Megaphon

Von Jan Kobrzinowski

Jazz-Labels und andere Produktionsstätten der improvisierten Musik – sind das bereits bedrohte Spezies? Nicht nur die Kleinen, auch die Großen machen sich Gedanken darüber. ACT-Chef Andreas Brandis zeigte sich im Interview mit dem Branchenmagazin LOW BUDGET HIGH SPIRIT recht gelassen, „ohne Jammern oder Lamento“, dafür „voll Tatendrang und Lust am Machen“. ECM produziert unter der Ägide Manfred Eichers ungerührt weiter Erlesenes. Und einige der Mittleren und Kleinen haben immer noch einen beachtlichen kreativen Output, gemessen an der Zahl der Neuveröffentlichungen. Fest steht: Wir brauchen sie alle, sowohl die Branchengiganten als auch all die Kleinen, Unabhängigen. Dennoch – wie unabhängig sind sie alle eigentlich und wovon? Vom Kommerz, von einem angeblich überalterten, elitären Publikum, von der Nachfrage nach physischen Tonträgern? Vom Auseinanderklaffen zwischen Angebot (immer mehr Hochschuljazz-Absolvent*innen) und Nachfrage (immer weniger Publikum). Gern wird die Frage der Fragen aufgeworfen – nach der Zukunft von Jazz und improvisierter, Neuer Musik, Tonträgern, Konzert- und Festivalbetrieb. Und wie (un-)abhängig sind wir, die Kritiker*innen, Berichterstatter*innen, das sogenannte Fachpublikum? Lanzen für die (verlorengegangene?) Objektivität der Musikkritik werden gebrochen, während Aktivist*innen Untergrundarbeit verrichten und soziokulturelle Initiativen für gerechte Nachhaltigkeit sorgen. Unabhängige und abhängige Verbände der Musikbranchen vergeben subventionierte Preise, solange Vorrat und Ressourcen reichen. All das geschieht gleichzeitig, wir leben in sehr komplexen Zeiten. Und junge Generationen versuchen es nicht nur in den USA, Frankreich oder dem UK, mit ihrer Musik oder den Geschichten Begeisterung zu entfachen, Brücken zu Benachbartem, zu HipHop oder Elektronischer und Neuer Musik zu schlagen. Das geschieht auch hierzulande. Da muss man*frau nur die passenden Veranstaltungen besuchen.

JAZZTHETIK präsentiert

Der Deutsche Jazzpreis 2026 wirft bereits seine Schatten voraus. Er kehrt zurück in die Arme der jazzahead! Am 25. April finden Verleihung und Feier erneut in Bremen statt, zum Zeichen der Partnerschaft mit dem wichtigsten Branchentreff der globalen Jazzszene. Die Jazzpreis-Bewerbungsphase für die 22 Einreichkategorien (je 10.000 € Preisgeld) endet am 30.11. National werden Preise für Großes Ensemble, Album und Debütalbum (zuvor Newcomer*in) des Jahres, sowie Komposition/Arrangement des Jahres vergeben. Dazu gibt es Preise für Rundfunkproduktion, Festival, journalistische Leistung, Musikvermittlung und Teilhabe des Jahres. International gehen Auszeichnungen an Großes Ensemble, Album sowie Debütalbum (zuvor Newcomer*in) des Jahres. Es entscheidet eine Jury aus kompetenten Fachleuten, die Anfang kommenden Jahres bereitstehen wird. Alle nominierten Nicht-Gewinner*innen erhalten 1.000 €. Auch die bewährte Partnerschaft mit dem NUEJAZZ Festival Nürnberg, auf dem u.a. Preisträger*innen verschiedener Editionen spielen, verlängert sich um ein weiteres Jahr. Getragen wird der Deutsche Jazzpreis von der Initiative Musik, Hauptförderer ist der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).

www.deutscher-jazzpreis.de

JAZZTHETIK präsentiert

Am 17.11. wird derselbe Beauftragte, Wolfram Weimer, in der Münchner Muffathalle die APPLAUS-Auszeichnungen an unabhängige Musikclubs, Veranstaltungsreihen und Initiativen aus allen Bereichen von Popularmusik und Jazz vergeben. Insgesamt stehen 2025 ca. 1,6 Mio. € Preisgelder zur Verfügung, womit der APPLAUS einer der höchstdotierten Bundeskulturpreise ist. Prämiert werden herausragende Livemusikprogramme, Spielstätten mit kreativer und wegweisender Programmkonzeption und besonderer Wirkkraft. Besonderes Augenmerk liegt wieder auf den Themen Awareness, Inklusion und Nachhaltigkeit.

