Moers Festival

© Kristina Zalesskaya

© Marvin Böhm

© Marvin Böhm,

© Nils Brinkmeier

Von Holger Pauler. „Freeluft Freijazz“ hieß ein Motto beim diesjährigen Moers Festival. Dahinter verbarg sich ein kleines Pfingstwunder: Das Land NRW hatte kurzfristig grünes Licht für vier Doppelkonzerte gegeben, die open air vor Publikum stattfinden durften. Wo sonst Schafe und Ziegen weiden, waren bis zu 500 Besucher erlaubt. Während der erste Abend noch zurückhaltend angenommen wurde – gut 100 Gäste trauten sich zu dem Gig „Am Viehtheater“ –, stieg die Resonanz an den folgenden Tagen stetig. „Die Leute haben es anfangs einfach nicht geglaubt“, sagte Festivalleiter Tim Isfort. Aber irgendwann hatte es sich wohl herumgesprochen, dass es das da draußen im Park tatsächlich Livemusik vor echtem Publikum gab.

John Scofield © Kristina Zalesskaya

Der Ort war eine gute Wahl und empfahl sich als zusätzlicher Schauplatz. David Murray, bis Anfang der 2000er Jahre Stammgast in Moers, zeigte sich vom Ambiente entsprechend begeistert und lieferte – unterstützt von den phänomenalen Bradley Jones (b) und Hamid Drake (dr) – einen überzeugenden Auftritt zwischen Freejazz, Hardbop und Swing. Gitarrist John Scofield ließ sich ebenfalls inspirieren und spielte bei seinem Moers-Debüt ein entspanntes Set, in dem er Klassiker von Miles Davis bis zu den Beatles luftig interpretierte. Die Besucher auf der mittlerweile ausverkauften Wiese genossen es sichtlich, zumal sich zwischendurch sogar die Sonne zeigte. Das Sylvie Courvoisier Trio setzte anschließend mit einem dichten, frei improvisierten Set einen wunderbaren Kontrapunkt. Das Leben lebte wieder.

Entezami © Kurt Rade

Auch anderen gefiel die doppelte Rückkehr: Vor 30 Jahren begeisterte Fred Frith mit seinem Guitar Quartet die Zuhörer*innen, am Pfingstmontag spielte er zum Festivalabschluss im Trio mit Ava Mendoza und Oren Ambarchi. Nach einem fast Ambient-artigen Einstieg ging es am Ende noch einmal richtig zur Sache: Harte Riffs und Loops beschworen den Moers-Geist, bis schließlich der Himmel Tränen der Freude und wohl auch der Rührung vergoss.

„Der Kampf um die Zukunft“ – so das diesjährige Motto – ist also nicht verloren. Ob dieser Kampf aber dazu führt, dass Hybridveranstaltungen auch nach Corona auf der Tagesordnung stehen, wird sich zeigen. Die Konzerte ohne Publikum, gut 30 an der Zahl, wurden wie schon im vergangenen Jahr vom Sender Arte gestreamt. Und wer die Auftritte mit Zuschauern besucht hatte, wollte sich nicht wirklich daran gewöhnen, dass die Realität in weiten Teilen immer noch eine virtuelle ist.
Dabei gab es etliche Konzerte, denen man jede Menge Applaus „from real people“ (Bassist John Edwards) gewünscht hätte: Joëlle Léandre (b) lieferte sich mit Gerald Cleaver (dr) einen frei improvisierten Dialog, bei dem nur das Publikum als zusätzlicher Adressat fehlte. Pat Thomas (p) brachte im Trio [ISM] sein typisches, perkussives Spiel auf die Bühne, das vom treibenden Beat von Joel Grip (b) und Antonin Gerbal (dr) noch verstärkt wurde: 45 Minuten ohne Gnade, die das Publikum vermutlich zur Ekstase getrieben hätten.

Stars wie Brad Mehldau, alte Moers-Gänger wie Han Bennink und Jamaladeen Tacuma oder jüngere Acts wie die energetisch-freie US-Combo Strictly Missionary oder das kammermusikalische Quartett der Schweizer Geigerin Laura Schuler schlugen schließlich die Brücke vom Besonderen zum großen Ganzen und von der Vergangenheit in die Zukunft, die bereits begonnen hat: Gemeinsam verkörpern sie die Synthese dessen, was dieses Festival ausmacht. Und eigentlich wird Moers ja auch erst im nächsten Jahr 50. Noch ein Grund, um endlich in großer Runde rund zu feiern.