Megaphon
Von Jan Kobrzinowski
Gerade hat der Bayerische Rundfunk noch das 100-jährige Bestehen des Radios gefeiert. Nun will man bei der ältesten deutschen Radiostation mit einer angestrebten „Reform“ kulturelle Inhalte „zeitgemäßer präsentieren und an den Zeitgeist angepasst besser platzieren“. Den Sinn dessen allerdings bezweifeln inzwischen nicht nur Radiomacher*innen und andere Fachleute, sondern auch Hörende und Kulturschaffende. Die Literaturszene fürchtet um das Freie Wort, um das Kantige, den Diskurs. Im Klartext: Viele eigenständige Sendungen im „linearen Programm“ sollen, zunächst bei Bayern 2, künftig wegfallen und in Einzelbeiträgen auf „größeren Sendestrecken“ landen. So wird vermutet, dass es schon bald kaum mehr thematische Kultursendungen geben wird. Denn was im linearen Programm wegfällt, erhält keine neuen Sendeplätze. Essays, Features, Musikrezensionen werden nicht im selben Ausmaß Platz in Mediatheken und Podcasts finden. Mit dem Plan, Kultur- und Literaturbeiträge ARD-weit zu erstellen und in einem „zentralen Kulturregal“ anzubieten, will man bei der ARD bis 2028 250 Mio. € einsparen.
Was bedeutet das nun für die Sicht- und Hörbarkeit des Jazz in den Kulturradios der ARD? Laut Deutscher Jazzunion würde außer Sendestrecken für Konzertmitschnitte auch die Zahl der Studioproduktionen deutlich verringert, ebenso Infos zu Konzerten und Festivals, und im Endeffekt verlören Veranstalter*innen Besucher*innen und Künstler*innen Auftrittsmöglichkeiten. Wird all das umgesetzt, so droht dem Jazz als gesellschaftlich relevanter künstlerischer Musikgattung in deutschen Medien bald das Aus. Und es beträfe auch die vier Bigbands der ARD, deren Livekonzerte und Mitschnitte bisher auf den ARD-Kulturwellen ausgestrahlt wurden. Auch das wäre ein enormer Verlust für die internationale Strahlkraft des Jazz aus Deutschland.
Bei den ARD-Verhandlungen hinter verschlossenen Türen war von der Verlagerung des Jazz ins „digitale Angebot“ die Rede. Die Zusammenlegung von Kultur-Sendestrecken der ARD-Kulturwellen kann nur eins bedeuten: Der Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll langsam ausgetrocknet werden. Der Abbau hochwertiger Kulturleistungen zugunsten von Kommerz und Massenware ist ja eh im Trend. Wir meinen: Die Beschaffung von Information und ihre verantwortungsvolle Auswertung ist mühsam und setzt große Kenntnis der Materie voraus. Darauf sollten auch künftige Generationen nicht verzichten müssen. In Zukunft soll man sich dies also im digitalen Raum selbst zusammensuchen. All das dient nicht der Modernisierung, sondern soll in erster Linie Geld sparen – ganz nebenbei auch ein Zugeständnis an all die Kritiker an den Öffentlich-Rechtlichen und an Kulturbanausen, die gegen „gleichgeschaltete Regierungsmedien“ wettern?
Da kann es nur eine Antwort geben: Wehret den Anfängen bei der schrittweisen Wegkürzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit seinem grundgesetzlich verankerten Bildungsauftrag! Immerhin, noch gibt es eine Handvoll wackerer gelernter Jazzjournalisten bei den ARD-Anstalten, die sich um Tiefgang und kritische Auseinandersetzung mit Musik bemühen. Was passiert, wenn diese in den Ruhestand gehen oder sich vollständig in eigene Podcasts zurückziehen?
Man kann etwas tun: Über 2.300 Institutionen und Personen haben bereits bei der Deutschen Jazzunion eine Petition unterzeichnet. Wer möchte, dass es auch weiterhin öffentlich-rechtlichen Jazz und andere gute Musik geben soll, und zwar von Fachleuten kuratiert und moderiert, schließe sich dem Appell von dem Forum Musikwirtschaft, Deutschem Musikrat, GEMA und GVL an: 100 Jahre Radio – Hört. Nie. Auf.!