www.applaus-award.de

JAZZTHETIK präsentiert

Mit einem international hochkarätig besetzten Programm findet das Jazzfest Berlin im Haus der Berliner Festspiele, der Gedächtniskirche sowie in verschiedenen Berliner Clubs statt. Highlights sind u.a. Barry Guy & London Jazz Composers Orchestra, Mary Halvorson’s Amaryllis Sextet, Marc Ribot, James Brandon Lewis, Wadada Leo Smith & Vijay Iyer. Das Jazzfest lädt im Rahmen seiner kostenlosen „Community Week“ lokale Akteur*innen, Initiativen aus Moabit und Musiker*innen ein, „Jazz als lebendige Kunstform und offenes Experimentierfeld zu erleben.“ Mit zehn Kiezkonzerten wird der Stadtteil Moabit bespielt. Dazu gibt es Aktivitäten im Jazz Institut Berlin und ein interdisziplinäres Filmprojekt im Gropius Bau.

www.berlinerfestspiele.de/jazzfest-berlin/

Eigentlich war es von vornherein klar: Ein Jahr Rundfunkreform – das ist kein Grund zum Feiern. Weniger Sendezeit, Sichtbarkeit und Qualität für Jazz und improvisierte Musik in der linearen Berichterstattung. Es wird gespart und zusammengerafft. Das hört man im Radio, und man merkt es in den Redaktionen. Es gibt weniger Platz für kleinere, unkommerzielle Themen, der Mainstream rückt in den Vordergrund. Einige gute und hochwertige Sendungen bei BR, SWR oder Deutschlandfunk können nicht darüber hinwegtäuschen, dass andernorts Kündigungen ausgesprochen wurden. Die Deutsche Jazzunion folgert: „Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen braucht es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Vielfalt hörbar macht, und Jazz und improvisierte Musik gehören unverzichtbar dazu.“

www.deutsche-jazzunion.de

© Francesco Truono

Obwohl Sheila Jordan den Blues liebte und Zeit ihres Lebens Jazzklassiker aller Genres sang, war ihr schon früh klar, dass sie nie wie die anderen großen Sängerinnen klingen wollte und würde. Jordans Umgang mit jeglichem Gesangsmaterial des Jazz war höchst eigenwillig und experimentell, mit großem Improvisationsdrang, ungewöhnlichem Umgang mit Stimme und Text sowie besonders kreativem Umgang mit Scat. Sie arbeitete mit Steve Kuhn, George Gruntz, Kenny Barron u.a., aber auch Roswell Rudd, Jeanne Lee, Carla Bley und Aki Takase. Besonders intime musikalische Momente waren ihre Duos mit Bassisten wie Arild Andersen, Harvie Swartz und Cameron Brown. Jordan starb in ihrem 97. Lebensjahr in der Stadt, deren vielgesungener Hymne „Autumn in New York“ sie stets ihre eigenen Worte voranstellte: „Here on the 27th floor, looking down on the city I love and adore“.

Es gibt nicht mehr viele Künstler*innen von seinem Schlag. Bis zu seinem Todestag am 13.9. hatte Brasilien mit Hermeto Pascoal einen Musiker und Komponisten, der wie kein anderer für die experimentelle Verbindung von Tradition und Moderne stand. Als Persönlichkeit und Musiker hatte der Multiinstrumentalist übergroßen Einfluss auf die Entwicklung einer der ohnehin schon reichsten Musikkulturen der Welt und darüber hinaus. Er begann als Wunderkind, später nannten sie ihn „Bruxo“, Zauberer und Hexenmeister. Hermeto Pascoal inspirierte sogar einen Innovator wie Miles Davis, der ihn für „einen der wichtigsten Musiker auf dem Planeten“ hielt. Er starb im Alter von 89 Jahren.

Caro Trischler hat den Wormser Jazzpreis 2025 erhalten. Die Musik der Songschreiberin und Sängerin ist stark von Bossa Nova beeinflusst, es verschmelzen aber auch Elemente von Soul, Jazz und Folk. Der von Bürgern gestiftete Preis wird von der Wormser Jazzinitiative BlueNite e.V. vergeben und ist mit 5.000 € dotiert.

www.bluenite.de

Der Posaunist, Komponist und Arrangeur Samuel Restle, Blasmusiker mit herausragenden Fähigkeiten, nimmt den Jazz-Preis Baden-Württemberg von Staatssekretär Arne Braun entgegen. Die Verleihung mit Konzert findet am 6.11. im Theaterhaus Stuttgart statt.

