
Schon im März wurde im Rahmen des Landesjazzpreises Baden-Württemberg der Sonderpreis für das Lebenswerk an Lauren Newton verliehen. „Mit beeindruckender Konsequenz hat sie der Stimme im Jazz eine neue künstlerische Perspektive eröffnet“, urteilt Juror Prof. Rainer Tempel. Newtons Performance zur Preisverleihung NowHere mit Joëlle Léandre, Christine Chu und dem Bühnenbildner Koho Mori-Newton im Theaterhaus Stuttgart wurde auf das Frühjahr 2022 verschoben.
Noch bis zum 13.2. widmet sich eine Ausstellung im Heimatmuseum Unser Fritz in Herne der Geschichte der Jazzwanne. 1960 wurde der Revier-Club in Herne von jungen Leuten gegründet und in Eigenregie geführt, und schon 1967 fiel er den Abrissbaggern zum Opfer. Die Jazzwanne beeinflusste laut Kurator Ralf Piorr die Musikgeschichte im Revier als „Ausdruck einer politischen Auffassung“ maßgeblich. Zu sehen sind vor allem Schwarz-Weiß-Fotos des Gründungsmitglieds Hartmut Beifuß.
www.museen.de/jazzwanne-herne.html
Ystad Jazz wurde mit dem Kulturpreis 2021 ausgezeichnet. Der Vorstand von Swedish Jazz ernannte das südschwedische Küstenstädtchen zur Jazzgemeinde des Jahres 2021. „Ystad Jazz richtet sich an alle Altersgruppen, das Festival zieht Künstler, Publikum und Medien aus allen Teilen der Welt an und trägt zum Aufbau der Marke Ystad bei“, hieß es beim Kulturkomitee zur Verleihung.
Der diesjährige Hessische Jazzpreis geht an Christof Sänger. Das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro stiftet die Landesregierung seit 1990. Die Jury bescheinigte dem „vielseitigen, beweglichen und anpassungsfähigen“ Pianisten „Klavierkunst auf höchstem Niveau mit virtuoser Lässigkeit“. Verleihung und Preisträger-Konzert fanden im Rahmen des Hessischen Jazzpodiums vom 3.-5.12. statt.
Der Fotograf und Jazzfan Josef „Sepp“ Werkmeister ist tot. „Seine Bilder hatten einen Sound“, so Roland Spiegel in einem Nachruf (BR Klassik). „Nur wenige Fotografen waren in der Lage, so viel musikalische Stimmung einzufangen wie er. Seine Methode: Erst zuhören, dann Auslöser drücken.“ Werkmeister starb am 11.11. im Alter von 90 Jahren.
Die IG Jazz Burghausen e.V. kündigt den Vorverkaufsstart für die 51. Internationale Jazzwoche Burghausen (22.-27.3.) an. Die Highlights: Bill Evans & The Spy Killers, Wolfgang Haffner, Mandoki Soulmates mit Al Di Meola, Till Brönner, Richard Bona, Tony Carey, John Helliwell, Mike Stern, Randy Brecker; Moka Efti Orchestra, Ola Onabulé Septet, Alma Naidu, Kai Strauss, Shake Stew, Johannes Enders u.v.a.
Es gibt eine neue Stiftung zur Förderung des Jazz-Nachwuchses. Die Bonner Grizzly Jazz Foundation wurde gegründet vom 2020 verstorbenen Prof. Dr. Andreas Hoeft (Spitzname „Grizzly“). Erste Stipendiatin ist die Sängerin Alma Naidu. Der Wert des Stipendiums beträgt bis zu 10.000 Euro pro Jahr und ist auf zwei Jahre begrenzt.