www.deutsche-jazzunion.de/kein-rundfunk-ohne-jazz/
Die KulturPass-App ist (war?) ein gelungenes Angebot für junge Menschen, herauszufinden, was Kultur für sie bedeutet. Über 200.000 18-Jährige haben sich seit Juni 2023 ein vom Bund finanziertes Budget von 200 € für Bücher, Festival-, Konzert- und Theaterbesuche freigeschaltet. Der KulturPass erschließt nicht nur jungen Menschen die Kultur, sondern auch Kultureinrichtungen eine erhöhte Nachfrage. Nun ist die Zukunft des Projekts allerdings gefährdet. Das Forum Musikwirtschaft fordert die Fortsetzung.
www.bdkv.de/forum-musikwirtschaft-pm-07-11-2023/
Das Magazin Meloport ist eine ukrainische Plattform für Jazz und improvisierte Musik. Das Meloport-Team, Mitglied des European Jazz Network (EJN), veröffentlicht auch zu Kriegszeiten Interviews und Rezensionen, berichtet aber z.B. auch über ukrainische Jazzmusiker, die Soldaten wurden. Das Magazin ist ab 15.12. auf der Website von Citizen Jazz erreichbar, auf Französisch. Europäische Magazine bemühen sich inzwischen um eine englische Version zur Weiterveröffentlichung aus Solidarität. JAZZTHETIK unterstützt diese Initiative und wird die Leser*innen auf dem Laufenden halten.
www.citizenjazz.com
Die Deutsche Schallplattenkritik veröffentlichte die 4. Bestenliste des Jahres 2023. Von 238 Titeln auf der Longlist schafften es 27 Titel auf die Liste, darunter Buselli / Wallarab Jazz Orchestra – The Gennett Suite (Bearbeitung historischer Arrangements), das Joachim Kühn New Trio & Atom String Quartet – Jazz at Berlin Philharmonic XIV: Komeda. In der Kategorie Weltmusik errangen MirAnda – Uma Mulher Na Cidade und bei Electronic und Experimental Micro Ambient Music – Tribute to Ryuichi Sakamoto Bestenstatus.
www.schallplattenkritik.de/bestenlisten/2023/04
„Elegante Phrasierung, rhythmische Beweglichkeit und Freude am Zusammenspiel“ bescheinigte die Jury des WDR Jazzpreises 2024 der Bassistin und Komponistin Caris Hermes. Der WDR-Nachwuchspreis geht an das Jugend Jazz Orchester Bonn. Ein Preisträgerkonzert findet am 14.3. im Bonner Pantheon statt, am 15.3. gastiert der Jazzpreis mit der WDR Big Band in der INSEL in Wuppertal, am 16.3. im Haus der Stadt in Düren und am 17.3. im Theater am Marientor in Duisburg.
www.jazz.wdr.de
Auf der Zeche Carl in Essen geht der Jazz vom 15.-17.2. in die Offensive. Patrick Hengst und Simon Camatta stellen die bisher bestätigten Bands für das JOE Festival 2024 vor: Kit Downes / Jonas Burgwinkel / Reinier Baas – Deadeye, Ghosted mit Oren Ambarchi, Johan Berthling und Andreas Werliin, Kosack – Voutchkova – Coudoux, How Noisy Are the Rooms? mit Almut Kühne, Joke Lanz, Alfred Vogel, 3grams mit Luise Volkmann, Michael Schiefel und Casey Moir sowie Otis Sandsjös Y-Otis.
www.jazz-offensive-essen.de
Der Grammy 2024 in der Kategorie Bestes Arrangement für John Beasley war an sich schon ein richtiger Knaller. Bekommen hat der Arrangeur der SWR Big Band einen der begehrten Preise für sein Arrangement des Charlie-Parker-Klassikers „Scrapple from the Apple“ auf dem Album Bird Lives, das in drei Kategorien nominiert war. Nun liefert der Preisträger mit der SWR Big Band plus Co-Arrangeur und Saxofonist/Flötist Magnus Lindgren das Live-Programm zum Grammy nach: Bird Lives – The Charlie Parker Project tritt mit den Special Guests Camille Bertault, Jakob Manz und Emma Rawicz am 20.2. in der Historischen Stadthalle Wuppertal und am 21.2. im Theater am Aegi in Hannover auf.
www.swr.de/swr2/musik-jazz-und-pop/big-band/v-swrbb-bird-lives-new-york-2023-104.html
26 nominierte Musikschaffende fiebern der Preisverleihung des Deutschen Musikautor*innenpreises am 8.2. im Berliner Hotel Ritz-Carlton entgegen, darunter Nina Chuba, Deine Freunde, Peter Fox, Geenaro & Ghana Beats, Paula Hartmann, Maite Kelly, Michael Maierhof, Moderat, Kerstin Ott, Purple Disco Machine, Olga Neuwirth und Iris ter Schiphorst.
www.musikautorinnenpreis.de
Mars Williams war Klarinettist und Saxofonist. Studiert hat er in Karl Bergers Creative Music Workshop und bei Don Cherry, Muhal Richard Abrams und Anthony Braxton, was ihn dazu befähigte, später u.a. mit John Zorn, Bill Laswell, Elliott Sharp und Fred Frith zu spielen. Williams starb am 20.11. an Krebs. Er wurde nur 68 Jahre alt.
