Lady Blackbird

Lebensretterin

BBCDJ Gilles Peterson nennt sie die „Grace Jones des Jazz“. Andere vergleichen ihre Stimme mit der von Nina Simone oder Gladys Knight. Die Rede ist von Marley Munroe aka Lady Blackbird, die die Souljazz-Community mit ihrem minimalistisch-eleganten und dabei doch prächtig opulenten Album Black Acid Soul in Atem hält.

Von Victoriah Szirmai

Es ist Munroes Debüt als Lady Blackbird, doch keinesfalls das als Musikerin: „Ich wurde schon singend geboren“, lacht sie. „Aber im Ernst: Meine Mutter hat sehr früh bemerkt, dass ich singen konnte und offensichtlich auch Spaß daran hatte. Sie hat das dann wirklich kultiviert.“ Munroe landet zwölfjährig bei einem christlichen Label, für das sie Gospelsongs aufnimmt. „Irgendwann fängst du aber an herauszufinden, wer du bist und woran du wirklich glaubst.“ Mit achtzehn löst sie sich aus dem ungeliebten Vertrag. Sie zieht nach Los Angeles, um fortan die Musik zu machen, wie sie möchte.

Eins ihrer Demos landet in den Händen von Tricky Stewart, der in der ersten Dekade der Nullerjahre von Britney Spears über Beyoncé bis zu Rihanna alle weiblichen Soulpopstars von Weltrang produziert. 2013 haben sie mit „Boomerang“ einen Hit, fallen aber bald schon den massiven Kürzungen bei Epic zum Opfer. „Und ich war zurück in diesem Spiel“, resümiert sie. „Letzten Endes war das aber genau richtig, denn nur dadurch gab es Raum für Black Acid Soul. Und wenn ich sehe, wie das Album aufgenommen wird, wenn ich all die positiven Reaktionen lese, dann macht mich das sehr stolz. Und dankbar.“

Alles begann mit der melancholischen Jazzballade „Nobody’s Sweetheart“, die Produzent Chris Seefried aka Bullfrog geschrieben hatte. Seefried, der für seine Arbeit am Debütalbum von Andra Day, das aus dem Biopic The United States vs. Billie Holiday hervorging, für den Grammy nominiert wurde, bat Munroe um einen Gesangsbeitrag, den er mit illustren Gästen wie Trombone Shorty oder Deron Johnson live aufnahm. Was weder Produzent noch Sängerin ahnten: In diesem Moment war Lady Blackbird geboren. „Damals hatten wir das Projekt noch gar nicht im Hinterkopf. Doch als wir die Aufnahme hörten, dachten wir, vielleicht halten wir hier etwas in den Händen, mit dem wir weitermachen sollten.“ Ab dann entstand das Album gewissermaßen von selbst. „Es hat sich einfach so gefügt, ganz natürlich. Nichts war erzwungen.“

Aus stundenlangen Listening Sessions machten das Rennen letzten Endes elf handverlesene Stücke, Interpretationen wie Originale. Hat Munroe unter ihnen ein Lieblingslied? „Das wurde ich oft gefragt, und es war jede Woche ein anderes, je nachdem, wie ich mich gerade gefühlt habe. Letztlich bin ich aber bei ,Five Feet Tall‘ geblieben – und das nicht nur, weil ich es geschrieben habe“, lacht sie, um gleich zurückzufragen: „Und du?“ Bei mir sei es ähnlich, im Grunde würde ich sie alle mögen, je nach akuter Stimmungslage – bis auf „Collage“, zu dem ich keinen Zugang fände. „Weißt du was? Mir ging das genauso!“, erinnert sie sich. „Als man mir den Song zum ersten Mal vorspielte, dachte ich, der ist ja ganz schön trippy, aber ich habe keine Ahnung, was er bedeutet. Dann aber habe ich dieses unangenehme, ungewisse Gefühl einfach umarmt. Und jetzt ist es genau das, was ich an dem Song liebe: dass ich ihn einfach nicht verstehe.“

Das Album entspinnt seinen besonderen Flow von reduzierten Nina-Simone-Klassikern, die dorthin zielen, wo’s richtig wehtut, über klassisch-puristische Eigenkompositionen bis zum psychotropen Chorwerk, das wie ein vokales Sun Ra Arkestra daherkommt, kulminierend im albumschließenden Titeltrack, wo sich Cool- und Deepness die Hand reichen – und zwar mit einem ganzen Klangkaleidoskop aus Streichern, Vibrafon- bzw. Glockenspielsounds und einem Rhythmusgeber, der klingt wie ein mit Lindt-Hasen-Glöckchen bestückter, geschüttelter Kürbis, sowie einem bei aller Liebe nicht zuzuordnenden, sägend-schnurrenden Leadinstrument, das sich anhört wie eine Melodica, die auf einem schlechten Trip hängengeblieben ist, eben Black Acid Soul – eine Genreneuschöpfung, die spätestens an dieser Stelle sehr, sehr sinnfällig ist. Und über all dem thront diese überirdische Stimme, die genauso das Herz zerreißen wie es wieder heilen kann. Wenn sie singt „I’ll fix it for you“, kann man sich sicher sein: Alles wird gut.

Allein diese Stimme, die zum Genauhinhören und dann Am-eigenen-Leib-Nach- oder zumindest -Mitfühlen zwingt, macht Black Acid Soul zu einer Platte, die nicht unbedingt in der Sonntagskaffeebar zum Brunch läuft. Lady Blackbird nimmt den Hörer mit auf eine emotionale Reise der von aller Welt Verlassenen zur sich ihrer Sinnlichkeit, Stärke und Spiritualität vollends Bewussten. Dennoch möchte sie das Album nicht als emotionale Coming-of-Age-Story, nicht als Crescendo, nicht als lineare Entwicklung verstanden wissen, sondern, wie auch die Musik, als Fusion. Ja, da sei Verzweiflung, Trauer und verlorene Liebe, aber eben auch Trost und Freude. Und zwar gleichzeitig. „Glaubst du, dass Trost im Verlust von Liebe liegt?“, frage ich. „Ja“, antwortet sie nach einigem Überlegen, „das ist gut möglich, auch wenn du es zuerst nicht merkst. Es ist wie bei einer Amputation – für die wirst du im ersten Moment auch nicht dankbar sein. Aber letzten Endes rettet sie dein Leben!“

Aktuelles Album:

Lady Blackbird: Black Acid Soul (BMG Rights Management / Warner)