© Hans Kumpf

Bereits auf der Kölner Jazzweek bedankte sich die diesjährige Albert-Mangelsdorff-Preis-Trägerin Lauren Newton ohne große Worte – nämlich mit einer kurzen Vokalimprovisation. Feierliche Verleihung und Preisträgerin-Konzert (gemeinsam mit Joëlle Léandre am Bass) finden am 1.11. beim Jazzfest Berlin statt. Newton wird dort für ihr umfangreiches musikalisches Lebenswerk ausgezeichnet. Das Preisgeld beträgt 15.000 €.

© Knut Bry

JAZZTHETIK präsentiert

Jahr für Jahr rackert der rührige Verein Jazztime Ravensburg e.V. – nicht nur für ein ansehnliches Clubprogramm, sondern auch für das Trans4JAZZ-Festival. Vom 9.-11.11. ist wieder eine gute Mischung von Musik aus aller Welt und Jazz auf verschiedenen Bühnen in Ravensburg und Weingarten zu erleben. Topacts sind Mari Boine und Vincent Peirani.

www.jazztime-ravensburg.de

Wie kaum ein anderer Musiker stand der englische Kontrabassist Danny Thompson für ein Phänomen, das es nur auf den britischen Inseln gibt: die spezifische Verbindung von Folk Music und Jazz, die zu einem eigenen Genre wurde. Thompson begann mit Jazz und Blues, spielte mit Alexis Korner, der Incredible String Band, Pentangle und John Martyn. Er starb am 23.9. im Alter von 86 Jahren.

Die Unsigned Only Music Awards zeichnen unabhängige und nicht unter Vertrag stehende Künstler weltweit aus. Es geht um die Förderung außergewöhnlicher Talente mit unabhängiger Kreativität, Innovationskraft und Streben nach musikalischer Exzellenz. Jedes Jahr wird auch ein Best Jazz Artist ausgezeichnet, 2025 ist es der 101-jährige Marshall Allen, Leiter des Sun Ra Arkestra, seit über 60 Jahren ein Pionier des Avantgarde-Jazz.

www.unsignedonly.com

JAZZTHETIK präsentiert

Das treue Publikum ist gespannt auf das Lüften des Geheimnisses: Wer spielt auf dem Internationalen Jazzfestival in Münster/Westfalen? Auch wenn es am 3. und 4.1.2026 „nur“ der Shortcut sein wird – die drei Konzerte im Theater Münster am Samstag werden wieder ruck, zuck ausverkauft sein. Danach wird wie üblich gefeiert, und am Sonntag gibt es Improvisationen in der Dominikanerkirche. Vorverkauf ab sofort.

www.jazzfestival-muenster.de

Die Stimme als Instrument – dafür steht in der modernen Musik die Komponistin, Sängerin und Choreographin Meredith Monk. Alle Aspekte ihrer Performance-Kunst, nicht nur die gesangliche, wird sie ab sofort an der Essener Folkwang Universität an Studierende der Bereiche Neue Oper, Musiktheater, Film und Installation weitergeben. Die Professur ist nach der 2009 gestorbenen Wuppertaler Choreografin Pina Bausch benannt.

Festivals sind nicht nur wichtig für die Förderung kultureller Vielfalt, sondern auch für die Nachhaltigkeit in der Musiklandschaft und als impulsgebender Wirtschaftsfaktor. Das ergab eine genreübergreifende Studie von Initiative Musik, Bundesstiftung LiveKultur und Deutschem Musikinformationszentrum. Ein weiteres Ergebnis: Für kulturelle Vielfalt können Festivals aber auch in Zukunft nur dann sorgen, wenn ihnen nicht das Wasser bis zum Halse steht. Popularmusik und Jazz geraten zunehmend unter finanziellen Druck, während es der Klassik immer noch recht gut geht. Die vollständige Studie gibt es hier:

www.initiative-musik.de

Als weltweit erstes Konzerthaus verfügt die Elbphilharmonie Hamburg über einen „Creator in Residence“. In der Saison 2025/26 übernimmt die britische Social-Media-Akteurin Daria Challah diese Aufgabe. Sie kann sich auf eine treue und engagierte Netz-Community verlassen. In Videobeiträgen wird sie Künstler*innen, Konzerte und Festivals vorstellen und ist in einem Podcast zu erleben.

www.elbphilharmonie.de

Der Sänger und Pädagoge Rabih Lahoud hatte zum Ende der diesjährigen JAZZTHETIK präsentiert Monheim Triennale Publikum und Festivalteilnehmer mit seiner spontanen Performance „Colors of Unison“ in der Monheimer Altstadtkirche zu Tränen gerührt. Am 1.10. übernahm Lahoud die Position des Artist-in-Residence von Achim Tang, der diese Aufgabe nach sechs erfolgreichen Jahren beendete. Außer der künstlerischen Arbeit ist es Lahouds Aufgabe, junge und erwachsene Laien und Amateure für das Festival und die improvisierte Musik zu begeistern.