Der Ärger der Musikschaffenden über Spotify erhält ständig neue Nahrung. Die ohnehin schon lächerlichen Einnahmen sollen noch weiter gekürzt werden: Ab 1.1.2024 soll nur noch dann Geld von Spotify ausgezahlt werden, wenn der betreffende Track innerhalb eines Jahres mehr als 1000-mal gestreamt wurde. Die MUSIKWOCHE schätzt, dass 2/3 der Tracks diesen Schwellenwert nicht erreichen. Dr. Birte Wiemann, Vorstandsvorsitzende des Verbandes unabhängiger Musikunternehmer*innen e.V. (VUT), hält solche Pläne für schockierend.
www.vut.de
Streamen kann allerdings auch erfolgreich sein: Das Emil Brandqvist Trio erhielt einen digitalen Award für weltweit 50 Mio. Streams seiner sechs Alben, die es mithilfe seines Labels Skip und dessen Vertriebspartners Kontor New Media / Edel erreichte. Das Trio bedankte sich mit einem analogen Livekonzert in der Hamburger KNM-Zentrale.
www.skiprecords.com
Am 14.11. wurde im Ludwigshafener Kulturzentrum dasHaus der SWR Jazzpreis 2023 an Kathrin Pechlof vergeben. Die Harfenistin erhielt ein Preisgeld in Höhe von 15.000 €. Die Preisträgerinnen-Konzerte bestritt sie solo und im Trio mit Robert Landfermann (b) und Christian Weidner (sax).
www.swr.de/swr2/musik-jazz-und-pop/swr-jazzpreis-2023-kathrin-pechlof-100.html
Die Jazzwoche Burghausen präsentiert vom 12.-17.3. nicht nur gestandene Headliner wie Ron Carters Foursight Quartet, sie bietet auch dem Nachwuchs eine Bühne – mit dem Finale des Burghauser Nachwuchs-Jazzpreises. Längst keine Newcomerinnen mehr sind Laura Jurd, Emma Rawicz und Monika Roscher. Samuel Blasers Routes, Keziah Jones, Justina Lee Brown sowie die finnische Electro-Indie-Formation Rosettes erweitern die Jazz-Horizonte in verschiedene Richtungen. Und das ist noch nicht alles, das komplette Programm findet man unter:
www.b-jazz.com
Seit 30 Jahren vergibt der Jazzclub Biberach e.V. den Biberacher Jazzpreis für Jazznachwuchsmusiker*innen. Die fünf besten Formationen kämpfen im Finale um insgesamt über 5.000 € Preisgeld. Bewerbung bis 5.2., Finalrunde in der Stadthalle Biberach am 20.4.
www.jazzpreis-biberach.de
Der tiefen Musik zum Lobe: Das Instrument des Jahres 2024 ist die Tuba. Die Landesmusikräte der Bundesländer vergeben dafür auch eine Schirmherrschaft, und die übernimmt im kommenden Jahr der vielseitige Tubist Roland Vanecek.
www.miz.org/en/news/die-tuba-ist-instrument-des-jahres-2024
Viele Jazzclubs kommen in die Jahre. Zu den ältesten, aber junggebliebenen in der Neckar-Region zählt der Jazzclub Heidelberg. Die Vereinigung für improvisierte Musik e.V. feiert ihr 50. Jubiläum mit Konzerten im Februar und März, u.a. mit Biréli Lagrène, Rössler & Wind, Charles Unlimited – Mingus Reloaded, Jutta Glaser & Claus Boesser-Ferrari und dem Muriel Grossmann Quartet.
www.jazzclub-heidelberg.de/jubilaeum
Eine Wiege der elektronischen Musik wechselt die Eigentümerin. In einem Überlassungsvertrag übergibt der WDR das legendäre Studio für Elektronische Musik (SEM) der Stadt Köln. So soll die „Experimentier-, Produktions- und Präsentationseinrichtung“ der experimentellen elektronischen Musik auch weiterhin zeitgenössischen Künstler*innen zur Verfügung stehen.
Nicht nur die Luxemburger Jazzszene trauert um Michel Pilz. Der Bassklarinettist gehörte Ende der 1960er Jahre zum Quintett von Manfred Schoof, spielte mit Peter Kowald, Paul Lovens, Perry Robinson, Itaru Oki und zählte zum engsten Kreis der freien Jazzszene im Umfeld des Globe Unity Orchestra. Noch bis ins hohe Alter trat er auf, z.B. an der Seite des Kölner Pianisten Georg Ruby. Am 2.11. starb Michel Pilz im Alter von 78 Jahren.
Ab Januar wird es in Frankfurt unter dem Namen „Ella & Louis Jazz Club im Holzhausenschlösschen“ eine neue Jazzreihe unter der künstlerischen Leitung von Thomas Siffling geben, in Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Original. Die Frankfurter Bürgerstiftung erhofft sich mehr „öffentliche Sichtbarkeit für das Thema Jazz mit all seinen Facetten“. Am 19.2. wird Nicole Metzger und am 18.4. das Anke Helfrich Trio auftreten.
www.frankfurter-buergerstiftung.de
Seit jeher wandelt Helge Schneider an den Grenzen zwischen Konzert und Kabarett. Für herausragende musikalische Begabung und großes Improvisationstalent, gepaart mit dem „Konzept der gespielten Konzeptlosigkeit“, erhielt er am 20.11. im Düsseldorfer K21 den Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (25.000 €).
www.land.nrw/nrw-gestalten/kunstpreis-des-landes-nordrhein-westfalen
„Pointiert gesetzte Musik für das Unsagbare“ – der Preisträger des Deutschen Filmmusikpreises 2023 in der Kategorie „Beste Musik im Film“ steht fest: Peter Hinderthür erhielt die Trophäe für seine Kompositionen zum Film Meinen Hass bekommt ihr nicht (Regie: Kilian Riedhof, 2022) über den Anschlag von Paris 2015 auf den Club Bataclan.
www.deutscherfilmmusikpreis.de
Die Deutsche Jazzunion nimmt für sich in Anspruch, seit 50 Jahren auf Bundesebene die professionelle Jazzszene zu vertreten. Der bisherige Geschäftsführer des Vereins geht nun nach acht Jahren Amtszeit. Daher sucht man in Berlin zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine neue Geschäftsführung.
www.deutsche-jazzunion.de
Das Morgenland Festival Osnabrück präsentiert 2024 zum 20. Mal die Vielfalt der Musikkultur des Nahen und Mittleren Ostens. Nun lädt Morgenland junge Kreative mit offiziellem Wohnsitz in der MENA-Region, der Türkei, dem Kaukasus oder Zentralasien ein, das offizielle künstlerische Design für das Festival 2024 zu entwerfen. Einzelpersonen oder Gruppen können sich bis 31.12. bewerben: info@morgenland-festival.com
An Künstler*innen unterschiedlicher Disziplinen mit Wohnsitz in Deutschland richtet sich ein Angebot für türkisch-deutsche Koproduktionsstipendien mit vier- bis achtmonatigem Aufenthalt an der Kulturakademie Tarabya in Istanbul. Residenzen beginnen am 1.10.24. Info / Bewerbung (OpenCall-Verfahren):
www.kulturakademie-tarabya.de
Anastasia Wolkenstein, Leiterin des Festival Sparks & Visions in Regensburg, weiß, was sie will, und tut, was sie für richtig hält, nämlich vom 19.-21.1. zum zweiten Mal im altehrwürdigen Theater ein funkensprühendes visionäres Programm auf die Beine zu stellen. Mit Ganna Gryniva, Norma Winstone & Kit Downes, Wolfert Brederode, Kadri Voorand, Alfa Mist, Evi Filippou & Robert Lucaciu, Tord Gustavsen u.a. scheint ihr genau das gelungen zu sein.
www.sparks-and-visions.com
Große Ehre für Martin Feldmann: Für sein Buch Further on up the Road erhielt der JAZZTHETIK-Bluesexperte bei den 30th Living Blues Awards 2023 den Preis für das Best Blues Book of 2022.
www.further-on-up-the-road.de
Fehler passieren auch JAZZTHETIK. Leider gab es davon zwei in unserer Ausgabe 315: Auf S. 73 hieß es, Miles Davis habe uns noch bis 1997 tolle Musik geschenkt. Das stimmt nicht, denn leider starb der Meister schon 1991. Und das Foto von Wolfgang Engstfeld auf S. 7 stammt nicht von Hans Kumpf, sondern von Manfred Rinderspacher. Wir bitten um Entschuldigung.