© Hans Kumpf

Mit Theo Jörgensmann hat der deutsche Jazz wieder eines seiner Urgesteine verloren. Am 6.10., kurz nach seinem 77. Geburtstag, starb der gebürtige Bottroper überraschend. Er war einer der wenigen deutschen Jazzmusiker, die sich in fast allen Strömungen des Genres auskannten. Er arbeitete mit internationalen Stars wie Charlie Mariano, Lee Konitz und Kenny Wheeler, war aber auch sehr wichtig für die bundesdeutsche Jazzszene, auch durch seine pädagogische und publizistische Tätigkeit sowie die Zusammenarbeit mit Theater, Oper und bildender Kunst.

© Hans Kumpf

Anatoli Petrowitsch Wapirow war einer der wichtigen Vertreter des Modern Jazz in Russland. In den 70er Jahren in der Sowjetunion aktiv, komponierte der in der Ukraine gebürtige Saxofonist neben Jazz und Ballettmusik auch sinfonische Werke. 1981 wurde Wapirow verhaftet und kam ins Gefängnis, 1985 emigrierte er nach Bulgarien und leitete dort bis 2005 das Varna Summer International Jazz Festival. Er starb im Alter von 77 Jahren.

Bei den JAZZTHETIK präsentiert 31. Jazz Open in Stuttgart wurde der erste Wolfgang Dauner Award verliehen. Er ging an den Pianisten Shai Maestro. Der 2025 ins Leben gerufene Preis wird von nun an jährlich an eine Persönlichkeit des europäischen Jazz unter 40 verliehen.

www.jazzopen.com

© : Jim McNeely.

Die reiche deutsche Big-Band-Szene ist um eine Persönlichkeit ärmer: Der langjährige Chefdirigent und Composer-in-Residence der hr-Bigband, Jim McNeely, geboren in Chicago, ist am 26.9. im Alter von 76 Jahren gestorben. Der mehrfach Grammy-nominierte Musiker leitete das Orchester von 2011 bis 2022. Noch 2024 gab McNeely ein umjubeltes Abschiedskonzert und wurde zum Ehrendirigenten des Ensembles ernannt.

Der „Schlemmer Atlas – die TOP100 für die Italienischen Restaurants Deutschlands“ vergab jüngst an Till Brönner (neues Album Italia, in diesem Heft) einen Ehrenpreis für „Deutsch-Italienische Freundschaft“. Der Trompeter, Entertainer und Fotograf erhält den Preis für sein völkerverbindendes Engagement.

www.schlemmer-atlas.de

Im September wurde dem Can-Musiker Irmin Schmidt für herausragende Verdienste um Kunst und Kultur das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Die Medaille wurde von der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker überreicht. Herzlichen Glückwunsch!

Nur knapp über 70 wurde Antti Juhani „Silu“ Seppälä, finnischer Bassist und Schauspieler, bekannt durch seine Zusammenarbeit mit den Leningrad Cowboys und kleinere Rollen in Kaurismäki-Filmen. Er starb im September.

© Richard Avedon

Jazz gehörte im gehobenen Kino der 1960er Jahre zum guten Ton, war cool und sexy, gerade im italienischen Kino dieser Zeit, z. B. in der Commedia all’italiana, dem Filmgenre, bei dem sich die große Filmdiva Claudia Cardinale gern zu Jazz-Perlen im Soundtrack mit ihrem Filmpartner Marcello Mastroianni durch die S/W-Szenerie bewegte. Die Cardinale ist nun im September im Alter von 87 Jahren gestorben.

Im kleinen schweizerischen Dorf Lavin im Unterengadin findet die 10. Ausgabe des Festivals Jazz Linard statt. Noch bis zum 16.11. sind an sechs Abenden zwölf Konzerte mit den Highlights Andreas Schaerer, Nik Bärtsch, hilde, Shabnam Parvaresh und Kalle Kalima zu erleben.

www.jazzlinard.ch

© Jesse Glazzard

Songwriter und Poet Kae Tempest erhält eine Auszeichnung der Ivors Academy. Gewürdigt wird sein künstlerisches Schaffen durch Storytelling, das Diskussionen anregt, zu Veränderungen inspiriert und gesellschaftlich prägenden Anliegen eine Stimme verleiht.

www.ivorsacademy.com